6609660-1954_43_07.jpg
Digital In Arbeit

Ist die Operette tot?

Werbung
Werbung
Werbung

Als noch lebender österreichischer Textautor und als ordentliches Mitglied der Autorengesellschaft (AKM) möchte ich nicht verfehlen, zu dem in Ihrem geschätzten Blatte vom 2. Oktober 1954 (Nummer 40) abgedruckten Aufsatz „Die Zukunft der Volksoper“ Stellung zu nehmen, da ich glaube, mit dieser Stellungnahme auch die Gefühle vieler anderer, noch lebender österreichischer Komponisten und Textautoren zum Ausdruck zu bringen.

Die Zukunft der Volksoper, was aus ihr werden wird und die Gestaltung ihres Spielplanes in den kommenden Jahren ist zweifellos eine sehr wichtige Frage, nicht nur für alle im genannten Institut aktiv Tätigen, sondern für das österreichische bzw. Wiener Kulturschaffen und Kulturleben überhaupt und seine Auswirkung auf das Ausland. Daher ist es wichtig, daß darüber eine fruchtbare Diskussion im Gange gehalten werde.

Es svird in dem vorgenannnten Aufsatz vieles gesagt, was durchaus wahr und richtig ist, eines aber habe ich darin zu meinem Erstaunen und Leidwesen vermißt, nämlich einen Hinweis auf eine Unterstützung des Schaffens der derzeit lebenden Komponisten und Textautoren. Der Verfasser scheint ein noch lebendes, eigenständiges, österreichisches bzw. wienerisches Operettenschaffen völlig abgebucht zu haben. Er sieht die künftige Aufgabe der Volksoper wie bisher in der Pflege der „klassischen Operette“ von Strauß und Offenbach bis Ziehrer und Edmund Eysler. Er anerkennt wohl, daß Wien von jeher die Heimat der Operette war und legt daher das Hauptgewicht auf den „Denkmalschutz dieses Erbes“, er will die Zeitgenossen von Strauß, die „kongenialen Franzosen der großen Blütezeit“, spanische Werke dieses Genres und die amerikanischen Musicals pflegen, nur von einem, das so naheliegend wäre, spricht er überhaupt nicht, nämlich, daß Wien und Oesterreich endlich wieder einmal darangehen müssen, der Welt auch wieder einige neue, gute, leichte Opern, Singspiele und Operetten zu schenken (die „Trauben für die Kaiserin" waren hierfür kein Maßstab), die in den „klassischen“ und „ausländischen“ Spielplan der Volksoper eingebaut, in der in der Volksoper üblichen guten Ausstattung und erstklassigen Regie (z. B. von Professor Dr. Rott) dort ihre Welturaufführung erleben müßten. Hiefür würde sich das Ausland sicherlich sehr interessieren, da derzeit überall Mangel an derartigen guten, leichten, repräsentativen neuen Operetten herrscht. Soll denn wirklich die Operette in Wien und Oesterreich nur etwas Historisches bleiben und daß Gerüchte vom Tode der Wiener Operette zur Wahrheit werden? Wann endlich wird die Volksoper von ihrem bis jetzt mit einer für das lebende Operettenschaffen Oesterreichs tödlichen Konsequenz festgehaltenen Grundsatz, nur Operetten bereits gestorbener Komponisten aufzuführen abgehen? Hängt denn der Wert einer Operette davon ab, ob der Komponist noch lebt oder nicht? Wurde die Musik des „Grafen von Luxenburg“ durch Lehärs Tod wertvoller und nunmehr einer Volksopernaufführung würdiger? Oder lassen sich verstorbene Komponisten leichter „bearbeiten“ als lebende? Soll sich unsere künftige kulturelle Tätigkeit auf dem Gebiete der Operette nur noch im Bearbeiten, Umdichten und Arrangieren der bisherigen Musik erschöpfen? Wo bleiben da die wirklich schöpferischen Kräfte, an denen Wien und Oesterreich doch immer so reich war? Sollen diese endgültig resignieren und sich mit dem typisch österreichischen Schicksal, daß sie bestenfalls nach ihrem Tode gewürdigt werden, begnügen?

