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Der letzte Dodekaphonist
Der 1901 in Karlsrufte geborene und ausgebildete Komponist Hans Erich Apostel gehört zu jenen Künstlern, die, indem sie Wien zu ihrer Wahlheimat machten, dazu beitrugen, unserem Musikleben, wenn nicht Glanz, so doch Gewicht und Ansehen zu verleihen. Bereits 1921 ließ er sich endgültig in Wien nieder, wurde zunächst Schüler Arnold Schönbergs, seit 1925 Alban Bergs und war mit diesem sowie mit Anton von Webern bis zu beider Tod befreundet.
Apostel lebte hier als Freischaffender. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, betätigte er sich als Lektor, Juror, Vortragender, gelegentlich auch als Liedbegleiter — und pab Privatstunden, nach dem Krieg auch in Komposition. — Obwohl er die Öffentlichkeit nach Tunlichkeit mied, war er hier in all den Jahren nicht allein: ein halbes hundert Briefe und Karten von Alban Berg, 33 von Kubin, zahlreiche von anderen Künstlern wie Oskar Kokoschka, Emil Nolde, Herbert Bockel und Fritz Wotruba bezeugen einen auserlesenen Freundeskreis. „Im Heim“, sagte er einmal,
„mit Büchern, Gemälden und Zeichnungen, das selbsterkletterte Edelweiß auf dem Tisch, daneben ein Totenschädel“ — das sei das richtige Ambtente für einen Künstler. Geltungsbedürfnis hatte er keines, das allzu öffentliche, wie es manche Künstler lieben, schien ihm gefährlich.
Hier schuf er seine sämtlichen Werke, insgesamt 40. Sein op. 1 stammt aus dem Jahr 1928 und trägt den Titel „Klaviervariationen nach einer Kokoschka-Mappe“ für Klavier. Von den 40 Kompositionen ist der überwiegende Teil Kammermusik, 15 sind Vertonungen für Solostimme oder Chor. Kein Bühnenwerk findet sich in seinem Opusverzeichnis, kein Ballett, keine Oper, auch keine Symphonie. Auch hat es bei Apostel-Priemieren meines Wissens nie Skandale gegeben. Und doch stellte er nicht nur an sich, sondern auch an den Hörer höchste Anforderungen.
Er selbst hat sein Schaffen einmal in drei Perioden eingeteilt: eine (kurze) tonal-r omantische, eine expressionistisch ich-bezoge-ne und jene dritte, in der er sich der Dodekaphonik bediente, deren Möglichkeiten, seiner Meinung nach, längst nicht ausgeschöpft sind. Die Musik Weberns schätzte er sehr hoch, aber hier sei ein Ende, ein Höhepunkt, in gewissem Sinn, Weberns einsamer Weg könne nicht zu einer Autobahn für jedermann erweitert werden.
Apostel war nämlich der Meinung — und hat diese mit aller wünschenswerten Deutlichkeit auch in den zahlreichen Jurys vertreten, denen er angehörte —, daß die thematische Arbeit nicht aufgegeben werden dürfe. Klangliche Vorgänge haben nur sekundäre Bedeutung, und vieles, was von den Jungen und Jüngsten produziert werde, entspringe mehr der Spekulation und dem Sensationsbedürfnis. Liszt, Wagner und Richard Strauss waren in seinen Augen die Totengräber der „absoluten Musik“, zu der er sich stets bekannte, obwohl er selbst immer wieder sich an Dichtungen — von Rilke, George, Trakl u. a. — anlehnte und obwohl er sein Leben lang enge Beziehungen zur bildenden Kunst pflegte. So zum Beispiel schätzte er Doderers architektonische
Prinzipien und verglich sie mit den seinen, ebenso wie die eindeutigen und endgültigen Formen Fritz Wotrubas.
Denn er selbst, der Schwierig-Versponnene, dessen Argumentation von höchster Subjektivität und dessen Denken zuweilen sprunghaft war, hatte eine Allergie gegen alles Nichtgeordnete. Solche Gegensätze und Antithesen gab es in diesem Künstlerleben mehrere. Zu ihnen zählt auch, daß er, der kompromißlose Einzelgänger, nicht nur Freunde und ein Publikum, sondern auch Verleger und — in der Person des frühverstorbenen Harald Kaufmann — seinen Biographen gefunden hat, daß er mit fast allen großen Preisen ausgezeichnet wurde, die dieses Land zu vergeben hat, daß er seit 1960 Mitglied des Kunstsenats war — und daß seine Werke immer wieder auf den Programmen unserer konzertveranstaltenden Gesellschaften erschienen. — Da dies alles ohne sein Zutun geschah, haben wir die Hoffnung, daß das Werk Hans Erich Apostels nicht vergessen sein wird.
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