Armes einsprachiges Land

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Slowenische Namen sind kein Zusatz auf Kärntner Ortstafeln, sondern Teil einer langen Geschichte. Karantanische Gedanken von Herwig Wolfram.

In der Nähe von Mohács, wo am 29. August 1526 das Ungarnheer Ludwigs II. (1516-1526) von den Türken vernichtet wurde und damit Ungarns Habsburgerzeit begann, gibt es seit langem viele Dörfer mit ungarisch-deutschen Ortstafeln. Wer bei Udine die Autostrada verlässt und in östlicher Richtung gegen Cividale, zur alten Hauptstadt Friauls, fährt, findet sogar dreisprachige Ortstafeln: italienische, furlanische und slowenische.

Keinen Menschen stört es heute mehr, dem Staat und seiner Sprache wie den lokalen und regionalen ethnischen Minderheiten und ihren Sprachen gerecht zu werden, steht doch hinter diesen Tafeln eine lange gemeinsame Geschichte. Sie reicht in Friaul bis in Antike und Frühmittelalter, in Ungarn bis ins 11. Jahrhundert zurück. Damals rief der Heilige Stephan die ersten Fremden, vor allem "deutsche Gäste" ins Land, die ihm zweimal die Herrschaft retteten. Kein Wunder, dass er seinen Sohn Emmerich zu ihrer guten Behandlung ermahnte, weil ein Land arm sei, in dem nur eine Sprache gesprochen werde. Dieser fast 1000 Jahre alte Satz sollte doch auch für Kärnten gelten, sodass zweisprachige Ortstafeln als sichtbare Erinnerung an eine lange gemeinsame Geschichte verstanden werden.

Karantanien: Pionierland ...

Kärnten kommt von Karantanien. Dieses frühmittelalterliche Land umfasste rund 35 Prozent des heute österreichischen und etwa 10-15 Prozent des slowenischen Staatsgebiets. Das heißt, karantanisch war das heutige Bundesland Kärnten, Osttirol, der Salzburger Lungau und Enns-Pongau, die Steiermark ohne die Oststeiermark, der Süden von Ober-und Niederösterreich bis zum Austritt der Flüsse ins Alpenvorland, dazu die heute slowenische Untersteiermark bis ins Savetal bei Celje/Cilli.

Die slawischen Vorfahren der Karantanen wanderten noch vor 600 in das römische Binnennorikum ein; sie konnten bei der Verteidigung ihrer Erwerbungen gegen die fränkisch-bayerischen Nachbarn auf die Hilfe der Awaren zählen, waren aber auch von ihnen abhängig. Die Awaren sind in der österreichischen Öffentlichkeit kaum bekannt, obwohl sie im Zentrum des heutigen Ungarn ein riesiges Vielvölkerreich errichteten, das fast 250 Jahre lang bis in die Karolingerzeit dauerte und das vorwiegend slawische Mitteleuropa beherrschte. Die Slawen des ostalpinen Raums nützten die erste Schwächung der Awaren und errangen um 630 die Selbständigkeit. Sie behaupteten diese nicht bloß gegen die wieder erstarkten Awaren, sondern auch gegen Langobarden, Franken und Bayern. Wir wissen davon, weil die Quellen berichten, dass die Alpenslawen Flüchtlinge, Einzelpersonen wie ganze Gruppen, aufnahmen, die von den Herrschern der benachbarten Reichen verfolgt wurden.

Um 700 waren aus den Alpenslawen die Karantanen geworden. Die meisten Einzelheiten dieses Prozesses sind nicht bekannt. Sicher ist jedoch: Der Karantanenname, der soviel wie "Stein-und Felsenleute" bedeutet, ist nichtslawischer Herkunft und reicht in vorrömische Zeit zurück. Er kommt wohl aus dem Zentrum des Landes, dem später so benannten Zollfeld, und muss von der einheimischen romanischen Bevölkerung, deren Spuren Kärntner Ortsnamen bezeugen, überliefert worden sein.

Der erste bekannte Karantanenfürst herrschte um die Mitte des 8. Jahrhunderts. Zu seiner Zeit versuchten die Awaren, die Karantanen wieder zu unterwerfen. Diese versicherten sich der Hilfe der Bayern, schlugen die Angreifer gemeinsam zurück, gerieten aber dabei selbst unter die Oberhoheit der "hilfreichen" Nachbarn. Die Bayern waren damals ihrerseits vom Frankenreich, wenn auch nur lose, abhängig. Die Erweiterung des bayerischen Herzogtums über die Alpen erlaubte es dem Iren-Bischof Virgil von Salzburg (746/47-784), Karantanien mit Erfolg, jedoch nicht ohne schwere Rückschläge zu missionieren.

Der Sieg des Bayernherzogs Tassilo III. (748-788) beendete im Jahre 772 die letzte einer Reihe heidnischer Reaktionen. Gleichzeitig stellte der Bayernherzog das karantanische Fürstentum wieder her, das seinen Sturz im Jahre 788 überdauerte und erst 828 von den Karolingern durch die fränkische Grafschaftsverfassung und das bayerische Recht abgelöst wurde. Ungefähr seit dieser Zeit sind auch vermehrt Bayern in Karantanien nachzuweisen; sie waren Grundbesitzer und beuteten die reichen Bodenschätze des Landes aus.

... seit dem Mittelalter

Auch unter der neuen Verfassung behielt Karantanien seinen Vorrang im Osten Bayerns. Arnulf (\0x2020 899), dem die Nachwelt den Beinamen "von Kärnten" gab, befehligte das Land, bevor er 887/88 mit "Hilfe von Bayern und Slawen" zum ostfränkischen König aufstieg. Dass Karantanien 976 das älteste Herzogtum auf österreichischem Boden wurde, entsprach ebenfalls dem hohen Ansehen des Landes, das sogar noch der spätmittelalterlichen Legitimierung der habsburgischen Erzherzogswürde diente.

Das aus mehreren Völkern bestehende Fürstentum der Karantanen besitzt wegen seiner vielen "Erstmaligkeiten" nicht bloß für die österreichische Geschichte große Bedeutung: Zum einen entstand in diesem Land die älteste staatliche Ordnung unseres Raums. Die Karantanen waren zweitens das erste slawische Volk, das erfolgreich, weil von oben nach unten, christianisiert wurde. Die Voraussetzung dafür schuf drittens eine Dynastie, die eine - ebenfalls unter den Slawen erstmals bekannte - Monarchie im Sinne von Einherrschaft ausübte.

Mit besonderer Vorliebe befasst sich die verfassungsgeschichtliche Interpretation mit dem Anteil der Karantanen an der Erhebung ihrer Fürsten. Die aus dem hohen und vor allem späten Mittelalter überlieferten Berichte über die Kärntner Herzogseinsetzung werden dafür herangezogen. Abt Johann von Viktring berichtete im 14. Jahrhundert, vor seiner feierlichen Einsetzung werde der Kärntner Herzog von einem Bauern als Vertreter des Volkes in slawischer Sprache auf seine Eignung als christlicher Herrscher geprüft.

Es ist unvorstellbar, dass die Zeremonie auf diese Weise bereits im 8. Jahrhundert stattgefunden und sich seither nicht verändert hat. Sicher ist jedenfalls: Die politische Elite Karantaniens erhob ihren Fürsten mittels einer "Thronsetzung", wie sie auch für die böhmischen Fürsten überliefert wird, und verwendete dafür - wohl vor der Karnburg am Südwestrand des Zollfelds - den Fürstenstein.

Dieser - nicht zu verwechseln mit dem Zollfeldner Herzogsstuhl - ist eine umgedrehte ionische Säulenbasis, wahrscheinlich eine Spolie aus der Römerstadt Virunum nördlich von Klagenfurt, und wird heute im Kärntner Landesmuseum aufbewahrt. Mit dem Fürstenstein hinterließen die Karantanen viertens das älteste erhaltene Herrschaftszeichen nicht nur Mitteleuropas.

Ein Symbol ist teilbar

Slowenien bildete den Fürstenstein 1991 auf einer Tolarnote ab und wird demnächst eine 2-Cent-Münze damit schmücken. Nördlich der Karawanken regt man sich über diese, freilich unhistorische, Symbol-Usurpation mächtig auf. Tatsächlich bildet die Krain das Kernland des heutigen Slowenien. Die Krainer, die Carniolenses, werden aber bereits in den Reichsannalen zu 820 eindeutig von den Karantanen unterschieden. Bei gutem Willen ist jedoch ein Symbol, wie der Name sagt, teil-und übertragbar.

Das griechische Symbolon war ein aus zerschnittenen Teilen zusammengesetztes Ganzes, woran der Freund den Freund nach Jahren wieder erkannte und der Sohn des Freundes sich dem Sohn des Freundes zu erkennen gab. Es wäre schön, ja vernünftig, könnte man sich südlich wie nördlich der Karawanken darauf einigen, den karantanischen Fürstenstein, der nicht bloß für die Geschichte Kärntens und der Steiermark, sondern auch für die der slowenischen \0x0160tajerska Verbindlichkeit besitzt, als verbindendes und nicht als trennendes Symbolon zu verstehen.

Ebenso müsste es in diesem Sinne nicht besonders schwer fallen, die Sprache des anderen als bodenständig und einheimisch anzuerkennen. Sichtbares und selbstverständliches Zeichen einer solchen Haltung sind auch zweisprachige Ortstafeln. Man soll sie nicht ablehnen, sondern stolz auf sie sein, erinnern sie doch an die lange, die Zukunft verpflichtende Geschichte eines Landes, das niemals so arm war, dass nur eine Sprache gesprochen wurde.

Der Autor ist emeritierter Professor für mittelalterliche Geschichte an der Universität Wien.

Literatur: Herwig Wolfram, Grenzen und Räume. Geschichte Österreichs 378-907 (Ueberreuter, Wien 2. Aufl. 2003).

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