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Im Zeichen Weberns

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Der 5. Internationale Webem-Kongreß — der erste, der in Wien stattfand — versammelte in den Räumen der veranstaltenden Gesellschaft für Musik zahlreiche Gelehrte aus Amerika und Europa, unter ihnen den Präsidenten der International Webern Society, Dr. Hans Moldenhauer, die Professoren Stephan und Dahlhaus sowie die Ex-österreicher Peter Stadeln und Walter Kolneder. Gegenstand der Arbeitssitzungen waren Person und Werk des österreichischen Komponisten, der — neben Schönberg und Alban Berg — als dritter Meister der sogenannten Wiener Schule und als jener, von dem die folgenden Generationen die entscheidendsten Impulse erhielten, in die Geschichte eingegangen ist.

Dem Wiener Kongreß waren Tendenzen eigen, die Auswirkungen auf die Zukunft haben können. So wurde Webern — vielleicht zum erstenmal

— in rein historischer Sicht begriffen, sozusagen in seinen Eigenwerten, und ganz entschieden gegen alle Versuche Stellung genommen, spätere Besitzergreifungen, gleich von wem sie kamen, auf seine Pioniertaten zurückzuführen. Daß Webern als historische Persönlichkeit erfaßt wurde, ging auch aus dem Uberwiegen philosophischer Referate hervor: speziell die Möglichkeit einer künftigen Gesamtausgabe, die auch die zahlreichen Skizzen des Meisters aufnehmen sollte, kam in dem abschließenden Round-table-Gespräch, das unter Leitung von Hans Heinrich Eggebrecht stand, als Wunsch zur Sprache. Die Analysen, die vorgelegt wurden, befaßten sich seltsamerweise überwiegend mit dem Frühwerk, vielleicht, weil darin die stilistische Evolution am deutlichsten mit der Tradition konfrontiert und so ein Anhaltspunkt für ihre Definition gegeben war.

Bekanntlich ist es dem Webern-Forscher Dr. Hans Moldenhauer gelungen, einen großen Teil des Nachlasses in einem Archiv zu deponieren, das sich in Amerika befindet. Dieses Archiv ist heute für Fragen der Werkentstehung, der philologischen Treue und der Biographie wesentlich. Aus diesem Nachlaß konnten bisher fast 20 Werke po-sthum ediert werden: über die Legi-mität dieser posthumen Ausgaben ergab sich — gerade angesichts der Historifizierung von Weberns Werk

— keinerlei Auseinandersetzung. Betont wurde lediglich, daß es sich bei dieser nachträglichen Ernte um Nebenwerke handelt, um Ausgesondertes, Fragmente, Skizzen, die wohl zur Ergänzung der vorliegenden 31 Opera analytisch betrachtet und auch aufgeführt werden können, aber nicht gleichrangig neben diesen bestehen.

Gedenktafeln wurden am Geburtshaus des Komponisten (Wien III,

Löwengasse 53) und an Weberns Wohnhaus in Maria-Enzersdorf (Im Auholz 8) angebracht. Die zahlreichen ausländischen Gäste ergriffen die Gelegenheit, mit den beiden in Wien lebenden Töchtern Weberns und mit seinen ehemaligen Schülern Kontakt zu nehmen, und zeigten sich insgesamt von der Durchführung des Kongresses und seinen Ergebnisses überaus befriedigt. K. R.

*

Den musikalischen „Rahmen“ des 5. Webern-Kongresses, also das eigentliche „Webern-Festival“, bestritten das Ensemble „die reihe“ unter Friedrich Cerha, das ORF-Symphonieorchester unter Michael Gielen und das Alban-Berg-Quartett. Wobei versucht wurde, einen möglichst breiten Schaffensquerschnitt zu bieten, und zwar auch durch die unveröffentlichten posthumen Kompositionen. Freilich: „Weniges aus dem Nachlaß reicht an das Niveau der zu Lebzeiten Weberns edierten Werke heran“, kommentierte etwa Cerha und meinte damit, daß es an der Zeit sei, auch gegen eventuelle Herausgeber- und Verlagsinteressen sich zu unvoreingenommen-kritischer Beurteilung des Webernschen CEuvres durchzuringen.

Mochte man auch über Webern und die Folgen theoretisieren, das praktische Beispiel wäre in vielem sinnvoller gewesen: So bedeutete es eine Simplifizierung, einfach ein Klavierkonzert Leopold Spinners, drei Lieder Hans Erich Apostels und zwei von Ludwik Zenk Webern gegenüberzustellen. Wo bleibt etwa Boulez, auf den Weberns Schaffen intensiv gewirkt hat, wenn man von den „Folgen“ spricht, wo bleiben Pousseur und all die anderen, die letztlich daran „mit schuld“ sind, daß

Webern heute endlich im Gespräch ist.

Interessantester Abend des Festivals war der unter Gielen im Musikverein: Man hörte die österreichische Erstaufführung von Roman Haubenstock-Ramatis „Tableau III“ (1971), eines graphisch notierten, schon im Partiturbild sehr übersichtlich gestalteten Werks von außerordentlichen Klangreizen. Stark kontrastierende „Klangaktionen“, die einander in kurzen Abständen folgen, geben dem Stück Dichte und Spannung, dramatische Intensität; wie auf einem „Tableau“ werden Farben miteinander verknüpft, Linien und Flächen reiben sich aneinander. — Luigi Nonos „Canti di vita e d'amore“ von 1962 zeigen deutlich die Diskrepanz zwischen des Komponisten politischem Anspruch und den musikalischen Möglichkeiten. Wie in seiner Oper „Intolleranza“ geht es auch hier um die Anprangerung politischer Systeme, um Reminiszenzen auf die Opfer von Hiroshima (Texte: Anders, Pacheco, Pavese). So anklagend-revolutionär er sich auch gebärden mag, das Ergebnis ist doch immer wieder ein Produkt der von ihm so attackierten „bürgerlichen Musikkultur“: ein Stück aus ungemein geschickt aufgebauten Klangflächen von stark dynamischen Unterschieden, von Sopran (der großartigen Slavka Taskova) und Tenor Werner Krenn in großen Bögen durchzogen. Rezitativische Deklamation und melodische Spannungen wechseln einander effektvoll ab.

Beide Komponisten, Haubenstock wie Nono, haben von Weberns Werk, vor allem von der „punktuellen“ Technik, Anregungen empfangen, sich mit ihr befaßt: Haubenstock bereits 1938, Nono in den fünfziger Jahren. Mit den hier aufgeführten Stücken haben sich freilich beide von Webern längst entfernt...

Weberns Werke selbst erklangen im Rahmen dieses Festivals in sehr unterschiedlicher Qualität: Beiläufig und unkorrekt vom Berg-Quartett (Opus 5, 9 und 28), akkurat einstudiert alle Wiedergaben unter Cerha, ein wenig zu routiniert, zuwenig geschliffen in den subtilen „Pointen“, unter Gielen (Opus 6 und 29).

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