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Der Tumulus von Deutsch-Altenburg

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Jedem Besucher von Deutsch-Altenburg ist die auf einer Anhöhe erbaute Kirche bekannt — jenes steinerne Ehekind gotischen und romanischen Baustils —, das die Bewunderung aller Kunstverständigen erregt. Das eigentlich Malerische an ihr ist die altersgraue Farbe, die in ein eigenartiges, unwirklich anmutendes Graugelb hineinspielt, jene unverwüstliche Patina, welche nur der Malkasten der Zeit kennt und die auf dem blauen Hintergrund des Firmaments die vornehmste koloristische Zusammenstellung bildet, welche in der Natur vorkommt.

Neben der Kirche ruht breit und wuchtig der Quaderbau der berühmten romanischen Rundkapelle, und außerhalb der Friedhofsmauer, welche Kirche und Karner umschließt, erhebt sich gegen die Seite des Pfaffenberges ein etwa fünfzehn Meter hoher Erdhügel, der sich dem Wanderer als mächtiges, antiquarisches Fragezeichen in den Weg stellt. Die Tradition läßt ihn durch die Hände der Türken entstehen, die sich einen künstlichen Aussichtspunkt schaffen wollten, um das Vorgelände bis Wien beobachten zu können. Seine Bezeichnung als „Fahnenhügel“ — dem türkischen „sandschak tepesi“ entsprechend — läßt auf seine Rolle als militanten Ralliierungspunkt schließen. Daß er aber als solcher errichtet wurde, ist stark zu bezweifeln, weil das ganze Plateau des „Unteren Quadenringes“ (zum Unterschied vom „Oberen Quadenring“ auf dem Scheitel des Pfaffenberges so benannt), auf dem Kirche und Tumulus sich erheben, ohnedies einen ausgezeichneten, natürlichen strategischen Stützpunkt bilden, so daß es nicht nötig war, einen solchen künstlich zu schaffen. Ferner berichtet die Überlieferung, die Bewohner hätten nach dem Abzug der Türken ein Siegesmal schaffen wollen und den mächtigen Erdhügel aufgeschüttet, indem sie die hiezu nötige Erde in ihren Hüten herbeischleppten. Daher auch die Bezeichnung „Hütelberg“.

Besonders imposant nimmt sich der Tumulus aus, wenn man ihn von der Seite des Pfaffenberges aus betrachtet, weil dann der äußerst wirkungsvolle Hintergrund, der Blick auf das von sonnendurchglühtcn Nebelschwaden umwogte Donautor bei Theben, goldiger Schimmer und bläulicher Glast in der fernen Niederung des Marchfeldes, die Linien des Hünengrabes groß und ernst machen, kurz, dem Bilde ein großartiges Gepräge aufdrücken. Denn daß der Hügel zweifellos ein historisches Grab umschließt, ergibt sich zwangsläufig durch Vergleich mit anderen menschlichen Maulwurfshaufen gleicher Art sowie aus dem Umstand, daß bei vorgenommenen Grabungen wiederholt Pfeil- und Lanzenspitzen, Knochen und Urnen zutage gefördert wurden. Es herrschte in Fachkreisen auch allgemein die Ansicht vor, daß der Tumulus die Grabstätte eines unbekannten Awarenhäuptlings umschließt, bis um die Jahrhundertwende der Preßburger Baurat Lanfranconi, gestützt auf eine Stelle der Aufzeichnungen des „unbekannten Notars des Königs Bela“, in dem Tumulus von Deutsch-Altenburg die Örtlichkeit gefunden zu haben glaubte, die mit der Grabstätte des Magyarenherzogs Arpad zu identifizieren sei. Seither ist diese Frage zum Ausgang eines gelehrten Streites geworden. Die Heftigkeit, mit welcher derselbe vornehmlich von seiten ungarischer Fachleute und Schriftsteller geführt tvurde, erklärt sich aus dem Umstand, daß die ungarische Nation zähe an ihren überkomme nen Überlieferungen festhält, während nichtungarische Forscher fremden historischen Quellen folgten.

Jene Überlieferungen sind in der Chronik des anonymen Notars des Königs Bria enthalten, welcher diese unter der Inspiration des Heiligen Geistes verfaßt haben will, ein phantastisches Gemengsel von Geschichte und Sage, das mit den historischen Tatsachen in keiner Weise in Einklang zu bringen ist.

Es ist begreiflich, daß eine historische Persönlichkeit gleich Arpad, unter dem die „Landnahme“, die symbolische Grundsteinlegung des Magyarentums in Mitteleuropa, erfolgte, die also an der Grenzsdieide steht, wo Geschichte und Sage ineinander verschmelzen, die Bedeutung eines Nationalheros erlangen mußte. Die Erinnerung an ihn hat sich tief in die ungarische Volksseele eingewurzelt, seine Erscheinung bildet einen Glanzpunkt ungarischer Vergangenheit. Und vielleicht gewinnt die Gloriole, die ihn umgibt, noch dadurch, daß man nicht weiß, wo er begraben liegt.

