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Die Österreicher ein Altstamm, keine Bajuvaren

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Dies veranlaßt uns, einer weiteren Theorie näherzutreten, die weitgehend Anhang fand und im Dritten Reich besonders durch K. Haushofer und R. v. Schumacher (Das Werden des deutschen Volkes) mit einer politischen Note verbreitet wurde. Beide Historiker nehmen vom Quadenreich keinerlei Notiz und trachten zu beweisen, daß die Bevölkerung des nördlichen und östlichen Österreichs lediglich au einer Masse bayrischer Siedler entstand, die ab Mitte des sechsten Jahrhunderts „donauabwärts bis in das heutige Oberungarn drangen". Das dadurch entstandene „Neubayern“ wird mit „Wurzelschossen des alten Stammes“ verglichen. Da hiefür keine Beweise erbracht werden konnten, wurde eben die Abwanderung oder der Untergang der früheren Bevölkerung angenommen. Das Fehlen einer Siedlungsgeschichte des österreichischen Stammvolkes machte es den beiden Verfassern leicht, dieses österreichische Stammvolk als „bayrisches Tochtervolk" also gewissermaßen als Kolonialvolk, hinzustellen, das „in Mundart und Gebärde ... dem bayrischen Mutterboden fest verhaftet ist“, obgleich ihm manche „Sondemote" zugestanden wird. Ja sogar die mundartlichen Unterschiede innerhalb des österreichischen Volkes wären von den „Altbayern“ übernommen worden.

Bekanntlich besteht allgemein die Auffassung, daß die Bajuvaren aus den Markomannen hervorgegangen wären, als diese im sechsten Jahrhundert südlich und südwestlich abwanderten. L. Schmidt (Westgerm. S. 195 ff.) macht neuerdings Argumente gegen diese Theorie geltend, zumal weder die Archäologie noch Überlieferungen dafür sprechen. Letztere reichen für die Markomannen nur bis ins vierte Jahrhundert. Schmidts neue These geht nun dahin, daß die in Pannonien massenhaft ansässig gewesenen Markomannen um 396 die Nachbarn der seinerzeit aus Böhmen ausgewan- derten Bojer geworden waren und wahrscheinlich zusammen mit diesen als hunnische Untertanen nach der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern (451) sich in Rätien, dem heutigen Bayern, ansiedelten.

Wer immer die Vorfahren der Bajuvaren waren, sie können unmöglich ein so zahlreiches Volk gewesen sein, daß es bereits ab Mitte des sechsten Jahrhunderts den nördlichen österreichischen Raum besiedelte.

Interessant ist ein Hinweis von L. Schmidt über die Ortsnamen auf -ing, die bekannt lich zu den frühesten germanischen Ansiedlungen zählen, „in Noricum besonders zahlreich aufzutreten scheinen“, was Riezler (Geschichte Bayerns) zu der Annahme ver- anlaßte, Noricum als erstes Ziel der landsuchenden Bajuvaren zu betrachten. Auf alle Fälle bezeugen diese Orte eine älteste germanische Besiedlung und beweisen nidits anderes, als daß der Stamm der Österreicher ein Altstamm und die Annahme, er wäre aus bajuvarischen Siedlern hervorgegangen, abwegig und beweislos ist. Beide Stämme sind aber swebi- schen Ursprungs, was schon die gleichartige Mundar.t beweist.

Die Awarenherrschaft, die oft als kulturvernichtend im weitesten Sinn dargestellt wird, beschränkte sich im wesentlichen auf Ungarn. Daß Wien wie auch das östliche Niederösterreich unter ihre Herrschaft kamen, begründet kein Zugrundegehen der Bevölkerung. Erinnern wir uns nur der unter hunnische Herrschaft geratenen Ostgoten (von 375 bis 453), deren Volkstum und politische Organisation keinerlei Einbuße erlitten, und der romanisierten Daker, der heutigen Rumänen, durch deren Gebiet die Goten, Ge- piden, Bulgaren, Awaren und Türken zogen, unter deren Botmäßigkeit sie sogar durch Jahrhunderte lebten, ohne den Untergang gefunden zu haben. Ähnliche Beispiele können noch mehrfach angeführt werden. Man vernichtete auch damals nicht grundlos eigene Untertanen, da ihr Weiterbestehen nutzbringender war.

Zu erwähnen wäre audi der Zug der Nordslawen im sechsten Jahrhundert nach Westen bis Thüringen hinein. Wäre der nordösterreichische Raum fast menschenleer gewesen, so hätten die Nordslawen ihn im folgenden Jahrhundert sicherlich besiedelt, beziehungsweise unter ihre Herrschaft gebracht. Die wenigen nordslawischen Siedler, die ins Land kamen, wurden von der germanischen Bevölkerung bald aufgesogen.

Nach der Auseinandersetzung der Karolinger mit den Awaren (Gründung der Ostmark) kamen zu deren Sicherung wohl neue Siedler aus dem Westen, darunter auch Bayern, sie vermochten aber weder Volkstum noch Mundart wesentlich zu beeinflussen. Auch der Rückschlag der Magyarenherrschaft im zehnten Jahrhundert änderte nichts daran. Er war nur politischer Natur, wenn auch mit Drangsalen und Menschenverlusten verknüpft. Wenn „Ostarrichi“ als „übliche Bezeichnung“ erst im Jahre 996 urkundlich aufscheint, so war sie sicherlich schon ein bis zwei

Jahrhunderte vorher in Übung gewesen. —

Damit sind wir schon im hohen Mittelalter angelangt. Wir wollen uns hier noch des Schicksals der Nachkommen der Quaden- sweben, beziehungsweise der Schwaben in Hispanien erinnern. Deren Siedlungsraum lag auf Grund der Ortsnamenforschung um Braga, zwischen den Flüssen Mino und Duero. Dieses Gebiet wurde zur Zeit der Reconquista von dem asturisdien König

Alfons III. (866 bis 909) von den Arabern zurückerobert und zur Grafschaft Portugal erhoben. Schon Jahrzehnte nachher gab es dort, vom Adel geführt, Autonomiebestrebungen, die später, von der Kirche unterstütz und vom Papst sanktioniert, im Jahre 1139 die Unabhängigkeit Portugals erzwangen. Portugiesische Historiker knüpfen, wohl mit Recht, mit der Selbständigkeit ihres Landes an die Tradi tion des alten Swebenreiches an.

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