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Die Babenbergerpfalz in Klosterneuburg

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Die Einladung zu einem Bericht über die wiederentdeckte Klosterneuburger Pfalz gibt dem Autor Gelegenheit, seiner ersten Veröffentlichung in den Mitteilungen des österreichischen Instituts für Geschichtsforschung einiges Neue hinzuzufügen.

Zunächst also: die jahrhundertealte Tradition von der Markgrafenresidenz Leopolds III. auf dem Kahlengebirge ist eine Legende. Seine Pfalz befand sich in Wahrheit in Klosterneuburg, und zwar genau auf dem Boden des römischen Reiterlagers zwischen der Stiftskirche und der Straße, die vom Tal durch die Hundskehle zum oberen Stadtplatz führt. Der gewaltige, 170 Meter messende Hof war der Kaiserpfalz in Goslar ebenbürtig und übertraf die Braunschweiger Herzogspfalz Heinrichs des Löwen. Westlich war er durch den Steilhang zum Kierling-bach begrenzt, östlich durch einen zum Teil heute noch erkennbaren Mauerzug, dem sich in neuerer Zeit gegen den Stadtplatz hin eine Häuserzeile vorgelagert hat.

Die nachweisbaren Bauten der Pfalz gehen auf zwei Epochen zurück. Die älteren Teile gegen die Hundskehle zu hat Markgraf Leopold im Anfang des 12. Jahrhunderts erbaut. Sein mächtiger Palasbau steht heute großenteils noch über zehn Meter aufrecht und dient den Häusern Rathausplatz 9 und 10, die den einstigen Burggraben als Kellergewölbe benützen, zum Hofgelände. Von der ersten Pfalzkapelle südlich davon stecken wahrscheinlich noch Reste in einem Nebenbau. Dazu sind urkundlich drei weitere Bauten, darunter vermutlich Kaplanswohnung und Gefolgehaus, und endlich der Bergfried bei dem Haupttor gegen die Hundskehle zu rekonstruieren.

Herzog Leopold VI., der Glorreiche, Urenkel des Markgrafen, der noch einmal die Residenz für etwa 15 Jahre nach Klosterneuburg verlegte, hat seit 1198 nach Süden hin weitere Bauten angeschlossen: zunächst einen neuen stattliehen Palas, der das „Muezhaus“, also den Speise- und Festsaal enthielt, mit seiner 32 Meter langen Ostmauer noch über 4 Meter hoch aufrecht steht und mit seinem Keller in dem Prälatengärtlein steckt.

Nach Süden folgte eine neue, prunkvolle Palastkapelle: die erst 1799 abgetragene Capeila speziosa oder marmorea, deren herrliche Marmorarkaturen ebenso wie das Portal in der Franzensburg-kapelle zu Laxenburg romantisch wiederverwendet sind. Der Sockel der Kapelle steht stellenweise noch aufrecht. Hier war einer der größten Baumeister am Werk, die je in Österreich gewirkt haben. Burgundischer Herkunft, hat er die reinen Formen der französischen Gotik als erster auf unseren Boden verpflanzt. Er stand, wie wir andernorts zu zeigen versuchen werden, im Dienst des Herzogs, für den er auch in Lilienfeld, Hainburg und Heiligenkreuz tätig gewesen ist, und hat zugleich mit der Errichtung der 1222 geweihten Capeila speziosa den alten Palas mit neuem Gewölbe, Tor und Kamin versehen. Eine nur nachrichtlich bekannte turris marmorea, südlich der Kapelle, darf man, da nur diese Bauhütte den Marmor bei uns verwendet zu haben scheint, wohl gleichfalls auf sie zurückführen.

Um 1230 muß die Klosterneuburger Pfalz mit dieser doppelten Besetzung an Palasbauten, Kapellen und Türmen, flankiert durch die Stiftskirche und ergänzt um die vielleicht teilweise in Fachwerk errichteten Nebengebäude gegen den Steilrand zu, einen imposanten Anblick geboten haben und eine der schönsten Herrscherresidenzen gewesen sein: angemessen der überragenden Stellung Leopolds des Glorreichen unter den deutschen Fürsten. Der Verfall hat spätestens einige Jahrzehnte danach, mit dem Brand gelegentlich der Eroberung durch Rudolf von Habsburg gegen Ottokar von Böhmen, begonnen. Die weiteren Geschicke der Pfalzbauten haben wir andernorts dargestellt.

Uber seine kunsthistorische Bedeutung hinaus ist das riesenhafte Baudenkmal, das wichtigste profaner Art aus romanischer Zeit in Österreich, auch von hohem geschichtlichem Interesse.