Die Stelle in der Chronik des Anonymus, auf die sich die Beweisführung Lanfranconis und anderer ungarischer Forscher stützt, lautet: „ … und nach diesem verabschiedete sich Arpad im Jahre 907 von dieser Welt. Er ist in Ehren am Anfang eines Flüßchens, dessen steinernes Bett zu Attilas Burg hinfließt, begraben. Wo nach Bekehrung der Ungarn eine Kirche gebaut wurde, die Alba geheißen wurde.“

Der schwache Punkt in der Beweisführung Lanfranconis ist eben die Quelle, auf die sie sich stützt. Der Anonymus läßt Attila im Jahre 451 — also nur drei Jahre vor seinem historischen Sterbejahr (454) — nach Pannonien ziehen und seine Residenz in „Exilburgum“ an der Donau aufschlagen. Lan- franconi sucht daher zuerst das Flüßchen, dann Attilas Burg und schließlich die Kirche. Und all dies will er in der Örtlichkeit von Deutsdi-Altenburg gefunden haben. Attilas Burg — die gewöhnlich mit Ofen identifiziert wurde — ist Hamburg, die „Burg der Heunen“, das Flüßchen der Altenburger Bach, der zwar nicht in steinernem Bett fließt, aber von den Überresten römischer Bauten flankiert wird, und die Kirche soll schließlich jene sein, von der oben die Rede war.

Die Schwierigkeit in der Untersuchung der Frage fußt bereits auf der Unglaub- würdigkeit der topographischen Angaben des Anonymus. Warum diese vagen Andeutungen und keine positiven Angaben? Nun, weil er von der Sache so wenig wußte wie wir Nachgeborenen. Der Nachweis Lanfranconis, daß die Altenburger Kirche zur Zeit Stephans des Heiligen, also zur Zeit der Bekehrung der Ungarn, erbaut wurde, beweist nichts. Denn mit dem Flüßchen läßt sich so wenig etwas anfangen wie mit der Etzelburg zu Hainburg.

Hainburg wurde im Jahre 894 von Haimo, dem Mundschenken des deutschen Kaisers Arnulf, gegründet und nach ihm benannt. Daß es jemals mit der Burg Attilas identifiziert werden konnte, ist rätselhaft. Bekanntlich kehrte Attila — ein geschworener Feind von Burgen und Befestigungen, der solche, wo r nur konnte, schleifen ließ — von seinen Beutezügen regelmäßig in seinen Holzpalast an der Theiß zurück. Auch die Burg zu Ofen war niemals Attilas Residenz, sondern eine Schöpfung seines Bruders Buda, der von ihm deshalb und weil er gegen die aggressive kriegerische Politik Attilas konspirierte, mit eigener Hand getötet wurde. Nun führt der Anonymus ausdrücklich „Exilburgum“ als Residenz Attilas an, ein Name, den er nur dem Nibelungenlied entlehnt haben konnte, weil er sonst in keiner geschichtlichen Quelle vorkommt. Die topographischen Angaben des Nibelungenliedes müssen jedoch stark in Zweifel gezogen werden. Will man aber doch das deutsche Heldengedicht als Quelle gelten lassen, ergibt sich, daß es eine Etzelburg zu Hainburg nicht kennt. Nach dem Epos ziehen die Nibelungenrecken an Hainburg vorüber nach Misenburg (Wieselburg) und von da (Strophe 1437 der Handschrift A des Nibelungenliedes) weiter in die Etzelburg zu Gran.

Ebenso unsicher ist, ob Arpad in einer der Schlachten gegen die Deutschen gefallen ist und an der Donau begraben wurde. In Rud- harts Auszug aus einer bayrischen Pergamenthandschrift der Freisinger Domkirche aus dem Ende des 10. Jahrhunderts — der einzigen authentischen Quelle — verlautet nichts darüber. Auch der Anonymus vermeldet nichts dergleichen. Nach seinen Aufzeichnungen schlägt sich Arpad um diese Zeit mit einem fabelhaften Fürsten Menu- romunt herum, der sich Herr der Chazaren nennt und an der Maros haust. Nun sind die Chazaren, ein Volksstamm, der den Magyaren in ihren ehemaligen asiatischen Wohnsitzen viel zu schaffen machte, nach verläßlichen arabischen Geschichtsquellen niemals westwärts über den Dnjestr hinausgekommen. Nach dem Anonymus beschließt Arpad den Frieden durch einen F.hebund zwischen seinem Sohne Szolt und der Tochter Menuromunts, übergibt seinem Sohn die Herrschaft und stirbt in Frieden.

Vor ungefähr 15 Jahren fand der Streit um Arpads Grab neue Nahrung durch die in der einschlägigen ungarischen Fachliteratur aufgeschienene Nachricht, wonach ein Preßburger Buchhändler namens Keil, gestützt auf die angeführte Stelle in der Chronik des anonymen Notars und Aufzeichnungen, die er in einem alten polnischen Geschichtsbuch gefunden haben wollte — nach denen übrigens Arpad in einer Schlacht gegen die Polen gefallen sein soll —, an dem Altenburger Tumulus Grabungen vorgenommen und hiebei Funde gemacht haben wollte, welche die Ansicht Lanfraa- conis bestätigten.

Abgesehen von der Unwahrscheinlichkeit, daß der Preßburger Buchhändler vom damaligen Wiener Denkmalamt die Bewilligung zur Vornahme derartiger Grabungen erhalten haben sollte, erging er sich in seinen Berichten in fast denselben unbe-stimmten Andeutungen, ohne Anführung konkreter Tatsachen, wie der Anonymus. Auch wurde in österreichischen Forscherkreisen nichts Näheres über die angeblichen Ergebnisse der Grabungen bekannt.

Kurz nachher brach der unselige zweite Weltkrieg herein, und es wurde still um Arpads Grab und den Tumulus, dessen gelegentliche fachkundige Untersuchung wünschenswert wäre.

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