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Vom Gebäude- zum Ensembleschutz

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Der Europarat in Straßburg hat das Jahr 1975 zum „Jahr des Denkmalschutzes’ erklärt und damit die weltweite Verpflichtung proklamiert, das große bauliche Erbe Europas nicht nur zu sichern, sondern auch für die Zukunft mit neuem Leben zu erfüllen. Sozusagen als Auftakt hiezu fand in der Zeit vom 19. bis zum 22. September 1974 der erste Internationale Altstadt- Kongreß in Graz statt.

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Der Europarat in Straßburg hat das Jahr 1975 zum „Jahr des Denkmalschutzes’ erklärt und damit die weltweite Verpflichtung proklamiert, das große bauliche Erbe Europas nicht nur zu sichern, sondern auch für die Zukunft mit neuem Leben zu erfüllen. Sozusagen als Auftakt hiezu fand in der Zeit vom 19. bis zum 22. September 1974 der erste Internationale Altstadt- Kongreß in Graz statt.

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Graz bot für diese Veranstaltung einen idealen Rahmen. Denn diese Stadt besitzt einen der geschlossensten und unberührtesten Altstadtkerne des deutschen Sprachraumes. In ihr leben aber auch Menschen, die sich seit Jahren mit Energie und Sachkenntnis für jene Probleme ein- setzen, die allgemein unter dem Generaltitel „Restaurierung, Renovierung und (Re)-Vitalisierung der Altstadtkerne’ bekannt sind. Bereits im Jahre 1972 startete die Grazer „Kleine Zeitung’ eine Unterschriftenaktion zur Rettung der Grazer Alt stadt, die einen durchschlagenden Erfolg mit Unterschriften maßgebender Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland erbrachte, aber auch von zahlreichen Bürgern der Stadt und des Landes unterzeichnet wurde. Aus ihr erwuchs das Aktionskomitee „Rettet die Grazer Altstadt’, das unter dem Vorsitz des bekannten Volkskundlers und Präsidenten des Steiermärkischen Landtages, Professor Hanns Koren mit Leben erfüllt wurde.

Die Größe der Aufgabe läßt sich an der Tatsache ermessen, daß seit

1945 mehr Baudenkmäler der Spitzhacke zum Opfer gefallen sind als im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden. Seit Jahren ist nun ein erfreuliches Umdenken festziustellen. Wissenschaftler, Politiker und Publizisten sprechen von der Zukunft der Vergangenheit.

Tatsächlich ist höchste Eile geboten, wenn der Zerstörung wertvollen alten Baubestandes nicht mit allen Mitteln Einhalt geboten wird. Die FURCHE hat sich wiederholt für die Erhaltung solcher Bauten in Wien und im gesamten Bundesgebiet eingesetzt, wenn Gefahr im Verzüge war. Denn es geht jetzt nicht mehr nur um den Schutz einzelner Baudenkmäler, die unter Denkmalschutz stehen. Die Erkenntnis, daß „Ensembleschutz’ nottut, ist bereits allgemein geworden. Einen großen Fortschritt in dieser Richtung bedeuten die Novellierung des „österreichischen Denkmalschutzgesetzes’ sowie die Landesgesetze zum Schutz der Altstädte, mit denen Salzburg bereits vor einigen Jahren einen höchst erfreulichen Anfang gemacht hat. Das Land Steiermark ‘hat mit Gesetz vom 11. Juni 1974 (Grazer Altstadterhaltungsgesetz 1974) ebenfalls eine bedeutende legistische Maßnahme gesetzt.

In zahlreichen Teilen Europas gibt es Altstädte, die zwar baulich intakt sind, jedoch veröden, weil die Wohnbevölkerung in neuere Stadtteile zieht und dadurch die natürliche Mischung verschiedener Funktionen, wie Wohnungen, Gewerbebetriebe, Dienstleistungsbetriebe, in Verbindung mit den kulturellen und Verwaltungs-Zentren, verlorengeht, was erst das „Fluidum’ der alten Stadt ausmacht. In den neuen Wohnvierteln, die vom Funktionellen her gesehen eine bessere Wohnqualität anbieten, fühlen sich die Menschen jedoch — wie die Erfahrung gelehrt hat, — nicht wohl. Der moderne Städtebau, dessen theoretische Formulierung in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts zu großen Hoffnungen Anlaß bot, hat nicht vermocht, den Menschen unseres Jahrhunderts das zu bieten, was früheren Jahrhunderten gelungen ist. Im Gegenteil, die Vereinsamung in der Masse ist bereits zum Schlagwort geworden.

