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Pionier der Moderne
Das Wiener Musikleben ist um eine bedeutende Persönlichkeit ärmer geworden: im Alter von 81 Jahren starb Hofrat Josef Polnauer. In seinem bürgerlichen Beruf war er Ministerialrat im Verkehrsministerium. Aber sein Herz gehörte der Musik, speziell den Werken Mahlers, Schönbergs, Bergs und Weberns. In seiner Jugend war er ein Schüler der „Wiener Schule“, in späteren Jahren ihr Apostel und Verteidiger. Als sich die Zwölftonmusik durchgesetzt hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit besonders der Interpretation zu. Er besuchte, so oft er konnte, die betreffenden Proben und überwachte, mit der Partitur vor den kurzsichtigen Augen, genau jede Zeile, jede Reihe. So sahen ihn viele in unseren Konzertsälen: für die meisten ein unbekannter alter Herr, für die, die ihn kannten und schätzten, eine fast schon „sagenhafte Figur“ aus der heroischen Zeit der neuen Musik. Sein Urteil war streng und unbestechlich, und ein Kollege sagte einmal, daß mit ihm verglichen’die berufsmäßigen Musikkritiker gutmütige Dilettanten seien.
Die andere Seite seines Wesens war seine Begeisterungsfähigkeit. Wenn etwas gut gemacht und wohlgeraten war, konnte er sich freuen wie einer von den Allerjüngsten. Mit der jungen Generation verband ihn seine Tätigkeit als (privater) Lehrer der Musiktheorie. Viele Jahre war er im Vorstand der IGNM (zuletzt als ihr Ehrenpräsident) und der Internationalen Gustav-Mahler-Gesellschaft tätig, und wenn er bei den Sitzungen anwesend war, könnte man sicher sein, daß es nicht langweilig werden würde. Die Öffentlichkeit mied er — weil er sie nicht brauchte. Aber wenn es musikalische Fragen zu diskutieren oder zu entscheiden galt, war er immer „da“. Den Experimenten der Jüngsten gegenüber verhielt er sich tolerant, aber nicht ohne Skepsis. Was Neues zu sagen war, hatten seiner Meinung nach bereits sein Lehrer Schönberg und dessen Schüler Berg und Webern gesagt. Ihm hat die Musik mehr bedeutet als alles andere im Leben. Er war einer der wenigen glücklichen und zufriedenen Menschen, denen wir begegnet sind. Weil er stets ein Begeisterter und ein Dienender war, der für ein Ideal lebte.
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