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Der Regen gibt dem StefQ Saures

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Der „Steffi" krankt Stein um Stein. Nur rasche hülfsmaßnahmen können das einzigartige kirchliche Bauwerk vor dem endgültigen Verfall bewahren.

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Der „Steffi" krankt Stein um Stein. Nur rasche hülfsmaßnahmen können das einzigartige kirchliche Bauwerk vor dem endgültigen Verfall bewahren.

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Als am ersten internationalen Kongreß ziir Erhaltung der gotischen Kathedralen im Herbst 1986 in Mailand der Wiener Dombaumeister Kurt Stögerer einen Vortrag hielt und für seinen fachlich fundierten Appell begeistert akklamiert wurde, ist sowohl die Bedeutung als auch das Anliegen der Erhaltung des Wiener Stephansdomes in internationaler Sicht klar geworden.

Nach Beseitigung der gravierenden, von unwiederbringlichen Verlusten begleiteten Kriegsbeschädigungen ist es heute die von schwefelhaltigen Substanzen vergiftete Atmosphäre, die — mehr als bei den Auswirkungen der ersten industriellen Revolution im 19. Jahrhundert—Korrosionserscheinungen in der Steinsubstanz herbeiführt. Besonders betroffen ist der Oberflächenbereich in einer Höhenzone von 40 bis 80 Metern über dem Bodenniveau. Die Schäden sind gravierend.

An glatten schmalen Bereichen - etwa an den Strebepfeilern des Albertinischen Chores oder an den Schildmauern über den Maßwerkfenstern ebendort — sind die Beschädigungen auch mit freiem Auge, sogar auf Distanz, sichtbar. In den formal reichhaltig gestalteten Zierbereichen, die auch in extremster Höhenlage vom gleichen, minutiös gearbeiteten Habitus sind wie die nahsichtigen Schmuckformen, kann der Passant die schweren Schäden freilich nicht erkennen. Durch die hochgelegene Postamentiervmg am Bauwerk entziehen sie sich dem Blick.

Gerade diese auf Distanz nicht sichtbaren Schäden sind aber besonders hinsichtlich ihres Habitus gefährlich: weim sich die Zierformen vom „Kern" loslösen, entstehen Fragmente, die herabstürzen.

Bei einer Anzahl von tausend und abertausend Zierformen, wie sie an einem gotischen Kathedralbau von der ästhetischen Beschaffenheit des Wiener Stephansdomes am optischen Er-scheinimgsbild des Kunstwerkes in überreicher Zahl Anteil haben, ist es nicht auszudenken, was geschähe, fielen sie reihenweise herab. Von der ästhetischen Verarmung ganz abgesehen gäbe es eine nicht absehbare Anzahl von Verletzten, sogar von Toten.

Horrorvisionen wie diese Schil-derimg muten vielleicht als Uber-treibungen an, da die beklagten Sdiäden nicht an allen Stellen des Bauwerkes gleichzeitig auftreten; dennoch ist auch das partielle Auftauchen solcher Schäden nicht zu verharmlosen.

Es droht Todesgefahr und - finden Dom — substantieller Verlust. Präventivmaßnahmen sind also, noch vor dem spezifischen Restauriergeschehen, aus zweierlei prinzipiellen Gründen notwendig: das Bauwerk muß vor den zerstörerischen Umwelteinwirkungen geschützt, die Sicherheit der Besucher und die der Passanten garantiert werden.

Bei einem derartig aufwendigen und ästhetisch wie substantiell anspruchsvollen Bauwerk wie dem Stephansdom bedeuten derartige Vorkehrungen und primäre Schutzmaßnahmen zweifellos einen größeren personellen wie sachlichen Aufwand, als es bei sonst einem Gebäude nötig wäre. Das Bauwerk muß kontrollierend untersucht werden; schadhaft anmutendes Gestein muß auf seine tatsächliche Beschaffenheit hin analysiert werden. Mit einem bloß „Nachschau-Halten" ist hier nicht gedient. Erst durch tJber-prüfung mit einem Werkzeug, erst die Untersuchung auf Klopffestigkeit hin vermag verläßlich darüber Auskimft zu geben, ob die optisch in Erscheinung getretenen Haarrisse im Gestein gefährlich sind und ob sie eine transversal durch den Steinblock gehende Bruchstelle bedeuten.

Primärmaßnahmen wie diese auch liebevolle restaurätorische Pflege haben über Jahrhunderte hin den Dom als wichtigen Zeugen unserer reichen Kultur, als eine künstlerische Schöpfung höchsten europäischen Ranges erhalten. Es ist erwiesen, daß die durch die schlechten Umweltbedingungen verursachten Schäden der letzten Jahrzehnte — wobei die Kriegsschäden in dieser Betrachtung gar nicht miteinbezogen werden - gravierender sind als die Schäden im Laufe der Jahrhunderte zuvor.

Mit der herkömmlichen Vorgangsweise kommen wir da nicht weiter - selbst wenn die Erhaltungsmaßnahmen tatsächlich in befriedigender Weise zu finanzieren wären. Da großflächige substanzerhaltende chemische Sanierungsmaßnahmen - nicht zuletzt durch mangelnde Erfahrungswerte am Original - bei aller Experimentierfreude doch abzulehnen sind, bleibt für die weitere Erhaltungsgarantie nur das herkömmliche Auswechseln der Steinsubstanz.

Man kennt die Auswirkuhgen der Labor-bewährten Imprägnierungsmaßnahmen naturgemäß nicht hinsichtlich ihres Verhaltens bei wandelnden Umwelteinflüssen, außerdem sind Erfahrungswerte am Bau nur ab einer Uberlebensdauer von zimiindest fünfzig Jahren brauchbar.

Die Umweltauswirkxmgen verschlimmern sich ständig; die Denkmalpflege gibt der Altsubstanz absolute Priorität, so wird auch die Anwendung der herkömmlichen Methoden problematisch. ;

Angesichts all dessen wäre es jedodh falsch, vor den Kosten der dringlichen Sanierungsmaßnahmen zu kapitulieren. Wir dürfen nicht zulassen, daß der Dom zur Ruine verfällt. In einer von Schadstoffemissionen erfüllten Umwelt müssen wir alles imternehmen, um diesen apokalyptisch anmutenden Zuständen entgegenzuwirken.

Um diesen Anliegen entsprechen zu können, ist die Fordenmg nach Weiterentwicklung imd wirtschaftlicher Nutzung von Filteranlagen mit Nachdruck zu unterstützen. Forschung, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik müssen hier gemeinsam und energisch vorgehen. Warum kann Österreich einmal - oder wieder einmal — nicht mit gutem Beispiel vorangehen und ein hoffnungsvolles Zeichen setzen?

Die Umweltschäden am Wiener Stephansdom sind äußerst schwer. Wir müssen Alarm schlagen. Es geht dabei keineswegs um leere Propaganda mit dem Ziel, finanzielle Unterstützung zu beschaffen, auch handelt es sich nicht um einen Teil der unter dem Titel „Ruinen 2000" rollenden Aufklärungskampagne seitens kirchlicher Stellen.

Der Stephansdom ist das Wahrzeichen von Wien; nun wird er zum Mahnmal für die tatsächliche Gefährdung, die durch die Umweltverschmutzung weltweit geschieht. Im Falle der Kulturdenkmäler ist ja nicht nur deren äußeres Erscheinungsbild und deren Bausubstanz — beim Stephans-dom die Steinsubstanz — von außen her gefährdet.

Auch die künstlerisch gestalteten Fenster mit ihren Fragmenten von Glasmalereien sind seit jeher empfindliche Angriffspunkte für Zerstörungen - auch solcher klimatischer Natur. Um die erhaltene Substanz möglichst optimal zu sichern, müssen die Glasmalereien - wie es in Wien schon vor bald fünfzehn Jahren im Chor der Kirche Maria am Gestade geschah -in einem freihängenden Rahmen-

system nach innen versetzt angeordnet werden. Eine äußere Schutzverglasung ist unverzichtbar. Nur durch die Schutzverglasung sind die Zerstörungsprozesse zu bremsen und weitgehend auszuschalten.

Die zerstörende Auswirkung der Umweltverschmutzung macht freilich auch vor dem Innenraum und dessen Ausstattungsstücken nicht halt. Die akute Gefährdung ist in diesem Punkt freilich nicht so alarmierend wie im Falle des Außenbaues. Unter freiem Himmel sind zahlreiche bildhauerische Arbeiten in ihrem Bestand gefährdet. Der Stephansdom als das umfangreichste und vielschichtigste kirchliche Kunstwerk hierzulande fordert auch in denkmalpf legerischen Belangen die größten Anstrengungen. Seine akute Gefährdung jedoch ist hinsichtlich der Erhaltungsfragen symptomatisch. Auch viele andere kirchliche Denkmäler in Stadt und Land -und dies nicht nur in Österreich -brauchen dringend Hilfe.

Der Autor ist Diözesankonservator und Direktor des Diözesanmuseums in Wien.

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