Die erste Anlage des Markgrafen zeigf schon in ihrer Größe den Aufschwung des Babenbergerhauses als Folge seiner Vermählung mit der Kaiserschwester Agnes, 1106. Diesen Termin darf man als Baubeginn ansehen, die Grundsteinlegung der Stiftskirche, 1114, dagegen als ungefähres Vollendungsdatum der Burganlage. Denn nun erweist sich, daß der Stiftsbau ebenso zur Erhöhung der Herrscherresidenz errichtet wurde, wie es in Goslar, Braunschweig usw. der Fall war. Nun erklären sich auch die einstigen Seitenschiffemporen des Münsters, die — sonst in Österreich unikal — der Palastkirche zur Aufnahme des Hofstaates zukamen. Auch die ungewohntere Wahl der Nordseite für den Klosterkonvent, erschwert noch durch das abfallende Hanggelände, wird jetzt aus der Notwendigkeit, die Südseite zur Pfalz hin freizuhalten, verständlich.

Während 1945 von uns noch die traditionelle Meinung vertreten wurde, daß Markgraf Leopold III. der Gründer des Stiftes sei, haben neue Forschungen von Wolf Hanns und dem Autor dies widerlegt. Der Markgraf hat ein in das 11. Jahrhundert und vermutlich auf das salische Kaiserhaus zurückgehendes Chorherrenkapitel schon vorgefunden. Auch der Name „Neuburg“ geht nicht, wie von uns früher vermutet, auf Leopolds Pfalzbau zurück, sondern ist viel älteren, vielleicht karolingischen, spätestens ottonischen Ursprungs. Diese gegen die Ostbedrohung durch die Ungarn gegründete Neuburg lag zweckmäßig auf der anderen westlichen Talseite, bei der Martinskirche, hinter der wir die alte Burgkapelle annehmen. In der Nähe dieser Burg ist auch der erste Platz des Clior-herrenstiftes zu suchen. In dem eben erscheinenden Buch des Autors über .Das Werden Wiens“ wird die Meinung begründet, daß Neuburg ein Königsplatz war und erst 1106 als Teil der Mitgift in den Besitz des Babenbergers gelangte Der Name „Neuburg“ setzt übrigens in der Nähe eine „Altenbürg“ voraus. Dieser Name wiederum weist häufig auf

Römerruinen zurück. So ist es wahrscheinlich, daß das römische Castrum am Osthang des Tales den Namen der Neugründung bei St. Martin veranlaßt hat. Auf diesen römischen Platz nun hat Markgraf Leopold seine neue große Pfalz gesetzt und sich dabei wohl auch des Baumaterials der Ruinen bedient. Und gewiß ist gleichzeitig der Plan gefaßt worden, das Chorherrenkapitel auf den neuen Burgplatz zu verlegen und in der gewohnten Weise mit dem Pfalzhof zu verbinden. Der Berghang, auf welchem das Stift erbaut wurde, gehörte vor 1114 einem Grafen Walter von Kling. Da dieser in dem Nekrolog des Stiftes als ein-rf stiger Besitzer dieses Bodens angeführt wird, muß es sich, wohl durch die Widmung des Grundes, ein Verdienst um dasselbe erworben haben. Wir wissen nicht, ob ihm auch der benachbarte Boden des Römerkastells und der späteren Pfalz zu eigen war und ob Leopold ihn zu der Stiftung des Platzes vermocht hat oder etwa sein Besitznachfolger aus Erbschaft oder über Königshnnd gewesen ist. Auf jeden Fall aber ist von da ab Klosterneuburg durch einige Jahrzehnte der Herzpunkt Österreichs. Erst um 1130 scheint Markgraf Leopold Wien erworben zu haben, und die Verlegung der Residenz dorthin, die unter seinem Sohn Heinrich Jasomirgott außer Zweifel steht, wurde wohl schon von ihm geplant. Das könnte mit ein Grund zur Umwandlung des weltlichen Chorherrenkapitels, wie es zum Dienst bei einem Fürstenhof geeignet scheint, in ein reguliertes Augustinerchorherrenstift strenger Observanz in den dreißiger Jahren gewesen sein. Denn dieses diente gewiß besser zum Totenkult in der als Grablege bestimmten Kirche, weniger aber zum festlichen Gottesdienst eines residierenden Hofes.

überraschend ist die Rückverlegung der Residenz durch Herzog Leopold VI. um 1198. Er hat sich gegen 1215 doch wieder für Wien entschieden. Ein halbes Jahrtausend später jedoch hat — ohne Wissen davon — Karl VI. mit seinem Traum eines österreichischen Eskorials an gleicher Stelle ähnliches versucht.

Wenn in Prag in den Jahren vor dem letzten Krieg die romanischen Baureste des Hradschin freigelegt, erforscht und ebenso vorzüglich konserviert worden sind, wie dies neuerdings durch Alfred N e u m a n n mit den Römerresten am Wiener Hohen Markt geschieht, so wäre für die Pfalzanlage von Klosterneuburg ähnliches berechtigt. Zumindest aber ist zu hoffen, daß die vom Bundesdenkmal-amt schon seit längerem geplanten Grabungen im nächsten Jahr stattfinden können. Sie würden mit geringen Schwierigkeiten die Rekonstruktion des neuen Saalbaues Leopolds des Glorreichen und der Capella speziosa ermöglichen und versprechen auch für den alten Palas Leopolds des Heiligen Aufschlüsse und vielleicht architektonisch und historisch gleich bedeutsame Funde.

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