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WAS IST FEINER?

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Wir haben an dieser Stelle vor kurzem die groben Witze und Extempores einer gegenwärtig in der Volksoper gespielten Operette kritisiert und bei dieser Gelegenheit das heitere Musical, die für uns neue, aus Amerika importierte Gattung, in Schutz genommen. Nun äußert sich zu derselben Frage in ungewohnt temperamentvoller und drastischer Weise auch die „Basler Nationalzeitung“, und zwar nicht etwa durch ihren Wiener Korrespondenten, sondern durch ihren ständigen Basler Musikkritiker, der die Wiener Musical-Kontroverse aus der Ferne verfolgt und sich seinen Vers dazu gemacht hat:

„Auch wenn man die Stellungnahme des Orchesters, vor allem wegen der Laienkonkurrenz. versteht, und an den bezaubernden Aufführungen klassischer Operetten, die durch Musicals niemals ersetzt werden können, seine helle Freude gehabt hat, so muß man sich doch über die Gegnerschaft gegen die .Dichter' der Verse in den Musicals bei Leuten wundern, die die Verse in den Operetten der letzten 50 Jahre- ohne Protest ertragen haben. Demgegenüber, was da an Zynismus, Schlüpfrigkeit, nackter Unanständigkeit und Widerwärtigkeit gesungen worden ist, erscheinen die Verse in .Wonderful Town' geradezu als noble Dichtung. Das ganze Problem, das sich da auftut, wird von keiner der beiden kämpfenden Parteien gesehen. Das Unheil lag zum großen Teil darin, daß die solide und saubere musikalische Kritik der großen Städte sich um die Operette überhaupt nicht gekümmert hat. Infolgedessen konnte es passieren, daß ein Militärkapellmeister eine Operette komponieren durfte, darin der junge Goethe der Hauptheld ist und darin eines der herrlichsten Goethe-Lieder aufs schmutzigste verhunzt wurde. Wenn damals von den führenden Kritikern in Deutschland und Oesterreich der Ruf ertönt wäre, hinaus aus dem Theater mit solcher Schweinerei, so hätte sie keinen Fuß fassen können. Heute nun beginnt das Operettenpublikum, zumal in den großen Städten, allmählich genug zu haben von all dem schwülen, schlüpfrigen, heulfreudigen Zeug, das die Bühnen im letzten halben Jahrhundert angefüllt hat. Daher der Erfolg der primitiv-heiteren, lachlustigen, ohne ranziges Fett gekochten Musicals, neben dem nie versagenden Erfolg der klassischen französischen und österreichischen Operette. Wenn es dem Direktor Salmhofer ebenso wie anderen Direktoren gelingen sollte — eine große Anzahl heutiger Theaterleiter versuchen es schon —, durch das Musical die Schundoperette zu vertreiben, so haben sie Erfreuliches erreicht."

Vergegenwärtigt man sich ferner, daß im Laufe dieses Monats, vom 1. bis 26. Februar, keine Musicals gespielt werden, daß aber die Opern: „Zar und Zimmermann“, „Werbekleid“, „Barbier“, „Freischütz“, „Rigo- letto“ und „Evangelimann“, ferner ein halbes Dutzend Operetten auf dem Spielplan stehen, so wird man einsehen, daß von einer „Ueber- schwemmung“ der Volksoper mit Musicals nicht gut die Rede sein kann. Die im Augenblick nicht zur Diskussion stehende Alternative heißt also nicht: Volksoper oder Musical-Theater, sondern Volksoper mit mehr Musicals oder mit mehr Operetten. Darüber wird künftig das Publikum zu entscheiden haben!

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