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Zentrum der Christen Englands

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Am 25. Mai 1962 wird in Anwesenheit von Königin Elisabeth II. die feierliche Weihe der neuen St.-Micha-els-Kathedrale von Coventry erfolgen, zu der die Königin im März 1956 den Grundstein legte.

Seit dem Baubeginn im Jahre 1955 bis vor wenigen Monaten hatten die Einwohner von Coventry und die zahlreichen Besucher aus aller Welt, die kamen, um die Ruinen der alten Kathedrale aus dem 14. Jahrhundert zu besichtigen, die Möglichkeit, den Fortschritt der Bauarbeiten an der neuen Kathedrale, deren Entwurf von Sir Basil Spence stammt, zu verfolgen. Während des letzten halben Jahres war dies jedoch nicht mehr möglich, da die Außenarbeiten schon fast beendet sind und der Öffentlichkeit der Zutritt zu der Kirche wegen der Arbeiten an der Innenausgestaltung des Gotteshauses verwehrt werden mußte.

Erst seit der Entfernung der Stahlgerüste ist es möglich geworden, die eindrucksvolle Weite des Inneren der Kathedrale zu bewundern und sich ein Bild davon zu machen, welche Möglichkeiten die neue Kathedrale bietet. Nur aus dem Kircheninnern ist es möglich, die überwältigende Schönheit der Glasmalerei der Fenster zu bewundern, die allerdings, ebenso wie etwa die vierzehn schlanken Säulen und der Marmorboden des Schiffes, erst nach der Weihe des Gotteshauses im Mai vom Publikum entsprechend gewürdigt werden können.

Der Propst der neuen Kathedrale führte mich durch die Räume, um mir ein Bild des gegenwärtigen Standes der Innenarbeiten, wenige Wochen vor der Weihe, zu vermitteln. Als Standpunkt wählten wir die Apsis der Taufkapelle, deren eindrucksvollstes Merkmal das Glasfenster nach einem Entwurf von John Piper ist, und das schon jetzt, im. unfertigen Zustand, ahnen läßt; daß es dereinst ein-hervorragendes Wahrzeichen -der Kathedrale werden urld sich dem Besucher unvergeßlich einprägen wird. Die Orgel nähert sich ihrer Fertigstellung und das Chorgestühl, mit dem sich überall wiederholenden Motiv der Dornenkrone, ist schon teilweise eingebaut. Die großen Tafeln mit Bibelworten sind bereits fertiggestellt. Unter jedem Fenster befindet sich eine massive Steinbank, die sogenannten Pilgersitze.

Schon ist auch das Muster des Marmorbodens erkennbar, bei dem besonders die eingelassenen Flächen aus schwarzem Marmor auffallen, die die Farbenpracht der Glasfenster wie in einem stillen, tiefen Wasser widerspiegeln. Auch das Kirchengestühl ist schon fertig und wartet darauf, im Inneren des Schiffes aufgestellt zu wer-

den. Unter dem Bogen der Taufkapelle befindet sich ein großer als Taufbecken behauener Felsblock aus Bethlehem.

Lassen wir die Augen durch das Schiff zu der Kapelle der Einigkeit (Chapel of Unity) wandern, so fällt uns besonders der prachtvolle Mosaikboden der Kapelle auf. Er ist eine Gabe des schwedischen Volkes und wurde nach Entwürfen des schwedi-

sehen Malers Elnar Forseth in London angefertigt. Entwurf und Innenaus-.gestaltung dieser Kapelle sind unge-wohnlich rr-uftd- außerordentlich ein-dtucksvoll.

Von unserem Standort aus gesehen, wirkt die Verbindung zwischen Schiff und Kapelle wie eine Bühne, ein vom Architekten ganz bewußt herbeigeführter Effekt, da es beabsichtigt ist, hier diejenigen geistlichen Spiele aufzuführen, die sich weniger für den Altarraum eignen, der den traditionellen Krippen- und Passionsspielen vorbehalten bleiben soll.

Schauen wir in die Richtung des Hochaltars, so wird unser Blick von dem riesigen Wandteppich gefangengenommen. Er wurde nach einem Entwurf von Graham Sutherland eigens in Frankreich gewebt und erst kürzlich

nach England gebracht. Er stellt Christus sitzend, in Lebensgröße, mit zur Segnung erhobenen Händen dar, umgeben von den vier Evangelisten, zu seinen Füßen eine Figur, die das Menschengeschlecht symbolisiert.

Als Mittelpunkt des Kircheninneren hebt sich der Hochaltar durch seine betonte Einfachheit hervor. Er ist absichtlich so einfach gehalten, da ein in

der herkömmlichen Weise verzierter Altar vor dem überwältigenden Hintergrund des Wandteppichs kaum. zur Geltung kommen würde. So griff.man zu dem Mittel, dem Altar durch die betonte Einfachheit der gehämmerten Betonoberfläche eine zwar ungewöhnliche, aber sehr eindrucksvolle Wirkung zu verleihen. Der Altar in all seiner Schroffheit ist von massiver Schönheit und fügt sich dem Gesamtbild des Katfaedralinneren harmonisch ein.

Eine weitere Kapelle, die Christus im Garten Gethsemane gewidmet i«t, lädt die Gläubigen ein, dort ihre persönlichen Anliegen und Schwierigkeiten im Gebet vorzubringen. Die Kapelle ziert ein Bronzemosaik, dessen Hauptmotiv, der Engel mit dem Kelch, von einer eigenwillig stilisierten schmiedeeisernen Dornenkrone umgeben ist.

Rechts von dieser Kapelle, und mit der Kathedrale durch einen Gang verbunden, befindet sich die Kapelle ,,Christus der Dienende“ (Christ jthe Servant), deren kreisförmiger Raum als der Mittelpunkt der Gottesdienste und Seelsorge für die arbeitende Bevölkerung geplant ist. Über dem ebenfalls runden Altar hängt von der Decke der Kapelle ein Kreuz aus Stahl, das von Lehrlingen der Stadt Coventry gestiftet wurde.

Mit Versuchen hinsichtlich der liturgischen und musikalischen Gestaltung des Gottesdienstes wurde bereits begonnen. Damit soll vermieden werden, daß man sich von Anfang an auf eine starre Gottesdienstordnung festlegt. Man wird vielmehr bestrebt sein, den Gottesdienst lebendig und wandlungsfähig zu gestalten, um auf diese Weise im Laufe der Zeit eine Gottes-dienstordnung zu entwickeln, die den vielseitigen Anforderungen gerecht wird. Im Hinblick auf diese Versuchsarbeit auf liturgischem Gebiet sowie andere technische Experimente scheint es fast gerechtfertigt, die Kathedrale von Coventry als ein „religiöses Versuchslaboratorium“ zu bezeichnen.

Unter dem Boden des Kirchenschiffes befinden sich die modernen Lautsprecheranlagen und das „Nervenzentrum“ der Fernsehanlagen, mit deren Hilfe das ganze Kirchenschiff ohne besondere Vorbereitung in kürzester Zeit in ein geistliches Rundfunk- und Fernsehstudio verwandelt werden kann. Hier befindet sich auch die nach modernen Gesichtspunkten untergebrachte Bibliothek, die mit den modrigen Kirchengewölben, in denen früher oftmals die Kirchenbibliotheken untergebracht waren, nichts mehr gemein hat. Die Inneneinrichtung eines Versamm-lungs- und Klubraumes für die Geistlichen der Diözese wurde von der englischen Kriegsmarine gestiftet. Ebenfalls unter dem Schiff befindet sich auch ein Raum für Vorträge, musikalische Darbietungen, Dichterlesungen und Festessen, in dem die Mitglieder der Kirchengemeinde die Möglichkeit haben, in einem kultivierten Rahmen zusammenzutreffen. Angeschlossen ist ein Refektorium, in dem zu jeder Tageszeit Mahlzeiten erhältlich sind und von dem man hofft, daß es sich zu einem Treffpunkt der Kirche außerhalb der Gottesdienste entwickeln wird.

Unter der Krypta sind die übrigen technischen Anlagen der Kirche, wie Heizung, Klimaanlage, elektronische Einrichtungen, Orgelwindwerk, Rundfunk-, Fernseh- und Telephoninstala-tionen untergebracht. Chorproben wurden bereits im Schiff abgehalten und die Akustik der Kathedrale hat sich als zufriedenstellend erwiesen.

Gleichlaufend mit den Arbeiten an der Vollendung des Baues finden weitere Versuche und Beratungen hinsichtlich der Methoden der Seelsorge, insbesondere auf dem internationalen und ökumenischen Sektor statt. Wenn alle diese Vorbereitungen beendet sind, werden die Geistlichen der neuen St.-Michaels-Kathedrale von Coventry nach der feierlichen Weihe am 25. Mai ihre Aufgaben energisch, zielbewußt und mit visionärem Weitblick in Angriff nehmen.

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