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DAS VERMÄCHTNIS DES HERRN VON MILLER

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In seinem Vorwort zum zweiten Band der großen Brahms-Biographie schrieb Max Kaibock im Jahre 1907, also zehn Jahre nach dem Tode des Meisters: „... Mit dem gewaltigen Aufschwünge, den der Kultus der allmählich ins Volk dringenden Brahmsschen Musik gerade in den letzten Jahren genommen hat, steigerte sich naturgemäß auch das Interesse für die Persönlichkeit des Meisters, und diese tritt, je mehr wir von ihr erfahren, immer herrlicher hervor in den hohen Tugenden seines lauteren, untadeligen Mannescharakters ...“ In den fast 60 Jahren, die seit damals vergangen sind, ist Johannes Brahms noch viel mehr in das Bewußtsein der Öffentlichkeit eingedrungen, und manche seiner Lieder kommen echten Volksliedern gleich, so selbstverständlich finden sie sich im allgemeinen Besitz. Aber über diese Selbstverständlichkeit in musikalischer Beziehung trat das Interesse an der menschlichen Seite des Genies doch im großen und ganzen wieder etwas in den Hintergrund und das Bild Johannes

Braams' färbt sich in der Vorstellung der breiten Allgemeinheit als das eines etwas schrulligen, bärbeißigen kleinen Mannes mit ausgeprägtem Bartwuchs und langem Haar.

Was dem liebenswürdigen Meister des Scherenschnitts, Dr. Böhler in Wien, während der letzten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts daher willkommene Gelegenheit für seine humorvollen Schattenbilder gab, nämlich Johannes Brahms' erwähnte markante Erscheinung, ist aber nicht genug, um einem Menschen dieses Formats gerecht zu werden. Immer wieder wird man daher besorgt sein müssen, authentische Zeugen der Persönlichkeit des großen Mannes zu befragen.

Eigenartigerweise ist die umfassendste Sammlung Brahms-scher Erinnerungsstücke, größtenteils persönlicher Art, ausgerechnet in einer Stadt bewahrt, die für das Wirken des Komponisten nicht im mindesten bedeutend war. In Gmun-den, der Stadt, die Brahms nur nebenbei besuchte, ist dank der treuen Freundschaft, die Victor von Miller zu Aichholz, einer der hochherzigen Kunstfreunde aus dem Wien des 19. Jahrhunderts, dem bewunderten Künstler entgegenbrachte, eine so große Anzahl von persönlichen Gegenständen, Möbeln, Photos und Briefen vorhanden, daß sich für jeden Bewunderer Brahmsscher Musik auch eine wesentliche Seite des Menschen Johannes Brahms auftut und somit das Verständnis der ganzen ungeteilten Persönlichkeit erleichtert.

Die Besuche Johannes Brahms' in Gmunden waren, wenn man die Situation der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts überlegt, wirklich nur Besuche „am Rande“, denn das Haus, dem der Künstler, von Ischl kommend, zustrebte, lag damals noch an der Peripherie. In einem großen schönen Naturpark gelegen, umgeben von Ruhe und landschaftlicher Schönheit, war die Villa Miller-Aichholz ein begehrter Anziehungspunkt für die Künstler und Geistesgrößen der Zeit; die Großherzigkeit des vermögenden Hausherrn und seine unaufdringliche Vornehmheit ließen sie zu einem bemerkenswerten Zentrum im sommerlichen Gesellschaftsleben Gmundens werden. Emil Heß beschreibt die Atmosphäre in diesem Hause sehr aufschlußreich in seinen Erinnerungen als fein und gemütlich und fern allem Protzen-tum und er hebt noch besonders hervor: „Waren gar die alten Freunde Joachim und Brahms bei Miller zusammen, gab's natürlich besondere Feste mit erlesenen Kunstgenüssen ...“ Es sind aber auch sonst noch große Namen, die als Gäste der Familie Miller zu nennen sind, etwa Bülow, Epstein, Prof. Billroth, Goldmark, Mandyczewsky, Hanslick — um nur einige zu erwähnen.

In diesem Hause also verkehrte Brahms und er war mit der Familie so herzlich befreundet, daß eine große Zahl kleiner „Zettelgen“, wie Goethe gesagt hätte, zwischen Ischl und Gmunden oder zwischen Wien, Karlsgasse, und Wien, Heumarkt, hin und her wanderten. Die herzliche Freundschaft war so frei, daß Brahms zum Beispiel ohne Zögern folgende Zeilen an die Frau des Hauses wagen konnte:

„Liebe Gnädige Frau.

Sie haben Karte befohlen, hier ist sie — und wohl anständiger als Sie mir zutrauten?

Eigentlich nur warte ich nicht bis Freitag, wenn ich ein Erwünschtes bereits Donnerstag haben kann. Es ist ein besonderes, das mich dennoch den Freitag wählen läßt. Hoffentlich respektiert Ihre Köchin den Festtag gehörig? Mit herzlichen Grüßen

Ihr ergebener

J. Brahms.“

Die „anständige“ Karte, von der hier die Rede ist, verdient es, besonders erwähnt zu werden: es ist ein Briefkärtchen mit in Golddruck eingepreßten Initialen JB, durchaus nicht

alltäglich. Auch der Hinweis auf die Köchin ist nicht von ungefähr, da der Junggeselle Johannes Brahms verständlicherweise den leiblichen Genüssen im Freundeskreis nicht abgeneigt war; sowohl er als auch Freund Joachim waren ob ihres guten Appetits bekannt. Die Schilderung einer Mittagstafel vom 10. September 1893 — sind findet sich in den Tagebüchern der Frau Olga von Miller — mag daher ganz interessant sein: Krebsensuppe, Forellen, gebratener Schinken, Aspikreis mit Hirn und Huhn, Rebhühner, Faschingskrapfen (als Lieblingsspeise Joachims), Gefrorenes und verschiedene Bäckereien.

Bei solchem lukullischen Anreiz ist es nicht verwunderlich, daß Brahms gerne die Gelegenheit zu einem Besuch in Gmunden wahrnahm. „... Wenn Sie einmal einen Gast wünschen, der besonders gern kommt“, heißt es in einem Kärtchen aus dem Sommer 1895, „so sagen Sie ein leises Wort Ihrem herzlich grüßenden ... B'“ Aber es hieße Brahms verkennen, wollte man ihm nur materialistische Gedanken unterschieben, denn noch mehr als alles andere war es die ungezwungene künstlerische Atmosphäre, die den jeden Zwang und jede leere Etikette verabscheuenden Brahms immer wieder in das Haus Miller zog. „Wenn nichts besonderes dazwischen kommt, denke ich am 12-t mit dem 12 Uhr Zug hinüber zu fahren und freue mich, Sie alle und Goldmark zu sehen!“ heißt es in einem Brief des Sommers 1892, und etwas später: „... Joachim schreibt mir eben, daß er vom 9-t bis zum 16-t hier in Ischl zu bleiben denkt. Soll ich Sie und die Königin (Königin Marie von Hannover) etwa einmal in die Villa einladen?...“ Und beruhigend wirken die freundlichen Zeilen in der eindrucksvollen Handschrift: „... Nach einem so schönen und so schön verbrachten Tag wie neulich fährt es sich sehr behaglich und vergnüglich durch die Nacht heimwärts. Ich freue mich schon auf den August...“

Gelegentlich aber kommt auch eine umfangreiche Bitte an Miller-Aichholz; wie etwa die des 14. Mai 1896:

„Geehrtester Freund, morgen denke ich nach Ischl abzufahren und die großen Bilder aus Berlin sind noch nicht da! Sollten sie nächster Tage kommen, so wird eine Karte es Ihnen melden und Sie haben vielleicht die Güte, das Paket holen zu lassen. Es kommen vier Stück und ich bitte für Sie und Epstein auszuwählen, da übrig bleibende (einerlei welches) würden Sie die große Freundlichkeit haben, dies Herrn Eduard Brüll, Schottenring 18, zu schik-ken ... Verzeihen Sie die Eigenmächtigkeit...)“ Das „große Bild“, von dem Johannes Brahms hier spricht, eine ausgezeichnete Photographie, ist in der Gmundner Sammlung vorhanden; es ist ein wesentliches Giied innerhalb der nahezu lückenlos zu nennenden Reihe von Porträts, welche die menschliche Wandlung im Gesicht des Künstlers widerspiegelt. Da sich außerdem die überaus interessanten Bilder der Brahmsschen Familie in Gmunden befinden sowie eine große Anzahl von Künstlerbildern der Zeit, meint man, einer reichillustrierten Biographie gegenüberzustehen, um so mehr, als viele der dargestellten Personen durch die Erwähnung in Briefen besonders hervorgehoben werden.

Außerordentlich eindrucksvoll aber ist es, jenen kleinen Gegenständen zu begegnen, die das persönliche Bild des großen Künstlers in liebenswürdiger Weise menschlich machen: der Kaffeekocher, der auf dem Tisch zu stehen hatte, ein ähnlicher Teekocher, das Frühstücksgeschirr, eine blaue getupfte Masche, ein Federstiel — und zur großen Überraschung: eine beträchtliche Sammlung von Zinnsoldaten samt Rössern und Kanonen. Es ist ein weitläufiges Vermächtnis, das da jetzt im Gmundner Museum auf die endgültige Aufstellung wartet, und es gibt in seiner Gesamtheit ein offenherziges Bild des Menschen Johannes Brahms — ohne Aufdringlichkeit, gerade entsprechend dem jeder „Publicity-Sucht“ abholden Meister. Die Einrichtung des Salons aus der ehemaligen Ischler Sommerwohnung — ein großer runder eingelegter Tisch mit Sofa und Polsterstühlen, die mit braunem Rips überzogen und mit weißen großen Porzellankopf-

nageln verziert sind, das schlichte Bett mit dem dazupassen-den schlichten braunen Kasten und der Kommode — das alles vertieft den Eindruck von einem Menschen, der sich nicht persönlich ins Licht setzen wollte, sondern eher dieses persönliche Leben als eine Verpflichtung zu weiterer Erfüllung betrachtete. Nirgends findet sich daher eine Spur von Luxus, nirgends die geringfügigste Kleinigkeit, die auf Selbstbeweihräucherung schließen ließe. Im Gegenteil: gerade aus den sehr privaten Briefen, die in der Sammlung Müler-Aichholz zu finden sind, erwächst die so sehr ansprechende natürliche Geradheit des Menschen Johannes Brahms, die sich sowohl in Herzlichkeit und Freundlichkeit als auch in einem immer wieder durchbrechenden urwüchsigen Humor ausdrückt.

Das netteste Zeichen dieses Humors und zugleich des Einfallsreichtums ist eine Korrespondenzkarte an Frau Olga von Miller, die in Notenschrift die Anfangstakte des Schubert-Liedes „Guten Morgen, schöne Müllerin“ zeigt — eine sehr galante Aufmerksamkeit für die Empfängerin, denn die gewünschte Textumwandlung von „Müllerin“ in „Millerin“ war offensichtlich, um so mehr, als sich auch der übrige Inhalt an Schubert hält: „... wo steckt sie denn so lang ihr Köpfchen hin...“ Zwischen Humor und Sarkasmus schwankt die kurze Botschaft auf einer Visitenkarte — wir wissen nicht, an wen sie gerichtet war: „Ihr junger Bote getraute sich nicht mein dankendes ,Ja' im Kopf zu behalten!...“. Und in einem leider ohne Umschlag erhaltenen Brief, wodurch sowohl der Empfänger als auch das Datum im unklaren bleiben'“, bittet Brahms einen lieben Freund: „... Könnte durch Deine Güte wohl die Notiz in die Zeitung kommen: J. B. reist morgen (oder Ende der Woche) zu den Musikfesten in Leipzig und Köln ab... ich habe einen starken leisen Grund das weltgeschichtlich interessante Ereignis meiner Abreise gedruckt zu lesen! — und lesen zu lassen!...“

Die Besitzung der Familie Miller-Aichholz am Stadtrand von Gmunden ist längst in andere Hände übergegangen. Das Haus ist nicht mehr das Heim einer künstlerisch interessierten Familie, sondern beherbergt Berufsschüler in seinen Mauern. Der Park, durch den Johannes Brahms mit dem Landauer fuhr, ist verbaut, die Ruhe von damals — oder besser: die Stille von damals — ist nicht mehr da. Einzig die Straße ist noch benannt nach dem großherzigen Kunstfreund Victor von Miller, aber er wird doch nie vergessen sein, solange auch Johannes Brahms unter den Mensohen nicht vergessen ist.

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