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„Daitsche Gultur..

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Sie leben wie alle andern Österreicher und sind ebensowenig nur Gäste wie die Deutschen.

Woher rühren übrigens die so häufigen Ortsnamen auf „itz“? Sie sind slawischen Ursprungs: die

Mallnitz, Flattnitz, Hochosterwitz, Feistritz, die Gerlitzen, aber auch die Leibnitz, Andritz, Mixnitz, Deutschfeistritz, Töplitz, Gloggnitz, Temitz, Tümitz, Opponitz, Ybbsitz.

Unser Alpengebiet war von Kelten, dann von Römern und vom sechsten bis zum achten Jahrhundert von Slawen besiedelt. In Niederösterreich schoben sich in der Folge die Bajuwaren dazwischen, und die Awaren und Ungarn trennten die Slawen vollends in Nord- und Südslawen.

Diese Volksbewegungen haben sich offenbar friedlich abgespielt, keine Geschichte berichtet über nationale Auseinandersetzungen, wenngleich es natürlich territoriale Kämpfe gab.

Und heute? Zweisprachige Ortstafeln, eine Selbstverständlichkeit wie der Regenschirm bei schlechtem Wetter, werden zu einer Haupt- und Staatsaktion emporgewirbelt. Von den Deutschen, die erst nach den Slawen gekommen waren. Und von den daitschen Käuzen, die bis zu ihrem schwer beweglichen Zungenspitzel hinauf noch tief in den slawischen Socken stecken.

Rührend war es, als im Fernsehen ein Slowene einen „echten“ Deut schen mahnte, er möge doch sein Slawentum nicht verleugnen. Der wackere Kärntner versicherte aber in unverkennbar slawischem Idiom: „Ich habe die daitsche Gultur in mir aufgenohmen und ich fihle mich ganz als Daitscher!“ Fürwahr: ein iberzaigender Beweis …

Die Wahrheit ist, daß die Slawen durch Generationen das alte Österreich, Tirol und Vorarlberg ausgenommen, bewohnt haben. In friedlicher Entwicklung kam es zu weitgehender Vermischung von Slawen und Deutschen und zu den heutigen Wohngebieten.

Was der nationale Wahn hervor- rufen kann, das haben wir in unserem Jahrhundert schmerzlich erfahren. In sträflicher Einsichtslosigkeit zerstörte man das alte Österreich-Ungarn, das mit seinen zehn Nationen geradezu einen idealen Vorgriff auf ein vereinigtes Europa darstellte. Wer hörte aber auf Karl Renner und andere Sozialisten, die als erste in Wort und Schrift die Umwandlung des Reiches in einen Bundesstaat autonomer Völker im Rahmen der alten Donaumonarchie forderten?

Welche Zunge wir heute in Mitteleuropa sprechen, ist Zufall, Laune des Schicksals. Wenn wir die Kultur, in die wir hineingeboren wurden, als unser Heim empfinden, das wir lieben und pflegen, so ist dies nur natürlich, es ist Glück und Reichtum des Menschen. Und man sollte stolz darauf sein.

Man greife zum Wiener Telephonbuch und sehe sich die bunte Kaisermischung von deutsch-slawisch- madjarischen Namen an, die Hofer und Dvorak, die Berber und Horak, die Schmied und Kovač, die Schwarz und Cemy, die Lang und Dlouhy, die Kurz und Kratky, die Schwärzer und Cernec, die Wurzer und Koren, die Amtmann und Kreisky, die Breit und Siroky, die Nachtigall und Slavik, die Bär und Medved, die Binder und Bednar, die Brauer und Sladek, die Hütte und Chalupa, die Weide und Vrba, die Zimmermann und Te- saf… man könnte den Reigen seitenweise fortsetzen.

Es ist heute, 1975, eine wahre Affenschande für uns Österreicher, die wir ein Mischvolk par excellence sind, daß die „daitschen“ Derganc, Globocnik und Pernicas in Kärnten ihren Mitbürgern die zweisprachigen Ortstafeln verweigern wollen, nur weil diese winzige Minderheit ihrer slawischen Herkunft bis zur Stunde treu geblieben ist. Die Tafelstürmer bereiten sich und allen Österreichern, die im allgemeinen als menschlich und tolerant gelten, die größte Blamage.

Die Slowenen in Kärnten haben sich für Österreich entschieden. Die Demokratie im deutschsprachigen Österreich ist ihnen mehr wert als die Diktatur im slawischen Nachbarland. Haben wir nicht allen Grund, diese Einsicht entsprechend zu honorieren? Zumal eine Haltung der Slowenen für Österreich immer der stärkste Garant für Kärntens Grenzen sein wird?

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