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„Enkel der Wiener Schule“

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war der Titel eines im Großen Sendesaal von Radio Wien veranstalteten Konzertes mit Werken aus dem Zwölftonseminar Hanns Jelineks an der Wiener Musikakademie. Es handelt sich also um die dritte Generation von Zwölftonkomponisten, deren Stammväter Schönberg, Berg und Webern waren und als deren „Söhne“ etwa Egon Wellesz, Hans Erich Apostel, Ernst Krenek sowie die gegenwärtig an der Staatsakademie unterrichtenden Komponisten Haans Jelinek und Karl Schiske angesprochen werden können. Von den allerneuesten „Seriellen“ und „Elektronikern“ unterscheiden sich die legitimen Enkel — laut der Programmeinführung — durch das Ethos ihrer Musik, das eine ganze Reihe von Entscheidungen ein- und gewisse Kompositionsmethoden ausschließt. Sie werden als echte Enkel angesprochen wegen ihres „Bekenntnisses zum Geist, in der Betrachtung alles Technischen als Mittel zum Zweck und durch das Fernhalten von allen Methoden, in denen das unbelebte Material zum Herrscher wird, sei es durch eine Uberorganisation, auf die der Mensch keinen Einfluß mehr nehmen kann, sei es durch das Walten des Zufalls, durch den erst recht der Entscheidungsfreiheit des Komponisten der Boden entzogen wird“. Soweit das Programm. Und soweit auch die Gemeinsamkeit der vier an diesem Abend unter der Leitung von Ralph Weikert aufgeführten Werke (der übrigens, blutjung und mit Eifer, aber auch mit Umsicht am Pult, gleichfalls der Generation der „Enkel“ angehört).

Merkwürdig spannungslos und zurückhaltend ist die Tonsprache des 1933 in Turin geborenen Francesco Valdambrini. Schade, daß er seine Nationalität so konsequent verleugnet. Aber auch das gehört heute in der Musik zum guten Ton. Man spricht, wie in den Tanzlokalen zwischen San Franzisko, Paris, Warschau und Tokio, überall das gleiche Musikesperanto. Von Klangfarben, die neben dem formalen Element in dem „Concerto per orchestra d'archi“ eine wesentliche Rolle spielen sollen, ist nicht viel zu merken, und mit den Meisterwerken dieses Genres aus neuerer Zeit, etwa mit Straussens „Metamorphosen“, Bartöks „Divertimento“ oder Theodor Bergers „Malinconia“, darf man das gleichmäßige Streichergesumme Valdambrinis nicht vergleichen.

Der Norweger Gunnar Sönstevold, 52 Jahre und damit der weitaus älteste der „Enkel“, erwies sich auch als der phantasievollste und freieste Musiker. Sein zweisätziges Konzert für Flöte, Fagott und Orchester bringt zunächst die Flöte mit den Blechbläsern, hierauf das Fagott mit den Streichern ins Spiel und schließt ein etwas breit geratenes Scherzo mit reizenden Klangspielepisoden an, die in der Hauptsache von dem mit acht Mann besetzten raffinierten Schlagwerk ausgeführt werden.

Der 25jährige Alireza Mashayekhi, der aus Teheran nach Wien gekommen ist, um hier zu studieren, hat ein dreisätziges Konzert für Orchester geschrieben, das so ziemlich das Ungefälligste und Widerborstigste Ist — übrigens auch das Lärmendste —, was wir in letzter Zeit gehört haben. Vom Standpunkt der Musik, der Komposition wären das eher neutrale, keineswegs wertbestimmende Eigenschaften, aber es ist äußerst unklug und, was die Wirkung betrifft, unökonomisch — weil abstumpfend —, den Hörer so schlecht zu behandeln.

Nachdem einem solcherart die Ohren verstopft waren, hatte man Mühe, sie den wesentlich feineren Strukturen und Klangspielen der Symphonie in einem Satz von Erich Urbanner wieder zu öffnen. Auch hier gibt es Brutaleffekte genug, dazwischen aber auch poetische, reizvolle Partien, die Teile einer Konstruktion bilden, die beim ersten Hören freilich nur gerade zu erahnen ist.

Wie verhält sich nun die Musik dieser „Enkel“ zu der der „Väter“? Sie ist vor allem wesentlich robuster, lärmender und mehr auf Effekte ausgehend. Und sie zeugt von einer gewissen Redseligkeit, wohl auch Formlosigkeit, die man —• wie immer man zur Wiener Schule stehen mag — deren Begründern nicht nachsagen kann. Die von diesen gepflegten aphoristischen Formen scheinen im Augenblick ganz aus der Mode gekommen zu sein. Die besprochenen Kompositionen — ob ein- oder mehrsätzig — dauern je rund 20 Minuten und erklangen alle zum erstenmal.

Ein dicker Kranz gebührt dem Rundfunkorchester sowie den beiden Solisten Georg Weinhengst und Heinz Lorch (Flöte und Fagott). Ob sie je noch einmal Gelegenheit haben werden, diese mit so viel Mühe einstudierten Stücke zu spielen? Hier liegt das allergrößte Problem der neuen Musik ...

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