Ein Altar auf Wanderschaft

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Wien 9., Servitenkirche: Wie einen "alten" Kirchenraum "neu" gestalten? Ein Zwischenbericht von Isabella Marboe

Die fällige Innenraumsanierung der Wiener Servitenkirche nahm der Pfarrgemeinderat zum Anlass, um in einem gemeinsamen Prozess mit Gläubigen, dem Konvent, Bundesdenkmalamt und dem Altarbeirat der Erzdiözese den besten Ort für den Volksaltar zu finden. Unterm Gewölbebogen zwischen Kirchenoval und Apsis wird derzeit am 1:1 Modell seine Position getestet.

Urbanes Kleinod

Als urbanes Kleinod liegt das Servitenkloster am Alsergrund, vor dessen barocker Kirchenfassade sich ein idyllischer Platz ausbreitet. 1638 erhielt der Orden auf Fürsprache des Fürsten Ottavio Piccolomini die bischöfliche und kaiserliche Genehmigung zur Niederlassung in der Rossau. Am 19. Mai 1639 wurde der ausgebaute Stadel des Vorstadthauses der Witwe Quantin zur hölzernen Notkirche geweiht, die als "Betlehem" oder "Krippe des Herrn" in die Annalen einging, 1651 der Grundstein zur Kirche gelegt. Den Namen des ersten Baumeisters kennt die Klosterchronik nicht, Carlo Martino Carlone leitete den zweiten Bauabschnitt, Franz und Carlo Canevale vollendeten die Kirche, die 1677 geweiht wurde und die Türkenbelagerung heil überstand.

Kreuzförmig legt sich ihr Grundriss über einen elliptischen Zentralraum, der Eingang mit den Seitenkapellen im Osten und die Apsis mit dem Hochaltar im Wes-ten bilden seine Längsachse, in der Querachse buchten sich der Schmerzens- und der Annaaltar aus dem Oval, hinter dem an der südlichen Längswand noch die konvex-konkave Raumfolge der Pellegrini-Kapelle eingefügt ist. Vier halbkreisförmige Nischen in den Ellipsenbögen komplettieren das barocke Raumprogramm, bis heute ist der arkadengesäumte Klosterhof eine versteckte Oase der Stille, im kunstvoll überkuppelten Gotteshaus gedeiht ein reges Glaubensleben. Hier zelebrieren die Patres ihre Konventsmessen, die Schwestern der Caritas Socialis und die Schüler des Lycée français sind gern gesehene Gäste, junge Erwachsene gestalten die Sonntagabendmesse mit anspruchsvollen Liedern und Texten, etwa 6400 Mitglieder zählt die Gemeinde.

Helles Sonnenlicht strömt durch die Rundfenster über die goldfarben durchwirkten Fresken des Marienlebens, die das mit Stukkaturen von Johann Baptist Barbarino überzogene Gewölbe zieren und in bester Barockmanier scheinperspektivisch immer während himmlische Freude verströmen. Doch der irdische Putz, der sie trägt, ist ein Sanierungsfall: die Fresken müssen gesäubert, der ganze Innenraum renoviert werden. "Die Servitenkirche ist der erste ovale Zentralkuppelbau Wiens, sie diente der Karls- und Peterskirche als Vorbild, natürlich wollen wir Sorge für sie tragen", sagt Ferdinand Klaban, der hier schon ministrierte und im Pfarrgemeinderat für Finanzen zuständig ist. "Aber der Raum ist nicht mehr liturgiegerecht, Renovierung und Neugestaltung werden uns zwei Millionen Euro kosten: wir wollen kein, Museum' herrichten, sondern hier auch zeitgemäß feiern können."

