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Aus Leningrad, Ankara und Prag

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Im Gtoßen Musikvereinssaal gastierten innerhalb des Internationalen Orchesterzyklus die Leningrader Philharmoniker unter ihrem ständigen Leiter Eugen Mrawinsky. Der breitschultrige blonde Hüne, nun schon ein wenig angegraut, mit Brille, Stab und Partitur ausgerüstet, ist immer noch, wie wir ihn vor einigen Jahren kennenlernten, ein strenger Herr des Orchesters. Die außergewöhnlichen Qualitäten der Musiker konnte man vom ersten intensiven Einsatz der Celli in Schostakowitschs hierorts unbekannter 6. Symphonie konstatieren, die 1939 von Mrawinsky und den Leningradern uraufgeführt wurde. Das knapp halbstündige Werk zeigt eine ungewöhnliche Anlage: nach einem melancholisch-

ausdrucksvollen, quasi monologischen Largo, das faist unverändert in einer Symphonie von Gustav Mahler stehen könnte (wir meinen das als Lob), folgt ein halsbrecherisch-virtuoses Scherzo und ein rhythmisch markantes Finale (Presto), das fast so fesch und reißerisch ist wie der bekannte Säbeltanz von Chatschaturian. Hier feuerten, von rechts oben, die kompakten Blechbläserbatterien mit unfehlbarer Präzision ihre Salven in den Saal, sekundiert vom Schlagwerk, das in der Aufstellung der Leningrader gegenüber vom Dirigenten seinen Platz hat. (Die Kontrabässe befinden sich in der linken oberen Ecke.) — Die folgenden beiden Stücke, zwei symphonische Märchenbilder („Baba Jaga" und „Der Zaubersee“), das eine drei, das andere fünf Minuten lang, dienten nur als Introduktion zum zweiten Hauptwerk des Abends. Ihr Autor ist Anatol Ljadow (1855 bis 1914), ein Schüler von Rimsky- Korssakow. Viel mehr ist über ihn nicht zu sagen. — Bemerkenswert schien uns die Wahl von Arthur Honeggers „Symphonie liturgique“ als Abschluß des Konzertes. Das Werk wurde in Wien wiederholt gespielt, aber wohl noch nie mit solcher Intensität. Honegger schrieb diese seine dritte Symphonie in den Jahren 1945/46 unter dem Eindruck des Kriegserlebnisses und als Bekenntnis zu den letzten Dingen. Die drei Sätze stellen eine ebenso persönliche wie intensive Auseinander setzung mit den liturgischen Texten dar und tragen die Titel „Dies irae“, „De profundis clamavi“ und „Dona nobis pacem“. Und in ihrem Geist bildeten Interpreten und Zuhörer, Gläubige und Ungläubige, eine einzige große Gemeinde ...

Das „Staatliche Symphonieorchester Ankara“ stellte sich als wohldiszipliniertes und zumeist auch klanglich wohilausgewogenes, wenn auch unter der Stabführung von Gotthold Ephraim Lessing in seinen musischen Fähigkeiten nicht voll ausgenutztes Instrument vor, das die Sympathien des Publikums auf Anhieb gewann. Karl Hollers „Kleine Symphonie“, in Österreich zum erstenmal aufgeführt, ist ein liebenswürdig flottes Stück mit viel formalen und kontrapunktischer Kunst, gefällig ohne Tiefgang. Die VI. Symphonie von P. I. Tschai- kowsky (Pathėtique) war fast ausschließlich nach ihrem Beinamen ausgerichtet, wodurch der dritte Satz zur (spontan beklatschten) Glanznummer wurde, der letzte jedoch viel von seinem Inhalts- und Ausdrucksgehalt verlor. Zwischen diesen beiden Werken stand das Konzert für Violine und Orchester e-Moll von Felix Mendelssohn- Bartholdy und wurde durch die Solistin Suna Kan zum Erlebnis. Ihr Spiel, nervös mit sehr viel persönlichem Engagement, technisch vollendet, groß und männlich in Ton und Bogenstrich und doch in beidem wieder von zarter Verhaltenheit, löste atemlose Spannung und rauschenden Beifall aus. Suna Kan steht jedenfalls in der ersten Reihe ihrer geigenden Kolleginnen. Der Wunsch, sie öfter in Wien zu hören, ist hoffentlich kein Wunschtraum.

Der von der Konzerthausgesellschaft veranstaltete Dvofäk-Zyklus begann mit der Slawischen Rhapsodie Nr. 3, op. 45, dem die 5. und 8. Symphonie folgten. Das Orchester der Wiener Symphoniker war glänzend disponiert und nur im Holz noch nuancenreicher vorstellbar, und hatte im Dirigenten Zdenėk Košler den bewährten und routinierten Führer durch das Oeuvre des Komponisten. So interessant die unbekannteren Werke Dvoräks sein mögen, scheint die natürliche Aus wahl der bekannten Kompositionen doch zu recht bestehen, wie der große Erfolg der 8. Symphonie (G-Dur, op. 38) gegen die Rhapsodie und selbst gegen die 5. Symphonie bewies. Nichtsdestoweniger ist von diesem Zyklus wenn auch kaum eine Wertverschiebung, so doch manche Überraschung zu erwarten.

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