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Volkskunde zwischen Diktatur und Demokratie

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Die Volkskunde, eine Geisteswissenschaft von ausgesprochener Aktualität, deren Bedeutung seit einem halben Jahrhundert anerkannt, wenn auch im akademischen Lehrbetrieb zu wenig gewürdigt wird, hat auf deutschem Boden durch die Verhältnisse der letzten beiden Jahrzehnte gelitten wie kaum eine zweite verwandte Disziplin. In den ersten dreißiger Jahren begann die deutsche Volkskunde sowohl durch ihre ausgezeichnete Organisation, den Verband deutscher Vereine für Volkskunde, und die damit zusammenhängenden g*oßen Gemeinschaftsleistungen, besonders den Atlas der deutschen Volkskunde und die volkskundliche Bibliographie, in die erste

Reihe der geisteswissenschaftlichen Großdisziplinen vorzurücken. Männer wie John Meier in Freiburg, Adolf Spanierin Dresden, später in Berlin, gaben ihr das geistige Gesicht. Die theoretische Grundlegung schien seit Hans Naumanns bahnbrechenden Arbeiten und der damit verbundenen fruchtbaren Kritik beendet. Die in jeder Disziplin einen Höhepunkt darstellenden großen Sammelwerke, in diesem Fall die Handwörterbücher zur deutschen Volkskunde, hatten unter allgemeiner Mitarbeit zu erscheinen begonnen; noch war nicht abzusehen, daß nur das erste davon, das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, fertig werden sollte, und auch

dieses nur unter den größten Schwierigkeiten knapp vor Kriegsende. Sein viel-umkämpfter, zweifellos mißverständlicher Titel sollte geradezu zum Symbol werden.

Denn die Zeit des großen Un- und Aberglaubens brach unmittelbar nach den Jahren dieser ersten Blüte an. In der Art der .Wunder des Antichrist* schien sie diese zunächst in überhetztem Tempo zum Reifen bringen zu wollen. Volkskunde wurde zu einer erklärten Modewissenschaft des Dritten Reiches, es gab plötzlich Professuren für sie, neue Zeitschriften und Schriftenreihen, und zwei allerhöchste Herren, Reichsleiter“, wie der ungeheuerliche Titel lautete, begannen sich bald über das von jedem von beiden begehrte, beschirmherrschte Fach zu streiten. Unter diesem bösen Zeichen wuchs bald ein fürchterlicher Dilettantismus auf, verbunden mit Prangerlust und Ketzerhetze.

Scheinblüte und Verketzerung zusammen zeitigten ihre Folgen: je deutlicher der Kriegsverlauf zeigte, daß die sachlichen Wissenschafter im Recht blieben und die Dilettanten und Konjunkturisten ihnen innerlich nicht mehr widersprechen konnten, desto gieriger versuchten sie die innerlich freien Kollegen ins Verderben zu stürzen. Wir haben in den letzten Jahren drei erschütternde Dokumente dafür vorgelegt bekommen, wie dies jeweils zuging. Am schwersten hat Rudolf K r i ß, der Salzburger Erforscher des deutschen Volksglaubens, zu leiden gehabt, den der Blutrichter Roland Freisler zum Tode verurteilte und der nur durch eine geradezu unglaubliche Verknüpfung von helfenden Umständen nach langen Kerkerqualen am Leben blieb. Sein Erinnerungsbuch Im Zeichen des Ungeistes“ (München 1948) bezeugt die Verwurzelung des Widerstandsgeistes in dem berghaft ortsgebundenen Berchtesgadener Volksleben, dem er in schlimmster Zeit seine Schriftenreihe „Zur Berchtesgadener Volkskunde“ gewidmet hatte. Ein wahres Gegenstück zu ihm bildet der Schlesier Willi Erich Peuckert, dessen Leiden in den Kriegsjahren ein ungemein aufschlußreicher Artikel von Gertrud A1 b r e c h t, „Ein Dorf und seine Gefangenen“, in dem jetzt von Peuckert neugegründeten Jahrbuch für vergleichende Volkskunde „Die Nachbarn* (Göttingen 1948) dartut. Was sich überall zwischen den Klardenkenden und den Fanatikern abspielte, hat hier ein Forscher miterleben müssen, der stärker als die meisten anderen in das Gefüge dieser Art des Denkens hinabgestiegen war, der als Märchen- und Sagenforscher nicht nur wußte, was das Gerücht und seine Wirkung bedeuten können, der auch die neue Volksgesellschaft zwischen Bauer und Fabrikarbeiter in seiner „Volkskunde des Proletariats“ erstmalig zu erfassen versucht hatte. Von der Seite des geistlichen Forschers aber hat der Begründer der „kirchlichen Volkskunde“, eben Prälat Georg Schrei-b e r in Münster, diese Jahrzehnte mitgemacht, stark im Erleiden, stärker im überwinden. Sein Erinnerungsbuch „Zwischen Demokratie und Diktatur“ ist dafür sehr aufschlußreich.