Camillo Sitte äußerte sich bereits 1889: „Erschreckend arm geworden ist der moderne Städtebauer an Motiven seiner Kunst. Die schnurgera de Häuserflucht, der würfelförmige „Baublock’ ist alles, was er dem Reichtum der Vergangenheit entgegenzusetzen vermag.’

Was würde er zum gegenwärtigen Städtebau sagen?

Alle diese Probleme bildeten das Generalthema des Kongresses, bei dem eine große Anzahl von Fachleuten des In- und Auslandes über die Maßnahmen in ihren Städten und Ländern referierten und teilweise an Hand von Lichtbildern instruktive Arbeiten vorführten. Begehungen der Grazer Altstadt sowie eine Exkursion nach Radkersburg, Ehrenhausen und in das steirische Grenzland beendeten den Kongreß.

Beim abschließenden Festakt im Grazer Stephaniesaal wurde nach mehrtägigem Erfahrungsaustausch eine „Proklamation von Graz’ beschlossen, die, kurz zusammengefaßt, folgende Schwerpunkte enthält;

• Die Werthaftigkeit unserer Altstädte: Die Altstadt ist zeichenhafte’ Mitte jeder historisch gewachsenen Stadt; sie ist unverwechselbarer Bereich, der in den Ballungsräumen der Gegenwart nur selten zu finden ist; sie ist Raum verdichteter Vielfalt und der innigen Verknüpfung des sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens in einer faszinierenden Funktionsmischung.

• Die Bedrohung unserer Altstädte; Unserer Altstädte sind bedroht durch die mit Platzmangel kämpfenden Unternehmungen und den damit zusammenhängenden Expansions-

druck auf wertvolle historische Bausubstanz; durch die ständig steigenden Grundstückspreise in Verbindung mit Spekulation, durch das bewußte oder unbewußte Verfallenlassen der Bausubstanz; durch den Verlust der įirbanen Atmosphäre.

• Die Rettung und Belebung der Altstädte. Aus den internationalen Zielsetzungen und Erfahrungen läßt sich ein umfassender Maßnahmenkatalog ableiten: Die Stadt als ganzes sehen; Von der Kosmetik zur Revitalisierung; Hebung der Wohn- qualität; Neuordnung des Verkehrs; Baukünstlerische Neuorientierung; Förderung von Initiativen, Steuererleichterungen, verstärkter Einsatz öffentlicher Mittel für Altstadtrevitalisierung und Denkmalschutz, Erteilung von Forschungsaufträgen für die Altstadtforschung.

• Gesetzlicher Schutz; Ensemble- schutz, Schutzzonen, Demolierüngs- verbote, Nutzungsbestimmungen, materielle Förderung.

Bemerkenswert ist die immer wieder getroffene Feststellung, daß in den Altstadtschutz auch die Bauten des „Historismus’ aus der 2. Hälfte der vorigen Jahrhunderts einzubeziehen sind — ein baukünstlerisches Erbe, dessen Bedeutung erst spät erkannt worden ist.

Besonders wertvoll war auch der Hinweis einiger Referenten (der durch konkrete Zahlen belegt wurde), daß der Umbau und die Restaurierung von Altbauten durchaus nicht teurer zu stehen kommt als die Errichtung von Neubauten, was immer wieder als Propagandamittel zum Abriß von Altbauten ins Treffen geführt wird.

Kritisch bemerkt muß werden, daß leider ein Teil der ausländischen Vortragenden durchaus nicht immer die signifikanten Beispiele aus ihren Heimatländern zeigten; hier hätten wesentlich gelungenere Beispiele dem Auditorium vorgeführt werden können.

Zu bedauern ist auch, daß vom Aktionskomitee keine Exponenten jener Aktion eingeladen wurden, die die zweifellos großartigsten und gelungensten Beispiele für Altstadtrestaurierung und -revitalisierung in Europa hätten vorführen können: die Experten, die für die Durchführung der „Loi Malraux’ (Gesetz zur Erneuerung historischer Siedlungen) in Frankreich verantwortlich sind. In der Referentenliste schien weder der „Chefarchitekt der historischen Monumente Frankreichs’, A. J. Donzet, nöch einer der Regiocnalarchitekten der sogenannten „ilots’ auf. Denn was in Frankreich — im Marais- Viertel von Paris, in Rouen, Chartres, Riom, Dijon, Bourges und Avignon auf diesem Gebiet bereits geleistet wurde, kann einen Maßstab für ganz Europa setzen.

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