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JOSEF MATTHIAS HAUER/DER MEISTER DER TROPEN

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Es ist kaum möglich, Josef Matthias Hauer und sein Werk „sachlich“ zu würdigen. Denn wir haben hier eine Persönlichkeit und eine Leistung, ein Lebenswerk vor uns, denen man mit dem routinemäßigen Musikvokabular nicht gerecht wird.

Josef Matthias Bauer wurde am 19. März 1883 in Wiener Neustadt geboren. Hier besuchte er die Lehrerbildungsanstalt, und hier war er als Volksschullehrer tätig. Als Musiker ist er Autodidakt — freilich in einem so umfassenden Sinn, daß das Wort eine neue Bedeutung erhält. 1911 „entdeckte“, er das Grundprinzip der Zwölftonmusik. — Seither galt das Altüberlieferte für ihn nicht mehr. Es handelt sich für Hauer nicht um „Erfindung“ eines neuen Kompositionssystems, noch um „Inspiration“, was das einzelne Werk betrifft, denn „der Weltbaumeister hat von Ewigkeit her die absolute Musik ein für allemal komponiert, vollkommen vollendet. Wir Menschenkinder bemühen uns im Laufe eines Kulturäons, diese göttliche Vatersprache zu erlernen“. Zehn Jahre später entdeckt er die Tropen, 44 an der Zahl, Konstellationsgruppen, mit denen der Musiker die 479.001.600 Vokabeln, die möglichen „Melosfälle“, überblicken und ordnen kann. Das W-erk Hauers ist riesengroß. Ein Teil davon ist bei der Universaledition, Wien, erschienen, die eben einen Gesamtprospekt herausgegeben hat.

Hauers Musik ist statisch, meditativ, lyrisch und — harmonisch. „Die vollkommene Musik darf nicht zu hoch, nicht zu

Zeichnung: R. Caudea tief, nicht zu laut, nicht zu leise, nicht zu schnell, nicht zu langsam sein-, sie muß wohltemperiert, wohlintoniert vorgetragen werden.“ — Hauers letzte Zwölftonspiele und Manifeste sind im „Fortissimo“-Verlag erschienen, den der Sohn des Komponisten leitet und der — Heurigen- und Schlagermusik ediert. . .

Hauer hat nie einen akademischen Lehrstuhl innegehabt, hat seine Zwölftonmusik nie als Kompositionslehrer propagiert. Um ihn ist ein kleiner Kreis von Getreuen, voran der Kunstwissenschaftler und Musikhistoriker Dr. Johannes Schwieger. Er führt ein ausführliches Tagebuch über alles, was Person und Lebenswerk des Meisters betrifft, sammelt in einem Archiv die Handschriften, Tonbänder und alles, was sich auf Hauer bezieht. Später .einmal soll das ganze Material der Musiksammlung der Oesterreichischen Nationalbibliothek zur Verwahrung übergeben werden. — Seit dem Jahre 1938 hat sich Hauer von der Oeffentlichkeit vollständig zurückgezogen. Während der letzten 25 Jahre lebt er in einem kleinen Alt-Wiener Haus in der Josefstadt. Zwei kleine bescheidene Zimmer, nur mit dem Allernötigsten ausgestattet: Eisenbett und Stuhl, ein Regal, und ein Tisch aus dem Nachlaß von Hugo Wolf, kein einziges Buch: Mönchische Armut. . . Sein 70. Geburtstag ging fast unbemerkt vorüber. Anläßlich des 75. sollte man sich ein wenig intensiver eines Werkes annehmen, das zum großen Teil noch der Entdeckung harrt.

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