6583036-1951_28_15.jpg
Digital In Arbeit

Der motorisierte Thespiskarren

Werbung
Werbung
Werbung

Von all der spritzigen, amüsanten, aus Internationalen Stilelementen und Wiener Parfüm gebrauten Musik ist allein das Duett .Hab ich nur deine Liebe“ volkstümlich geworden und geblieben. Daß es musikalisch sentimental und textlich frivol ist, fiel gar nicht auf, denn die Textverständlichkeit war nicht überragend und die Mu6ik dem Gefühls-prünat durch die Eleganz ihrer Wiedergabe entzogen — wie denn überhaupt von allen Operettenbearbeitungen seit 1945 uns diese als eine der geschmackvollsten erscheint, weil sie Derbheiten und Gemeinplätze meidet und in der ständigen Bewegung der Bühne und auf ihr immer neue und schöne Bilder schafft, darin die gleichen Versatzstücke jene Geschlossenheit symbolisieren, die dem reichlich aufgesplitterten Gang der Handlung fehlt. Und noch einen anderen Vorzug hat dieser Rausch von Farben und Bewegung, für den Schreyvogel, Rott, Hoeßlin, Kniepert und Hanka. Paulik und Kattnigg verantwortlich zeichnen; daß Regie, Bild und Musik aus einem Geiste stammen, der mehr aus dem Handgelenk geschüttelt als erklügelt scheint. Dadurch wirkt nichts übersteigert, 60 viel es auch zuweilen ist, die fröhlich bewegte und gedrehte Schau verschlingt alle Widersprüche wie ein bunter Wasserfall oder wie ein Film, als der die ganze Operette in einer prachtvollen Selbstironie anläuft. Das ist so echt Operette, wie wir schon lange nichts mehr sahen. Ebenso das ständige Anklingen an die Oper und das zeitweilige Liebäugeln mit der Posse, ohne beiden ,zu verfallen, und die verschwenderische Ausstattung, die ganz schmierenmäßig aus dem motorisierten Thespiskarren ausgepackt, vor den Zuschauern auf-und umgestellt und am Schlüsse wieder eingeräumt wird. Die Herabkunft Fred Liewehrs aus den Wolken und seine schließliche Landung in Esther Rethys Armen sind freilich 6diwer zu deuten und vermutlich nur mit dem Platzmangel bei den Kulissenaufgängen zu begründen. Beide beherrschen übrigens trotz der Fülle von Personen, Ensembles und Tänzen als Boccaccio und Fiametta die Szene, obwohl sie nicht viel mehr tun als 6ingend zu monologisieren und gelegentlich zu diskutieren. Kleinere Rollen werden von Christ, Böheim, Dönch, Szemere, Preger und den Damen Lupancea, Feichtinger und Rohs sprechend und singend markant profiliert. Das Ballett, reicher noch an Nummern als an Einfällen, i6t dennoch ein überaus erfreulicher Anblick und die stärkste, weil lebendige Steigerung der rotierenden Szene.

Hat man hier 6omit versucht, die Operette durch ihre eigenen Ingredienzien neu zu beleben, und dies mit ebensoviel Geschmack als Geschick, und scheint dieser Versuch im Einzelfall noch 60 sehr gelungen: zur Lösung der Krise, in der die Gattung sich befindet, zur neuen Operette führt auch von dieser modernisierten alten kein Weg. Vermutlich sind wir sogar, je angestrengter wir modernisieren, um so weiter von der neuen Operette

entfernt. Für die alte aber fehlen die Voraussetzungen. Wir genießen sie nur traditionsgemäß, gleichsam lokalhistori6ch. Die große Gesellschaft und die große Oper, Gegenstand der Nachahmung und Persiflierung der Operette, sind nicht mehr da. Die Standesunterschiede, daraus sie ihre Courths-Mahle-rische Romantik zog, sind überwunden. Das Abenteuer im Frack und die Heimkehr in die kleinbürgerliche Sicherheit sind heute Fiktion. Mehr noch als die Oper ist die Operette eine Tochter des Wohllebens. In der Ärmlichkeit verliert sie den Atem — und den Humor.

Und dennoch scheint gerade aus den heutigen Erfolgen alter Operetten der wertvollste Hinweis für die neue zu erhellen. Was immer 6ie auch war: Tanzspiel, Räuberromantik, Gesellschaftssatire (und selbstverständlich Liebesgeschichte) — immer war sie da6 Traumbild einer unerreichbaren, weil gar nicht wirklichen Welt, melodramatische Erfüllung der großen Wünsche des kleinen Mannes (und der kleinen Frau!) mit der Iei6en Skepsis der ewig Außenstehenden und der unverwüstlichen Hoffnung auf das Happy-End. Auch wir Heutigen 6ind nicht anders als unsere Väter. Auch aus unserem Tun und Träumen guckt der alte Adam ohne Hoffnung auf Besserung heraus. Nur unsere Wünsche sind andere, weil unsere Zeit eine andere iet Die glücklicheren Altvordern schwärmten von Abenteuern — wir phantasieren von Sicherheit. Sie suchten Aufregung — wir Ruhe. Ihre Fata Morgana war ein Märchenland, die unsere ist bescheidenste Wirklichkeit. Der biedere kleine Handwerker oder Geschäftsmann, der zufrieden und guter Dinge ist, weil er sein Auskommen und keine Schulden hat, ist, zumal es ihn längst nicht mehr gibt, der modernste Held unserer Träume und also auch der modernste Operettenheld, den Operettenmachern aber vermutlich nicht genehm, weil sie mit ihm nicht jenen Staat entfalten können, durch den sie so prachtvoll zugrunde gehen.

Allerdings betrifft alles das nur das Stoffliche der Operette, die ungeleugnet eine vorwiegend musikalische Angelegenheit ist. Bedenkt man aber, daß die alte Operette von ernsten Komponisten, die in der symphonischen oder der Kirchenmusik Bedeutendes leisteten — auch Suppe hat Messen komponiert —, 60 darf man annehmen, daß weder eine Raspa noch ein weinduseliges Wienerlied zur neuen Operette genügen wird, sondern daß auch hier nur das gekonnte Handwerk den goldenen Boden hat, selbst, wo es nur der Unterhaltung, dem befreienden Lachen dient und wohl nach Erfolg, aber nicht nach Unsterblichkeit strebt. Denn Operetten 6ind kurzlebig. Sie moussieren wie Champagner, aber sie werden leicht zu abgestandenem Wein. Auch die beste Operette trägt das Motto Boccaccios an der Stirn: .Hab ich nur deine Liebe, die Treue brauch ich nicht.“ Womit in diesem Falle das Publikum gemeint ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung