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Bach in Brasilien - Cimarosa im Akademietheater

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Gerüchten nach hat der brasilianische Komponist und Dirigent Heitor Villa-L ob os etwa 1300 (eintausenddreihundert) Werke geschrieben, von denen 600 im Druck erschienen sind. Wir lernten davon im 4. außerordentlichen Konzert der Wiener Symphoniker nur eine Kostprobe, gewissermaßen eine Messerspitze voll, kennen. — Schade, daß diese Auswahl so wenig charakteristisch war. Denn weder in der Sinfonietta Nr. 1 über ein Thema von Mozart von 1916, noch im 5. Klavierkonzert von 1954 (Solistin: Felicja Blumental) war ein eigener Ton zu erkennen. Eher schon in den „Cirandas das 7 Notas“ für Fagott und Streichorchester von 1933 und in den „Bachianas Brasileiras“ Nr. 2 von 1930. Eigentümlicher als in dem letzten dieser vier Stücke (Toccata) ist dem Thomas-Kantor wohl noch nie gehuldigt worden: mit Urwaldrhythmen, neger-haftem Getrommel und Plantagengerassel ... Villa-Lobos, der selbst dirigierte, ist vor allem a{s Folklorist interessant. Aber gerade als solcher kam er bei seinem Wiener Konzert nicht recht zur Geltung.

Unter der Leitung von Christian Moeller und Gottfried Kassowitz wurde im Akademietheater von Schülern der Akademie die in Wien seit mehr als 50 Jahren nicht mehr aufgeführte komische Oper „Die heimliche Ehe“ von Domenico Cimarosa (1749 bis 1S01) gespielt. Sie wurde seinerzeit für Wien geschrieben, wo der aus Neapel stammende Meister als Hofkapellmeister Kaiser Leopolds II. tätig war, und fand solchen Anklang, daß sie in Wien und anderswo mehr als hundertmal gegeben werden konnte. „11 matrimonio segreto“ erwies sich als ausgezeichnetes Schulstück für den Stil der Opera buffa und wurde von Christian Moeller lebendig, beweglich und mit guten Einfällen inszeniert. Die jungen Sänger Hubert Hofmann, Herbert Petrik, Edith Polednik, Antonia Kupez, Marion Bravos und Walter Lederer berechtigen zu den besten Hoffnungen; der erstere ist als bühnenreif zu bezeichnen. Das Orchester, dem allerhand zugemutet wird, war nicht immer so präzise, wie es dieser Stil in besonderem Maß erfordert, und erreicht nicht ganz den Standard früherer Konzerte und Studioaufführungen.

Im Brahms-Saal des Musikvereins konzertierte der junge russische Pianist Emil G i 1 e 1 s aus Moskau, Träger mehrerer nationaler und internationaler Auszeichnungen. Sein Spiel ist naturburschenhaft-kraftvoll, zuweilen gewalttätig, und erinnert an eine unter zu starkem Dampfdruck stehende Lokomotive. Seine stupende Technik gestattet ihm rasende Zeitmaße und dynamische Effekte von zuweilen beängstigendem Ausmaß! Da aber die Disziplin dieses jungen Künstlers nicht geringer ist als sein Temperament, hat seine Interpretation auch künstlerischen Rang. Die Werke unserer Klassiker (Mozart, Sonate B-dur, KV. 570, und Beethoven, Sonate C-dur, opr 2) müssen sich einiges von dem jungen Pantagruel gefallenlassen; Debussys „Images“ faßte er recht behutsam an; und bei der Interpretation von Prokofieffs 3. Sonate und der Toccata, op. 11, decken sich das Talent des jungen-Russen mit dem zuweilen wilden Charakter seines Landsmannes.

Das letzte Konzert des Zyklus „Oesterreichisches Musikschaffen der Gegenwart“ wurde von dem Kammerorchester der Symphoniker unter der Leitung Franz Litschauers ausgeführt. Der David-Schüler Helmut E d e r, Jahrgang 1916, erweist sich in seinem „Konzertanten Präludium und Ricercar“ für Streichorchester und Schlagwerk als kenntnisreicher Kontrapunktiker. Erich Marckhls „Divertimento für Trompete, Streicher und Schlagwerk“ zeigt vor allem in dem meisterhaft geformten ersten Satz eine eigene, an großen zeitgenössischen Vorbildern geschulte Handschrift. In der Kammerkantate „Der mystische Trompeter“, nach Gedichten von Walt Whitman, für Sopran, Trompete und Klavier von Friedrich Wildgans, erfreut die aparte Besetzung und die spielerisch waltende Phantasie. Die „Fünf Sätze über ein altes Trinklied“ von Anton Purin ger erinnern nicht nur in der Besetzung (Streichorchester und Klavier) an Hindemiths „Vier Temperamente“. — Die charaktervolle Substanz der einzelnen Werke, vor allem in dem Opus von Marckhl, das stilistisch ziemlich einheitliche Programm und der Einsatz hervorragender Solisten (Ilona Steingruber, Sopran, und Helmut Wobisch, Trompete) verliehen diesem Schlußkonzert erfreulichen Rang und den Reiz des Interessanten.

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