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Märchen im Eis

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zum Märchenraum erweitert: Im sanften Taubenblau altchinesischer Tuschen erlebt „Der Kreidekreis“ Klabunds sein Wiedersehen mit den Wienern von 1948.

Eine Aufführung, die, von kleinen Unebenheiten abgesehen, schauspielerisch auf hohem Niveau steht: Redliches Bemühen um ein Stück, das vor einem Vierteljahrhundert das Publikum des deutschen Spradi- raums begeisterte.

Das Publikum kam; die Älteren aus Zuneigung zu jenem zarten, sensiblen lungenkranken Alfred Henschke, der achtund- dreißigjährig nach längerem Aufenthalt ln Wien 1928 in Davos starb; sie hatten ihn geliebt ob seiner eigenwillig nervös-impressionistischen Verse, seiner starktonigen Erzählungen, zumal aber wegen seiner Nachdichtungen chinesischer Lyrik; nicht wenige hatten ihn einfach deshalb modisch umworben, weil er einen so schönen, „passenden“ Literaturnamen als Wappenschild einer eigentümlich sozial getönten Neuromantik führte: eben „Klabund“. — Die Jüngeren kariien, um Klabund, den Vielgerühmten, Zu sehen — ihn, den sie fast nur mehr vom Hören-Sagen kennen. Beide Partner — alt und jung — wurden enttäuscht. Es ist, wie wenn die herbe Kälte dieses Februars sich mit den Besuchern in den Innenraum des Theaters geschlichen hätte und. ein Unsichtbarer Reif, Personen, Worte, Gebärden des Spiels leise knisternd zerbrechen würde — so wie eben früher, starker Frost die Astern des hohen Herbstes bricht...

Klabunds „Kreidekreis“ stellt die Regie vor schwierige Probleme, die einer Lösung, aus einem Geiste harren — und dies durch das eigentümliche Wesen dieses Stücks. Der „Kreidekreis“ verbindet ein sehr östliches Märchen mit einer sehr westlichen gesellschaftskritischen Studie: in die hell schimmernde Legende von Tschang- Haitang, der Tochter des armen Gärtners, die vom Blumenmädchen zuerst zur zweiten Gattin des reichen Mandarins Ma, dann zur Kaiserin des Drachenthrons aufsteigt, ist ein düster-bitteres leid-, erd- und blutfarbenes Motiv verwoben: der grollende Sang unterdrückter breiter Massen des Volkes, die bei den Reichen kein Brot, bei den Richtern keine Gerechtigkeit, bei den alten Göttern keine Gnade finden... Nicht, daß dieses

Motiv der Poesie des Nahen und Fernen Ostens an sich fremd wäre: Klabund selbst hat an den Eingang Seiner „Literaturgeschichte" das altägyptische Lied der Kornschlepper gestellt. — Die reichentwickelte chinesische Lyrik, die sich mit dem Los des zum Soldaten gepreßten „kleinen Mannes" befaßte, ist voll von bitter-e'rhsten Blicken auf das alte große Leid dieser Welt. Tn der neuen Bearbeitung der Josefstadt versucht aber die Sozialsatire des „Kreidekreises“ des Guten, das heißt, des Bösen, ein wenig zu viel: sie bürdet dem Osten, der wahrlich an sich selbst genug zu tragen hat, noch die Problematik des Westens auf. Sehr zeitgemäß, werden etliche sagen: Tschang-ling, Haitangs in Elend verkommener Bruder, Mitglied des nihilistisch-revolutionären Lotosbundes, trägt die Züge eines jener Partisanen, deren Heere heute China, morgen vielleicht bereits beide Indien, ganz Vorderasien erschüttern ... Wir wissen auch, daß die Herren und Heere des revolutionären Chinas größten Wert auf die Darstellung ihrer Probleme und Anliegen in propagandistischen Schauspielen legen, Mitteln der Volkserziehung und Volksführung in Yenan-China, welche unser hohes Interesse verdienen. Dennoch: gewagt wäre die Behauptung, daß Klabund 1924 all dies in sein Märchenstück hineinsehen wollte. Gewiß, er bekannte sich zu einer bewußt sozial kritischen Note: die Liebe des kleinen Mädchens Haitäng und des großen Prinzen Pao sollte nicht in einem Opsrettenhimmel der Butterfly und des „Land des Lächelns“ verschwimmen, sondern sich vom starkfärbigen, scharfumrissenen Hintergrund einer verrotteten Gesellschaftsordnung abheben, wie Blütenblätter :vom überalterten dunkelbrüchigen Lack altchinesischer Gefäße.

Und Klabund kann sich auf eine viel- hundertjährige europäische Tradition stützen; immer wieder seit dem hohen Mittel- alter, i. dann seit Luther und Sebastian Franck, seit den Schwärmern des Barocks und den „Freien Geistern“ des" 17. -und 18. Jahrhunderts, über Voltaire bis zur Japanschwärmerei gewisser deutscher Kreise jüngster Vergangenheit — wurde dem- sogenannten „Christlichen Abendland“ der „gute Heide“, der Türke, Perser, Inder und Chinese als warnendes, als erbauendes Exempel vorgehalten. Der Europäer flieht immer wieder in den Osten, um die beengenden Grenzen und die Schuld - seines Binnen- und Irtnenraumes zu überwinden - oder doch zumindest klagend, anklagend aufzuzeigen! Nein, - Klabund darf deshalb kein Vorwurf-gemacht werden- - - er wollte dies ewige Motiv west-östlicher seelischer Auseinandersetzung hmeinbergen in die schützende Schale, in -den bitter-süßen Mandelkern des -chinesischen Märchens.

Warum erscheint aber dennoch die Neu- aufführung des Kreidekreises brüchig, so daß weder die „revolutionären“ Deklamationen des Proleten, noch auch' die Märchenlieder Haitangs zur richtigen Geltung kommen, zur Einheit' einer -erlebten Vision zus-aru- menzuwachsen vermögen? Es-fehlt die Kraft, welche die im Stück selbst angelegten Gegensätze in starkeg Schwebung verbindet, zu einer Wirkugg zusammenfüh-rt. Chinesisches Märchen und gesellschaftskritische Studie — in-.einem Werk, das durchaus aus einem Guß -ist vereinigt: die - Regie kann . gar nicht zart,-behutsam-,genug auf- treten, das heißt hinter dem Werk -zurück- treten —„ jedes zu starke Licht zerreißt den Schleier, der hier die Welt des Proleten und des Kaisers verbindet. ; ' ' -

Das arme, zarte Stück ist grausam über- belichtet: ein ,- kalter psvcbologisierender Retionalismus; seziert, zerstört - den-schönen Schein, hebt die verhaltene Schwebung auf, derer dieser Schmetterling bedarf, um über die-dunklen Gründe aufflieg-en zu können. Robuste Hände eines Bühnenchirurgen zeichnen den Kreide-kreis bitter-scharf aus: nun zerbrechen in ihm, an ihm die Welten: Märchen und Wirklichkeit, West Und Ost. Ein Experiment ist mißglückt. Was bereits bei Poccis „Kasperl Larifari“ bemerkt werden mußte, scheint sich erneut zu-bewahrheiten: die Josefstadt ist kein günstiger Boden für Märchen.

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