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Wo das Rot-Weiß-Rot entstand

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In der an Mähren grenzenden Gegend des Horner Beckens erstreckte sich im frühen Mittelalter das ansehnliche Herrschaftsgebiet der mächtigen Waldviertler Grafen von Pcigen und Rebgau, „Poigreich“ genannt. Zur wichtigsten Grenzfeste in diesem Raum zählte damals die auf einem Felsen, hoch über der tief einschneidenden Taffa thronende Burg Wildberg, ein uralter Besitz der Poigreichgrafen, und im 12. Jahrhundert Sitz der Grafen von Hohenburg-Poigen. Sie wird im Jahr 1135 erstmals urkundlich erwähnt.

Als im 13. Jahrhundert das Geschlecht der Herren von Wildberg-Poigen erlischt, verliert das Poig-reich seine Selbständigkeit, wird von den damaligen Landesfürsten, den Babenbergern, geerbt und kommt als Lehen an die Grafen von Maissau, und noch später an die Puchiheimer.

Die Burg, welche inzwischen durch die Einfälle der Hussiten, Böhmen und Ungarn viel gelitten hat, wird Mitte des 16. Jahrhunderts von Hans von Puchheim verbessert, vergrößert und verschönert, wodurch sie im wesentlichen ihre heutige Gestalt erhält. Die Puchheimer, überzeugte und aktive Protestanten, machen Wildberg zu einem Mittelpunkt der Reformation. Eine seit 1570 auf der Burg betriebene Druckerei dient der Vervielfältigung von theologischen Werken und Flugschriften. Den Puchheimern gehört Wildberg bis zum Jahr 1622. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts geht die Burg in den Besitz des nahegelegenen Stiftes Altenburg über. Seit 1951 ist sie Privateigentum.

Der Babenberger Leopold VI. (1198 bis 1230), welcher nach dem Aussterben des Waldviertler Grafengeschlechts Poigen-Hohenburg-Wild-berg dessen Besitz erbte, hat zugleich auch deren Wappenschild mit den Farben Rot-Gelb-Rot übernommen, wobei er allerdings bald das Gelb des Mittelstreifens gegen Weiß auswechselte. Sein Nachfolger, Herzog Friedrich der Streitbare (1230 bis 1246), der letzte Babenberger, führte den rotweißroten Bindenschild bereits in seinem Amtssiegel. (Ein Siegel des Grafen Otto von Piain und Hardeck aus dem Jahr 1254 zeigt ebenfalls schon den Bannerträger mit der rotweißroten Fahne.) Von nun an blieb der Bindenschild dauernd das Wappen der österreichischen Herzöge. Mehr noch, er wurde zur Heerfahne, die für das 14., 15. und 16. Jahrhundert geschichtlich mehrmals belegt ist. So zogen die Galeeren Kaiser Karls V. im Jahr 1535 mit rotweißroten Wimpeln gegen Tunis. Als Seeflagge wurde die rot-weißrote Fahne im 18. Jahrhundert verwendet. 1786 wurde sie, in der Mitte mit einem von einer Königskrone überhöhten österreichischen Bindenschild belegt, zur Kriegs-, National- und Seeflagge erklärt.

Somit geht die österreichische Fahne, dokumentarisch nachweisbar, bis auf das Jahr 1230 zurück und zählt damit zu den ältesten staatlichen Symbolen in ganz Europa. Der rot-weißrote Bindenschild gelangte als Teil des habsburgischen Hauswappens ins Mittelstück des Wappens des kaiserlichen Österreich und kam schließlich auch in das Wappen der Republik. Die fromme Sage von der Entstehung des Bindenschildes auf dem Kreuzzug Leopolds V. ist historisch nicht belegbar und dürfte eine Erfindung der späteren Jahrhunderte sein. Die Wiege des österreichischen Wappens und der österreichischen Fahne stand also im niederösterreichischen Waldviertel, . im Poigreich. An einem steinernen spätgotischen Türstock der Burg Wildberg hat sich bis auf den heutigen Tag ein rotgelbrotes Binden-schildwappen der Grafen Wildberg-Poigen erhalten, das mit berechtigtem Stolz den Besuchern gezeigt wird.

Zur Burg Wildberg hinauf, die nur von Osten her zugänglich ist, führt heute ein ausgezeichneter Fahrweg. Eine steinerne Brücke über den Halsgraben leitet zu einem Rundbogentor mit Quaderumrahmung. Dann folgt ein schmaler Zwinger zwischen einer mit Schwalbenschwanzzinnen (um 1600) geschmückten Mauer mit Spuren des Wehrgangs und dem Hauptgebäude mit schön profilierten steinernen Fensterrahmungen. Es folgt ein zweites Tor, über dem ein Pavillon mit geschwungenem Blechdach auf vier hölzernen Säulen ruht. Von dem mittelalterlichen, fünfseitigen Berchfrit, der längst abgetragen wurde, hat sich nur der ebenerdige Teil erhalten, in dessen Mitte jetzt ein mächtiger Nußbaum wächst. Ein drittes Tor am Beginn einer tonnengewölbten Durchfahrt führt in den geräumigen Burghof. Die Nordostecke des Burghofes nimmt eine riesige, bruchsteingemauerte Rauchküche mit vorgesetzter zweigeschossiger Loggia ein; den oberen Arkadengang ziert ein Renaissancesteinportal aus der Zeit um 1560. Nach oben wird das mächtige Rauchküchengebäude von einer gewaltigen pyramidenförmigen Esse abgeschlossen, ihrer ungewöhnlichen Größe und ihrer originellen Form wegen ist diese Rauchküche das meistbestaunte Architekturdenkmal der alten Burg; manche behaupten, sie sei die schönste Rauchküche im gesamten deutschen Sprachraum, die den Hof umschließenden Trakte weisen Fenster mit feinen Steinrahmungen auf; darunter findet sich auch ein wappengeschmücktes Doppelbogenfenster aus der Renaissance.

Die Innenräume der Burg Wildberg, welche zum Teil noch dringender Restaurierung bedürfen, stehen heute leer, da der Großteil der Einrichtung, Möbel und Ölgemälde (Landschafts- und Familienbildnisse) aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert in das Stift Altenburg gebracht wurden. Der jetzige Eigentümer, der nur einige wenige Räume bewohnt, sah sich bald außerstande, für die Erhaltung der ganzen Burg zu sorgen. So bildete sich erfreulicherweise gegen Ende der sechziger Jahre ein Verein zur Erhaltung der Wappenburg Österreichs. Bald danach wurden von Bund und Land namhafte Subventionen zur Verfügung gestellt, welche nun eine Weiterführung der Außen- und Innenrestaurierungen auf Wildberg unter der Aufsicht des Bundesdenkmalamtes sichern. In den schon renovierten Räumen des Osttraktes beherbergt die Burg heute die Ausstellung „350 Jahre österreichische Armee“, die zu einer ständigen Ausstellung werden soll. In absehbarer Zeit will man hier zusätzlich auch ein Museum der evangelischen Reformation einrichten.

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