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Erinnerung an Heinrich Suso Waldeck

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Wenn ich an ihn zurückdenke, den wir im Freundeskreis Suso nannten, so steht vor mir dieser große, körperschwere Mann, der in seinem Wesen so gar nichts Massiges, Lastendes hatte. Ein Widerspruch fiel auf zwischen seinem Aussehen und seiner inneren Art, denn er lächelte im Gespräch immer wieder, er zeigte sich heiter, zum Scherz geneigt, sein Ton war leicht, die Stimme stets ruhig, niemals erregt. Ich habe ihn niemals anders als gelassen gesehen.

Es gibt fröhliche, gewichtlose Geister, deren Lebenszuversicht für Augenblicke wohltuend berührt, dann freilich kommen wir darauf, sie leben nur in einem Teilbereich unseres Daseins, ihre Leichtigkeit ist Selbstbetrug, sie weichen vor dem aus, was sie nicht sehen wollen. Wo immer ich heute dem Namen Heinrich Suso Waldeck begegne, in einem Gespräch, in einem Zeitungsblatt, auf einem Buchumschlag, sofort gewahre ich vor mir seinen goldgefaßten Kneifer und einen schrägen, versonnenen Blick nach him- meloben, abwesend und sehr gegenwärtig zugleich. Dies war ja eines der Geheimnisse dieses Mannes, er umfaßte gleichzeitig die Sterne und eben auch den Menschen vor ihm, mit dem er gerade sprach, es war zwischen alledem für ihn kein so großer Unterschied. Und seine Leichtigkeit kam aus einer Überwindung, nicht aus einer Flucht.

War es irgendeinmal so um Mitternacht, als wir uns in den nächtigen Straßen wie schon so oft gegenseitig begleiteten, ich weiß es nicht mehr, er sprach wider den Bohemien, den er den Menschen des Unmöglichen nannte. Und vordem hatte er den Philister dem ausschließlichen Erlebnisbereich des Wirklichen zugeordnet, den Künstler aber dem des Unwirklichen. Heinrich Suso wandte sich gegen den Bohemien? Und seht, war er selbst nicht immer wieder geneigt, Stunden um Stunden in tiefsinnigem Gespräch zu verbringen, auf Straßen und Gassen, in kleinen und kleinsten Kaffeehäusern? Wechselte er nicht stets seine Behausung? Und gab es nicht in solch einer kahlen Klause so viel Unordnung, daß ich mich fragte, wie dies mit so wenig Dingen überhaupt möglich sei? Und doch konnte man ihn nicht als einen Bohemien bezeichnen, gewißlich nicht, dazu war sein Geist zu gezüchtet, dazu reichte sein Gefühl zu tief. Bohemien, Suso hat recht, dieses Wort kann sich nur auf den inneren Menschen beziehen.

Geld besaß er nie lange. Bald war es verschenkt, er gab, wenn er nur geben konnte, und mochte er dann hungern, das hinderte ihn kaum. Ich weiß noch, wie er Geld spendete, um an einem der Vortragsabende einer literarischen Vereinigung das Auftreten einer bestimmten Lautenspielerin zu ermöglichen, von der man sich eine Steigerung der Zugkraft versprach. Wieviel mochte ihm damals verblieben sein? Doch wozu sollte er Habe besitzen? So gut wie nichts war sein eigen, wonach die Menschen meist so sehr begehren. Wozu sich in tausend Dingen verankern, als ob wir sie für immer festhalten wollten? Wozu sich erst irgendwo einrichten, wir bleiben da ja doch nicht! Sollen wir denn in all dem Kram selbst drinnen stecken, der uns rings umgibt? Wozu sich also erregen — hier liegt der Grund seiner Ausgeglichenheit —, all das ist doch nicht wesentlich, ist nur Erscheinung, nicht Sein. So bleibt er losgelöst von all dem lärmenden Ichgetriebe, das die Menschen so sehr erfüllt. Er lächelt nur, aber nie verletzend. Er ist ohne Gepäck, daher kommt das Leichte in ihm. Wer das noch Bohemientum nennt, spürt nichts vom Wesen der Dinge. Wir sind nur ein Gast auf dieser Erde, damit verstehen wir ihn.

Ich spreche von einer Zeit knapp nach dem ersten Weltkrieg, in der ihn in der breiteren Öffentlichkeit kaum jemand kannte. Noch war nichts von ihm als Buch herausgekommen, er kümmerte sich nicht darum. Um seine eigene Person ging es ihm nie und nirgends, und Eitelkeiten, darüber hätte er nur wieder gelächelt. Was gut ist und den Menschen etwas zu geben hat, setzt sich durch. Dem nachhelfen hieße nur den Wert, wie groß oder gering er sei, verfälschen. Geht es denn nicht von selbst? In einer Zeitschrift erschienen immer wieder einzelne seiner Gedichte, da erhielt der Herausgeber tadelnde Briefe empörter Leser, aber der prächtige Mann antwortete ihnen, so gute Gedichte habe er überhaupt noch nicht gebracht. Der Dichter Heinrich Suso Waldeck blieb auch später nach lange nahezu unbekannt und konnte bis heute nicht jene Geltung, jene Schätzung erlangen, die seiner Tiefe zukommt. Bekäme er diese Zeilen zu Gesicht, er würde abermals lächeln: was du dir für Sorgen machst!

Es versteht sich von selbst, daß unser Gespräch immer wieder das dichterische Schaffen betraf. Spät nachts war es in einem Kaffeehaus, als er Momberts gedachte, der mit den kosmischen Gefühlen nur spiele, durch Unverständlichkeiten einen Schleier über das Innere breite, etwas zu verbergen scheine und doch nichts verberge. Man dürfe einen Einfall, einen Gedanken, ein Gefühl, hatte er schon vordem gesagt, gewiß nicht bis auf den Grund ausschöpfen, sie nicht bis in die kleinste Nebensächlichkeit zergliedern, das wäre ein wissenschaftlicher Vorgang und kein künstlerischer, man müsse einen ungelösten Rest zurücklassen. Dadurch lege sich ein Schleier auf die Dinge, gleichfalls ein Schleier, doch einer, der etwas birgt, man werde geheimnisvoller und doch nicht unklar. In der Kunst dürfe man nicht alles sagen, das sei ihr Geheimnis, aber man müsse es so sagen, als ob man alles gesagt hätte.

Ein tiefer Einblick in sein Wesen war mir vergönnt, als wir uns einmal in einer Kaffeeschenke in Ottakring trafen, zwischen zerdrückten Zigarettenstummeln und tarockie-renden Taxichauffeuren. Suso kam mit ein paar zerknitterten Zeitungen und einem zerdrückten Notenblatt, er bestellte zwei Schnäpse und wir tranken Bruderschaft. Auf dem Notenblatt hatte er eine Melodie notiert, die ihm zuvor durch den Kopf gegangen war. Bei einem Musiklehrer spielte er manchmal Klavier, ohne je spielen gelernt zu haben oder jetzt zu lernen. Ich hörte ihn da an diesem Vormittag und war erstaunt. Einer seiner musikalischen Einfälle wurde Arnold Schönberg vorgelegt, der sich bereit erklärte, ihn kostenlos zu unterrichten, aber Suso selbst erachtete sich dafür zu alt. Audi auf dem Harmonium spielte er mir vor, ich durfte mir wünschen, was ich wollte, die Melodien strömten aus ihm, welche Seelenfarbe ich auch begehrte. Und ich begriff: aus der Musikalität seines Innern erstanden seine Gesichte.

Mußte er nicht in seiner Umgebung unverstanden bleiben, wenn sich die Menschen auch von seiner behutsamen, seiner priesterlichen Güte angezogen fühlten. Manch einer glaubte ihm raten zu müssen, weil man dies oder jenes an ihm unvernünftig fand. Als er mir davon erzählte — wir waren gerade den Stadtbahnbogen des Gürtels entlang gegangen —, blieb er unter einer Lampe stehen. Was man an ihm weltfremd schelte, meinte er, gerade dies verwandle sich oft in Segen, wenn es nur seinem Inneren entspringe. Und nun berichtete er mir ein kleines, anscheinend belangloses Begebnis, das so recht seine Art, sein Wesen kennzeichnete und das tiefe Vertrauen in ein Höheres, das ihn erfüllte. Er konnte, sagte er, in der letzten Woche lediglich einmal zu Mittag essen, weil er, der damals Religionslehrer war, die Mittagszeit dazu benützte, um seine Schüler in einer Ferienaktion unterzubringen. Und nun habe er eine Freikarte erhalten für zwei Monate Mittagstisch in einer Kriegsküche, ohne zu wissen von wem. Er sprach es nicht weiter aus, aber es ergab sich deutlich genug, wie sehr ihm die geringsten Alltagsdinge eingebettet zu sein schienen in das Unerklärbare, das Göttliche, dem er sich zutiefst verbunden fühlte.

Waldeck war sein Dichtername. Und die beiden Vornamen wählte er nach dem Dominikaner Heinrich Suso, Schüler des Meisters Eckart, dem die Gedanken mystischer Gottes- bezogenheit nicht nur Gedanken waren, sondern so ganz Erleben, ganz tiefes, leidenschaftliches, inbrünstiges Gefühl. Ich glaube, Heinrich Suso Waldeck trägt seine beiden Vornamen mit Recht.

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