Sanieren und Umgestalten

2004 wurde mit dem Servitenkonvent die Sanierung beschlossen, die man mit finanzieller Unterstützung und in Absprache mit dem Bundesdenkmalamt und der Erzdiözese Wien in einem partizipativen Prozess auch zur Umgestaltung nutzen wollte. Die Gemeinde nahm ihre Sorge um die pfarrlichen Räumlichkeiten sehr ernst: im Sommer 2003 gründete sich die Initiativgruppe K.I.R. (Kirchen.Innenraum.Renovierung), bald stieß Manuel Schweizer dazu, der als Architekt bereits viele Partizipationsprojekte abwickelte. Denn der neue Altar sollte kein Stein des Anstoßes sein, sondern auf der soliden Basis des gemeinsamen Konsens fußen.

Man traf sich wöchentlich, veranstaltete eine Vortragsreihe zur liturgischen Weiterbildung, betrieb Öffentlichkeitsarbeit, sensibilisierte in einer Predigtreihe für das Thema und startete eine Befragung. "Wir wollten auf alle zugehen und sie einbinden", erzählt Manuel Schweizer: "Die Leute sollten uneingeschränkt ihre Wünsche, Hoffnungen, Befürchtungen und Ärgernisse ausdrücken können."

Vier Stufen über dem Bodenniveau des Ovals und fast zehn Meter von der ersten Bankreihe entfernt steht der Altar aus Admonter Marmor auf einem Podest inmitten der Apsis, die von einem Kommuniongitter gefasst wird. Auf dem Weg vom Tisch zum Brot des Herrn muss der Priester achtsam schreiten, um eine Stufe treppab, ein paar Schritte geradeaus und den Niveausprung auf den Sockel des Hochaltars stolperfrei zu überwinden. Wenn er auf der Sessio vor dem linken Seitenpfeiler Platz nimmt oder Ankündigungen liest, fällt sein Blick auf die Wand gegenüber. Um diesen Altar können sich keine Kinder und Jugendlichen scharen, intimeren Feiern verwehrt sich der Zentralraum, auch die Pellegrini-Kapelle ist dafür zu lang.

"Unsere Kirche ist als Autobuskirche verrufen, der Priester zu weit weg vom Volk", sagt Klaban. "Wir versammeln uns um den Tisch des Herrn und der Tisch ist irgendwo. Wir spüren einander nicht." Für Feiern wie Hochzeit, Firmung und Erstkommunion ist die Kirche sehr beliebt. "Einige wünschen sich den Altar dann weiter vorne, weil sie nicht mit dem Rücken zu Freunden und Verwandten heiraten wollen."

Traum und Wirklichkeit

Viele Skizzen und Vorschläge trudelten in der ersten "Traumphase" ein, klar zeigten sich Grundbedürfnisse und Defizite. Einige waren für die Beibehaltung des Status Quo, andere gruppierten die Bestuhlung in einem Oval oder segmentförmig um Altar und Ambo in der freien Mitte an die Längsseiten. "Ich gehe jede Wette ein, wenn der Altar weiter vorne steht, wird es eine Resonanz geben, von der niemand zu träumen wagte", sagt Manuel Schweizer. Fast alle stießen sich an den fixen Bankreihen mit ihren 230 Plätzen.

Diesem Traum wies das Bundesdenkmalamt klare Schranken: "Man kann hier nicht einfach zwei Bankreihen wegnehmen. Die Servitenkirche ist eine der umfassendsten im Original erhaltenen barocken Kirchen Wiens. Das Besondere ist, dass wir es nicht mit einem Längs-, sondern mit einem Ovalgrundriss zu tun haben. Sogar die Bänke passen sich dem an: sie sind vorne kürzer, hinten länger," sagt die Wiener Landeskonservatorin Barbara Neubauer. "Die Geschlossenheit von Architektur und Ausstattung ist einmalig: hier ist alles wie aus einem Ei. In der Denkmalpflege geht es darum, den historischen Kirchenraum zu begreifen und zu akzeptieren. Altäre haben ihre Geschichte, die kann ich nicht einfach auslöschen. Es ist aber sicher möglich, den Volksaltar vorzurücken."

Die Mehrheit der Befragten transferierte den Altar an den Rand des Ellipsenbogens, Ambo und Sessio an die Seiten, das Taufbecken in das Presbyterium. "Es steht jetzt im Eingang, dort ist stetes Kommen und Gehen, es zieht enorm. Unser Kaplan taufte mit Schüssel und Kanne im Altarraum, das war sehr feierlich," sagt Klaban. Pfarrer Georg Stockert, praxisgeeichtes Mitglied des Altarbeirats der Erzdiözese Wien, hat dafür Verständnis. "Doch das Presbyterium der Servitenkirche ist auch nicht optimal: für Rollstühle sind seine zwei, drei Stufen eine unüberwindbare Barriere. Es gibt aber einen Kranz von Kapellen, an dem ich mir eine Taufe sehr gut vorstellen kann."

Daran und an der Position des Altars scheiden sich noch die Geister. "Er ist einer der ersten steinernen Volksaltäre, die in Wien unmittelbar nach dem Konzil 1967 von Erzbischof-Koadjutor Franz Jachym geweiht wurden. Er hat eine schöne Proportion, in hundert Jahren ist er eine Sensation. Es tut mir weh, dass dafür kein Verständnis da ist," sagt Diözesankonservatorin Hiltigund Schreiber. "Man kann den Raum nicht um 90 Grad drehen. Die Blickrichtung ist eindeutig auf den Hochaltar ausgerichtet, über dem in den Fresken Gottvater thront: die Dreifaltigkeit ist hier ablesbar, der Barockaltar muss der Sakramentaltar bleiben. Für uns ist ganz wichtig, das Presbyterium nicht zu isolieren."

Konsens in Sicht

Nun einigte man sich darauf, den Altar zwischen die Seitenpfeiler unter den Triumphbogen zu stellen, eine Bestuhlung für kleinere Feiern im Presbyterium ist angedacht. "Der Raum ist in sich stimmig. Er ist nicht gewachsen, sondern so konzipiert", sagt Architekt Harald Gnilsen, Bauamtsdirektor der Erzdiözese: "Es geht um eine Liturgie, die den ganzen Menschen über alle Sinne anspricht. Der Raum ist ein wesentlicher Faktor: Ich kann die Lage des Altars nicht nur aus dem Kopf bestimmen: man spürt gute und schlechte Plätze." Dafür baute die Gemeinde dem Altar nun im 1:1 Modell ein Podest unter dem Triumphbogen, auf dem die beste Position in Verbindung mit Ambo und Sessio nun im täglichen Praxistest erprobt wird. Demnächst erfolgt eine Begutachtung mit Bundesdenkmalamt und Altarbeirat, Künstler werden ihr dann den letzten Feinschliff geben. Gnilsen: "Ich bin sicher kein Zentimeterreiter. Es ist ein wichtiger Diskussionsprozess, wir haben inzwischen eine gemeinsame Geschichte und kommen sicher zu einer glücklichen Lösung."

www.rossau.at/servitenkirche/ kircheninnenrenovierung/

Veranstaltungstipp

Im Rahmen der Langen Nacht der Kirchen lädt die Pfarre Rossau anlässlich des Prozesses der Kirchenraumneugestaltung der Servitenkirche zur Podiumsdiskussion hier und jetzt. zeitgenössische kunst in historischen kirchen. was ist notwendig? - wie ist es möglich? ein. Es diskutieren: Katharina Blaas-Pratscher/Public Art Niederösterreich, Tomas Hoke/Künstler, P. Gustav Schörghofer SJ/Rektor der Jesuitenkirche und Künstlerseelsorger, Felix Orsini-Rosenberg/Architekt (Moderation: Otto Friedrich, Die Furche)

Ort: Servitenkirche - Pfarrsaal der Pfarre Rossau, 1090 Wien, Servitengasse 9 (Ecke Grünentorgasse)

Freitag, 1. Juni, 18.45 bis 20.15 Uhr

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