Es erscheint mir unverständlich, daß sich die für das Kulturleben Oesterreichs verantwortlichen Stellen immer nur an das „klassische Erbe“ klammern und dem lebenden Schaffen im leichten Genre jede Lebens- und Entwicklungsmöglichkeit abschneiden. Bei der derzeitigen schlechten finanziellen Lage der Privattheater (ein privates Operettentheater ist derzeit kaum in der Lage, eine Novität in einer den internationalen Markt interessierenden P-setzung und Ausstattung herauszubringen) wäre es schon längst die Pflicht der maßgebenden Stellen gewesen, hier einzugreifen. Der immer wieder vorgebrachte Einwand, daß es derzeit kein neues Werk leichteren Genres in Oesterreich gebe, das würdig sei, in der Volksoper aufgeführt zu verden, ist nicht stichhältig; man bemüht sich nur nicht, ein solches zu finden und, solange nicht die Bereitschaft dazu vorhanden ist, auch lebende Komponisten und Autoren in der Volksoper zu Worte kommen zu lassen, ist es für die Schaffenden auch zwecklos, derartige Werke für die Tischlade zu arbeiten.

Man wird, wie ich höre, zu den Wiener Festwochen 1955 in der Volksoper „Die schöne Helena“ von Offenbach und im Herbst 1955, zur Zeit, da die neue, große Oper eröffnet wird und wirklich Gelegenheit wäre, dem Ausland ein Spiel aus Wiens großen Tagen vorzuführen, eine sicherlich in Regie und Ausstattung vorbildliche Reprise von „Polenblut“ aufführen; aber wo bleibt die Förderung der bodenständigen Kultur? Wäre es nicht höchste Zeit, doch wieder einmal die noch lebenden Schaffenskräfte anzukurbeln und in Front zu bringen? Bei den anderen Völkern, besonders den Amerikanern, geschieht es mit dem ganzen Aufwand an Propaganda, dessen man dort fähig ist, und der ist groß. Selbstverständlich müßte an die zur Aufführung in der Volksoper gelangenden modernen Werke ein strenger Maßstab angelegt werden, wenn sich aber doch Werke finden, die hier standhalten, müßten sie herauskommen. Ein einziger entsprechender Erfolg auf diesem Gebiet würde einen ungeheuren Auftrieb für die Schaffenskraft der noch lebenden österreichischen Autoren und Komponisten bedeuten und Kräfte mobil machen, die derzeit verkümmern. Die bisherigen „Preisausschreiben“ der Stadt Wien und des Unterrichtsministeriums zur Wiederbelebung der Wiener Operette können dieses Ziel nicht erreichen, weil die Bedingungen zu schwierig sind (zum Beispiel kommen beim Unterrichtsministerium nur

Werke in Konkurrenz, die inn«rha!b der letzten fünf Jahre geschrieben wurden und bei welchen die Partitur eingereicht werden muß) und die Einreichungsmöglichkeiten zu sehr beschränkt sind. Es ist auch nicht zweckmäßig, wenn bei dem genannten Preisausschreiben der Musik der Operette ein Preis zugebilligt wird und das Buch, das doch die andere Hälfte des Werkes bildet, überhaupt nicht berücksichtigt wird. Um wirklich zu einer erfolgreichen Wiedererweckung der modernen Wiener Operette bzw. des Singspieles zu gelangen, müßte einmal gerade bei der Volksoper ein kleines Kollegium aus erfahrenen Dramaturgen, Regisseuren und Musiksachverständigen gegründet werden, die aus den mit Buch und Klavierauszug einzureichenden Werken objektiv jene heraussuchen, die einer Aufführung in der Volksoper wert wären. Sollte eines der eingereichten Werke noch nicht so hundertprozentig entsprechen, in Musik und Buchidee aber gut und brauchbar sein, dann wäre es wohl ein Leichtes, es durch geeignete Fachleute entsprechend überarbeiten zu lassen. Damit würden sich die Autoren gern einverstanden erklären. Dieses Kollegium müßte allerdings mit dem Willen, ernstlich zu suchen und auch finden zu wollen, an das auch wirtschaftlich sehr wichtige Problem der Wiedererweckung auch der exportfähigen Wiener Operette hcrangehen, wenn das Kulturschaffen gerade auf diesem Gebiet nicht ganz zum Stillstand kommen soll.

Es wäre ein großes Verdienst Ihrer Zeitschrift, wenn Sie bei der Frage nach der Programmgestaltung der Volksoper in der Zukunft auch für die noch lebenden österreichischen Autoren und Komponisten — vorausgesetzt, daß sie Qualitätsware schaffen — eine Lanze brechen wollten, denn gerade Ihr Wort hat sicherlich Gewicht bei den maßgeblichen Stellen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung