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Das Schicksal des Grazer Schauspielhauses

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Mit Ende der Spielzeit 1951/52 ist das alte Schauspielhaus in Graz geschlossen worden! schwere Mängel im Bauzustand und in der Betriebsfähigkeit werfen die Frage nach seinem Schicksal auf, und es fehlen nicht Stimmen, die dem völligen Abbruch das Wort reden. Diesem Ende darf nicht zuge6teuert werden! es geht hier um ein besonders wertvolles Stück des Grazer Stadtbildes in einem empfindlichen neuralgischen Bereich entlang der Linie Burggarten — alte Torwache — Burgtor— Hofga6se mit Dom, Mausoleum, Burg und alter Universität mit seiner Fülle ehrwürdiger, schlichter Schönheit, dem die neuen Zutaten des Künstlerhauses und des Amtsgebäudes nicht gerade gut tun. In den Mauern des alten Theaters steckt der erste Bau aus theresianischer Zeit, dessen Dispositionen auch der Wiederaufbau nach dem Brand von 1823 bewahrt hat. Die Anlage des Franzensplatzes — seit November 1918 Freiheitsplatz — an Stelle des alten Vizedomgartens hängt unmittelbar mit der damaligen Erneuerung des Theaters zusammen, das die Ö6twand dieses geschlossenen klassizistischen Platzraumes mit dem Denkmal des Kaisers Franz von 1847 bildet. Die Bombenabwürfe auf diesen Stadtteil haben den Lambrechterhof, das einstige Jesuitenkolleg und den friederiziani- schen Flügel der Burg getroffen, das Theater blieb verschont. Man muß eine Lösung anstreben, welche die würdige Baugestalt um des Stadtbildes willen bewahrt, im Innern aber, bei Erhaltung der Redoutensäle, vor allem eine Erneuerung des Zuschauerhauses und des Bühnentraktes vorsieht und die Gefahren der engen Gänge, Bühnenkon6truktion usw. bannt. Vorstudien aus den Jahren 1938/39 liegen vor. Die hier gestellten Probleme gehen ihrer Bedeutung nach weit über da6 „Grazerisch-Steirische“ hinaus, und darum mag der Ruf „caveant consules" an dieser Stelle berechtigt 6ein!

Hof rat Dr. Walter v. Semetkowski

Ich höre zu meinem großen Schmerze, daß dem alten Grazer Theater, einer jedem Österreicher, der Anteil an der Kunst der Bühne nimmt, höchst verehrungswürdigen Stätte, wieder einmal Gefahr droht.

Demgegenüber möchte ich die Öffentlichkeit doch erinnern, daß an der Steile des Theaters auf dem Franzensplatz einst Österreichs ältestes Nationaltheater 6tand, das am 9. September 1776, also noch vor dem National- theater nächst der Burg in Wien, eröffnet worden ist. Es hat seine Mission mit Recht getragen und gut erfüllt, denn es war die Wiege des Ruhmes des großen Grazers Franz Broekmann, des ersten deutschen Hamlet und ersten Direktors des Burgtheaters, wie das nachfolgende Haus die Wiege des Ruhmes von Karl Seydelmann, Nestroy und Scholz. — Es hatte außerdem das Glück, Bel- lomo, den Vorgänger Goethes in der Weimarer Direktion, zu seinen Direktoren zu zählen, der hier, wie vordem in Weimar, die Oper vorbildlich pflegte. Am 24. Dezember 1823 brannte leider dieses Theater, eine hohe Stätte österreichischer Kultur, nieder. Es muß aber gesagt werden, daß das Ständetheater, das ihm folgte und das glücklicher weise bis auf den heutigen Tag steht, sein durchaus würdiger Nachfolger war. Es heißt, daß die Pläne auf den überaus tüchtigen Theaterdirektor Stöger zurückgehen und er sie Nobile nur vorlegte, der dann 6eine Verbesserungen daran vornahm. Nach den Memoiren Nobiles nahm auch Franz L innigen Anteil an dem Bau. Nicht der große Hofbaumeister allein, auch andere österreichische Theaterkünstler von geschichtlicher Bedeutung, wie Anton de Pian, Matthias Gail und der berühmte Maschinist Adam Roller, waren dabei beschäftigt. Diese wahre Ruhmesstätte österreichischen Theaters wurde am 4. Oktober 1825 eröffnet, hat also 127 Jahre des Be-

Standes ehrenvoll hinter sich gebracht. Es ist ein Wahrzeichen österreichischer Kultur; hieT verkündete Graf Wickenburg von seiner Loge aus 1848 die Konstitution und die Pressefreiheit und hier fand die österreichische Uraufführung von Wagners „Tannhäuser“ statt — ein Fall, der sich in der Geschichte auch bei anderen großen Premieren wiederholte. Diese beiden Daten, bezeichnend für die kultui- wie für die theatergeschichtliche Mission, könnten beliebig vermehrt werden.

Es scheint zu den österreichischen Eigentümlichkeiten zu gehören, daß gerade den bescheidenen, vielen aber geradezu heiligen Denkmälern immer wieder Gefahr droht. Schon 1897 fand man das Grazer Theater zu klein und wollte es abreißen, um in der Murvorstadt ein großes Haus zu errichten. Glücklicherweise fing der Bau des neuen Hauses diese zerstörerischen Tendenzen auf, man begnügte sich mit einem Umbau, der 1908 durchgeführt wurde. Dieser Umbau reicht aber vollkommen hin: das Haus hat nicht nur eine blendende Akustik, sondern erfüllt seinen Zweck, eine zweite Bühne zu sein, auf die eine Großstadt wie Graz vollen Anspruch erheben kann, durchaus. Ich habe die schönsten Erinnerungen an Aufführungen im „alten“ Grazer Theater und unzählige andere haben sie auch. Weshalb der Umbau und die mehrfachen Renovierungen, wenn das Haus jetzt abgerissen werden soll? Ein Theater kann kostbar sein wie eine alte Geige. Wir sind mit derartigen Stradivari und Guarneri der Bühnenkunst an Österreich leider nicht besonders gesegnet. Wenn daß Grazer Theater abgerissen wird, wenn wir selbst hingehen und vollenden, wovor uns das Bombenzeitalter glücklicherweise behütet hat — dann würden wir uns zu den Verlusten, die die gegenwärtige Theaterkrise schafft, selber noch den größten hmzufügen.

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