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„Show Boat“ in Freiburg

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Dreiundvierzig Jahre ist das „Show Boat“ nun alt, und es hat in all diesen Jahren nicht den Weg auf den europäischen Kontinent gefunden. Eine erstaunliche Tatsache, wenn man den Erfolg bedenkt, den dieses erste eigentliche „Musical“ am Broadway erlebte. Läßt sie sich mit der Überlegung erklären, daß das Musical als typisch amerikanische Spielart des Theaters hier nicht gefragt war, solange noch die Operette klassischen und unklassischen Stils ihre Höhepunkte hatte? War dieser sonderbare Mischstil aus Operette und Tanz, aus Oper und Schlagervergnügen, aus Show und Sentimentalität, als der sich das Musical präsentiert, den Europäern zu bunt? Es wäre ein Thema für eine Kulturgeschichte der leichten Muse. In Freiburp im Breisgau riskierte man es nun, die alte Erfolgsgeschichte, die 1927 in New York eine Serie von 572 Aufführungen erlebte, auszugraben, aufzupolieren und in quasi neuem Gewand dem inzwischen musical-gewohnten deutschen Publikum vorzusetzen. Die Frage, ob das Stück nicht inzwischen so alt geworden sei, daß man es eigentlich nicht mehr spielen könne, stand drohend über der Aufführung. Denn in der Tat ist die Geschichte von dem Theaterboot auf dem Mississippi und den kleinen und großen Problemen, damals entstanden (nach einem Roman von Edna Ferber), nicht mehr so ganz taufrisch. Da wird die Ehe zwischen einem Halbblut und einem Weißen erst gerettet und geht dann doch in Brüche, da droht in bester Operettentradition eine andere Ehe erst zu zerbrechen und mündet dann doch im Happy-End, da wird das Farbigenproblem mit geschickt eingesetzter Sentimentalität angerissen, aber auch in den Bereich des allzu Harmlosen verwiesen.

Natürlich kann man einwenden, es sei ja ein Musical, bei dem man es mit dem Stoff nicht mehr so ganz ernst nehme, wie man's mit der Operette ja schon eh und je getan hat. Natürlich kann man einwenden, daß die Musik von Jerome Kern inzwischen in der Schlagerindustrie ihre Lebens- und Überlebensfähigkeit bewiesen hat.

Und darauf vertraute man in Freiburg. Wie der Erfolg bei der Premiere bewies, hatte man richtig gesetzt. „Ol Man River“ bewies seine Durchschlagskraft über die Schwächen der Handlung hinaus, die Melodien des Stücks, denen man die Operettentradition noch anmerkt und die doch schon etwas von dem neuen amerikanischen Sound bringen, die musikalische Gestalt insgesamt mit ihrem schillernden Raffinement, das erwies sich als überaus zugkräftig. Kerns Musik zu Oscar Hammersteins Texten in der deutschen Fassung von Janne Furch, das garantiert, so bewies es diese Premiere, immer noch Erfolg. Man hatte in Freiburg allerdings auch nicht gespart und eine der aufwendigsten Inszenierungen erstellt, die hier in den letzten Jahren zu sehen gewesen war. Ein buntes, in Popfarben gehaltenes, drehbares Bühnenbild, das raschesten Bildwechsel garantierte, ein sehr verstärkter Chor, der für Bewegung auf der Bühne sorgte, eine ungemein flotte Inszenierung durch den Wiener Hannes Houska, genau auf Musical-Stil getrimmt, fast tänzerische Bewegungsregie, das alles paßte haargenau ineinander, das hatte die Perfektion amerikanischer Musical-Inszenierungen. Erstaunlicherweise — aber vielleicht ist dies typisch für die Situation des Musicals in Deutschland — zeigte es sich, daß die Opernsänger den Kollegen von der leichten Muse weit überlegen waren, ja ihnen eigentlich die Show stahlen.

Maria Hall, Karl-Heinz Armaan, Royce Reaves, der allerdings im Spiel die Rolle des Joe gewaltig in Richtung auf Onkel Tom überzog, sie alle hatten beträchtliches Format, dem die Operettensänger nicht nur im Gesang, sondern auch im Spiel nicht gewachsen waren. Die Premiere hatte ihren rauschenden Erfolg vor allem dem Dirigenten Franz Allers zu danken, der das Stück bereits in Amerika mehrere Male musikalisch geleitet hat. Allers hat ein ungemein feines Gespür dafür, Tempo zu machen oder lyrisch zu verzögern, wenn es die Szene zuläßt oder erfordert. Er beherrscht alle Varianten dieser variationsreichen Partitur, und er versteht es überdies, ein Opernorchester so zu behandeln, daß es auch die Klänge einer Big Band hervorbringt. Ihm mehr noch als allen anderen galt der Beifall, der die Stärke von Ovationen annahm. Im nächsten Jahr soll das Stück auch in Wien gespielt werden. Man kann annehmen, daß es hier einen ähnlichen Erfolg erleben wird.

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