Und darauf kommt es jetzt wesentlich an. Nach der Entfernung der nationalsozialistischen Vertreter der Volkskunde konnte bisher kaum ein andersgesinnter Nachwuchs aufkommen. So haben daher zuerst die letzten noch Lebenden der von ihnen bekämpften Generation die Arbeit mühsam genug wieder aufnehmen müssen: John Meier hat in Freiburg wieder das deutsche Volksliedarchiv und ist bestrebt, mit einer neuen Zeitschrift „Archiv für Literatur und Volkskunde“ Veröffentlichungsmöglichkeiten zu schaffen. Georg Schreiber hat seine berühmten „Forschungen zur Volkskunde“ mit einem wichtigen Dreifachband von Bernhard K ö 11 i n g, „Peregrinatio reli-giosa. Wallfahrt und Pilgerwesen in Antike und alter Kirche“ (Münster 1950), wieder aufgenommen. Daneben bemüht sich Johannes K ü n z i g in Freiburg um eine „Badische Landesstelle für Volkskunde*, und hat als erstes Bändchen „Die alemannisch-schwäbische Fasnet“ (Freiburg 1949) herausgebracht, Karl Meisen vertritt die Volkskunde an der Universität Bonn und hat ein Büchlein „Die Heiligen Drei Könige und ihr Festtag im volkstümlichen Glauben und Brauch“ (Köln 1949) erscheinen lassen,'

er plant auch ein neues „Jahrbuch für rheinische Volkskunde“. Die Notwendigkeit, mehrere solche Organe, wie der Peuckerts und Meisen, nebeneinander, versteht man erst, wenn man weiß, daß Deutschland vor dem Krieg nahezu in jedem Land ein bedeutendes volkskundliches Fachorgan besessen hat und daß über ein halbes Jahrzehnt fast überhaupt nichts mehr publiziert worden ist. Deshalb ist es auch erfreulich, daß die Bayrische Landesstelle für Volkskunde nun wieder aktiviert wird und der altberühmte „Bayrische Heimatschutz“ noch heuer einen Band herauszubringen gedenkt. Der Leiter der Stelle, Hans M o-s e r, ist erst vor kurzem aus langjähriger Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt,

so daß jetzt, da Joseph M. Ritz und Torsten Gebhard am Landesamt für 1 Denkmalpflege und Rudolf K r i ß und Otto B a s 1 e r die Volkskunde an der Universität vertreten, München ein Zentrum der süddeutschen Volkskunde werden kann. Freilich bewegen gerade Bayern die Fragen der Volkskunde der Volksdeutschen sehr stark, es wird nicht die gemütliche altbayrische Volkskunde von einst bleiben können, es wird wohl gerade München, wo unter anderem der sudetendeutsche Volkskundler Josef H a n i k a sitzt, auch zum Mittelpunkt der Erörterung der durch die geschichtlichen Ereignisse gegebenen neuen Probleme der Flüchtlingsvolkskunde usw. werden.

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