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Heiliger mit 18 Kindern

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Niederösterreichs Landesausstellung 1985 dokumentiert die große Bedeutung des Markgrafen Leopold III. als Integrationsfigur in der österreichischen Geschichte.

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Niederösterreichs Landesausstellung 1985 dokumentiert die große Bedeutung des Markgrafen Leopold III. als Integrationsfigur in der österreichischen Geschichte.

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Genau 500 Jahre nach der Heiligsprechung wurde in seinem Stift Klosterneuburg alles zusammengetragen, was Aufschluß gibt über Leben und Nachleben, Wirken und Nachwirken des heiligen Leopold. Nicht „einem Mann in seiner Zeit” gilt diesmal die große Landesausstellung, sondern einem Mann und seiner Ausstrahlung über Jahrhunderte. Und dem Widerschein, der auf ihn zurückfällt.

Er droht darunter zu verschwinden. Wir wissen viel mehr über sein Nachleben als über sein Leben.

Ob der vielen, vielen Statuen und Bilder des heiligen Leopold kann leicht in Vergessenheit geraten, daß wir nicht wissen, wie er ausgesehen hat, daß kein Bild seine Physiognomie überliefert. Sicher war er groß und stark, wie fast alle Babenberger.

In den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts wurde der in Samt eingenähte, als Reliquie verehrte Schädel untersucht. Eine Bildhauerin modellierte zwei Köpfe, einen mit und einen ohne Bart. Auch sie sind in der Ausstellung zu sehen. Etwas idealisiert wirken sie, ernst und staatsmännisch blickt Markgraf Leopold III. aus seinem Jahrhundert ins zwanzigste, die Mundwinkel skeptisch herabgezogen — nun, warum soll er nicht so ausgesehen haben?

Es ist jedenfalls das Gesicht eines Mannes, der verzichten kann. Oder muß? Unter Glas liegt auch, wohl noch zu Leopolds Zeiten geschrieben, die „Narratio de elec-tione Lotharii”, die Erzählung von Lothars Wahl zum König.

Auf Leopold war in Frankfurt dreimal die Wahl gefallen. Dreimal hatte er verzichtet und als Grund sein hohes Alter und die große Zahl seiner Kinder genannt. Warum soll ein Kinderreicher nicht König werden? Umschrieb er damit familiäre Unstimmigkeiten? Wir wissen es nicht. Jedenfalls wurde Lothar von Supplinburg König.

Wer bedauert, die Handschriften in den Vitrinen nicht lesen zu können, sei getröstet: Leopold selbst hätte es auch nicht können. Er war des Lesens und Schreibens nicht mächtig.

Welchen Wert damals aber ein Buch darstellte, geht aus der „Rechnung” hervor, die neben dem erhalten gebliebenen Band einer einst dreibändigen „Riesen-bibel” liegt, die Leopold vom Kloster St. Nikola für das von ihm gegründete Stift Klosterneuburg kaufte. Die Bibel und ein Meßbuch kosteten zusammen zwei Weinberge und verschiedene Steuernachlässe. Dabei wurde die Bibel wahrscheinlich ohne die herrlichen Initialen geliefert; diese dürften erst in Klosterneuburg entstanden sein.

Wer einen Sinn hat für das geheimnisvolle Schweigen alter Gegenstände, für die sinnliche Wirkung von Dokumenten und Büchern, die er nicht entziffern kann, sich gerne in der von Buchmalern und Goldschmieden geschaffenen Pracht verliert, gern mehr Fragen aus einer Ausstellung mitnimmt als er mitgebracht hat und seine eigenen Antworten findet, aber für jede gefundene drei neue hinnimmt, aber auch, wer das Schau-Angebot einer so großen Ausstellung einfach auf sich wirken läßt und sich dem Schönen hingibt - für sie ist Klosterneuburg ein Ort, den man in den nächsten Wochen besuchen muß.

Der Friedfertige

Die Zweiteilung der Ausstellung ist nicht nur eine räumliche. Widerspruchsvolles Erleben im Altstift. Einerseits ist da die Faszination der Begegnung mit einer Vergangenheit, deren Lebensgefühl uns fremd geworden ist, deren Motivationen sich uns nicht mehr leicht erschließen, diese seltsame Anziehungskraft des schon sehr Fernen — auf der anderen Seite aber der noch unverstellte Zugang zu dem wenigen, das wir über den Menschen Leopold wissen.

Man möchte mehr über ihn erfahren. Was mag ihn bewahrt haben vor der Teilnahme an dem Massenwahn, den er als junger Mann miterlebte, vor dem verhängnisvollen Abenteuer der

Kreuzzüge? Seine Mutter schloß sich einem der Züge an und kehrte nie zurück.

Hängt es mit dem Grundzug seines Wesens zusammen, der auch, 350 Jahre nach seinem Tod, die Heiligsprechung ermöglichte — mit seiner großen Friedfertigkeit (FURCHE 11/1985)? Der „milde Markgraf” war nicht nur von außerordentlicher Freigebigkeit gegenüber den Armen, er hat, wie auch in der Heiligsprechungsbulle ausdrücklich erwähnt, in einer Zeit des Krieges und der Verwüstung dem ihm anvertrauten Land Frieden und Wohlstand erhalten. Das Volk wußte es ihm zu danken, die Verehrung begann bald nach dem Tod.

Aber das Volk konnte kaum 350 Jahre lang in Rom die Heiligsprechung betreiben. Noch dazu zugunsten eines Mannes, der 17 oder 18 Kinder gehabt und zweimal verheiratet gewesen war. Im Mittelalter war die Vorstellung von einem Heiligen noch viel stärker als heute auf ein Leben in Selbstkasteiung und Entsagung, fern dem politischen Getriebe, man kann auch sagen: auf das Gegen-büd des Mächtigen festgelegt. Doch mehrere Habsburger betrieben in Rom die Heiligsprechung des Babenbergers.

Ungeachtet der Tatsache, daß das Volk ihn längst als Heiligen verehrte und alle Voraussetzungen für eine Heiligsprechung vorlagen, hatten die Habsburger gute politische Gründe, sie anzustreben und überhaupt alles zu tun, was ihre Identifizierung mit den ausgestorbenen Babenbergern fördern konnte.

Die von den Österreichern lange Zeit als Fremdlinge betrachteten Herrscher ließen auf diese

Weise einen Abglanz österreichischer Geschichte auf sich fallen und stellten sich in eine Reihe mit jenem Geschlecht, das von der Bevölkerung als das urösterreichische betrachtet wurde. Es ließe sich lang darüber philosophieren, ob nicht der dem habsburgischen Image dienstbar gemachte Leopold durch diese Identifizierung seinerseits verhaltensprägend für die Habsburger wurde: Der konsequent Friedfertige als Leitbild und Repräsentant einer Seite ambivalenter Identität.

Habsburgische Züge

Der zweite, größere Teil der Ausstellung, im Neustift, dokumentiert die Leopolds-Verehrung und Leopold als Landespatron und Staatssymbol. Die zentralen Objekte im Altstift, Verduner Altar, siebenarmiger Leuchter, verweisen den Beschauer auf Distanz. Im Neustift kann man sich unbefangener, unmittelbarer mit der Uberfülle von Objekten befassen, von den Tafeln des Rue-land Frueauf d. J. über die großartige Schleiermonstranz bis hin zu den entzückenden Kraus'schen Figurinen des Erbhuldigungszu-ges.

Viele Leopolds-Statuen haben ausgeprägte Züge, in denen man die bekannten des einen oder anderen Habsburgers zu erkennen meint. Offenbar hat Leopold III., der Babenberger und Heüige, eine alles andere als unwichtige Rolle in dem langen historischen Prozeß gespielt, in dem das Haus Habsburg sein Schicksal unwiderruflich mit dem Österreichs verflocht.

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