6547142-1947_21_10.jpg
Digital In Arbeit

Meister und Maestri

Werbung
Werbung
Werbung

Beethovens Symphonien sind — nicht nur in Wien, aber hier auf ganz besondere Weise — ein Prüfstein für jeden Dirigenten. Unter den Besuchern eines Beethoven-Konzerts befinden sich — auch heute noch — viele, die jeden Einsatz, jede Wendung, jeden Übergang genau kennen. Sie wissen um die Schönheiten und die Schwierigkeiten der einzelnen Stellen und verfolgen mit einer Aufmerksamkeit, an der Herz und Geist gleichermaßen beteiligt sind, wie ein Dirigent jene ins Licht hebt, diese meistert. — Hat man einmal auch nur einen flüchtigen Blick getan in eines der zahlreichen Bücher, die sich mit der Wiedergabe der Beethoven-Symphonien besdiäftigen (etwa in das von Schenker über die Neunte oder in Weingartners „Ratschläge“), so will es scheinen, daß in diesen vor einem Menschenalter geschriebenen Werken bereits alle Möglichkeiten erwogen, alle Schwierigkeiten der Interpretation gelöst worden sind. Auch diese Untersuchungen kennt mancher Hörer, der durch eine Reihe von Aufführungen des gleichen Werkes unter verschiedene Dirigenten vergleichen und sidi ein Urteil bilden konnte. Ohne die saubere und einwandfreie Lösung aller Detailfragen der Partitur wird ein Beethoven-Dirigent vor den Musikfreunden unserer Stadt nicht bestehen können.

Hinzu kommt ein anderes. Zwar gehört Beethovens Werk, wie das jedes großen Künstlers, der Welt und allen Menschen; aber es gehört dem Österreicher, dem Wiener noch auf besondere Weise. Karl Kobald hat in seinem gründlichen, mit Liebe — aber ohne blinden Lokalpatriotismus — geschriebenen Buch nachgewiesen, daß Beethovens Schaffen durch seine Wahlheimat, durch die besondere Atmosphäre der Stadt und der Landschaft, befruchtet und gefördert wurde. Und Wien, andererseits, ist nicht nur reich an musealen Beethoven-Erinnerungen, sondern es hat sich auch durch beständige und eifrige Pflege das Werk seines Meisters als kostbarsten Kulturbesitz zu eigen gemacht. Ich denke hiebei weniger an eine gewisse Aufführungstradition, als an jene feinen und feinsten Unterscheidungen des Gefühls für das Echte, Halbechte und Falsche einer Beethoven-Interpretation, Unterscheidungen, die mit Worten kaum mehr zu umschreiben sind.

Zwei italienische Maestri, in ihrer Heimat von Rang und Ruf und auch diesseits der-italienischen Grenzen nicht unbekannt, haben die beiden ersten und die letzte Symphonie des Wiener Meisters aufgeführt. P. M o 1 i-n a r i und F. P r e v i t a 1 i standen ein ausgezeichnetes Orchester und für die Neunte ein guter Chor sowie allerbeste Solisten zur Verfügung. An äußeren Mitteln also fehlte es nicht. Die diarakteristischen und besonderen Qualitäten italienischen Musizierens können sich bei der Wiedergabe Beethovenscher Werke kaum entfalten und fallen nicht ins Gewicht. Alles geriet leicht, matt und spannungslos; trotz ungewohnt lebhafter Tempi und trotz dynamischer Übertreibungen. Beethovens I. Symphonie ist nicht etwa Haydns letzte, in der II. spürt man die Klau des Löwen noch deutlicher — allerdings nicht bei der besprochenen Aufführung —, und die ersten drei Sätze der Neunten soll man nicht von vorneherein- auf den“ letzten visieren. „Freude, schöner Götterfunke“ — das empfindet jedes Menschenherz. Aber ist es nur die sorglose, jubelnde, dionysische Freude — ein wenig allzu grell und allzu laut —, wie die Maestri sie empfanden und darstellten? Spüren wir heutigen Mensdien nicht mit Erschütterung, daß Beethovens Freude auch die unsere ist: die nach schwerem Leid geschenkte? „O namenlose Freude! Nach unnennbarem Leide — so übergroße“ Lust!“ So klingen gegen das Ende des „Fidelio“ Leonores und Florestans Stimmen zusammen. Aber nach diesem Unterton forschte unser Ohr vergebens.

Mit dem gleichen Orchester und denselben Solisten veranstaltete das Akademische Collegium Musicum zwei Aufführungen von Beethovens Neunter, die Josef Krips leitete. Sie kamen dem Ideal echter Beethoven-Interpretation bedeutend näher. Hier war Kraft und vorwärtsdrängende Bewegung in den raschen Sätzen, hier gab es Spannungen der Stille und der großen Steigerungen, fließende Übergänge und kräftige Kontraste. Manchmal freilich mehr äußere als innere Dramatik; auf alle Fälle aber war ein echter Musiker am Werk. Es ist für den Kunstfreund immer interessant zu beobaditen und aufschlußreich, ob nur die Zuhörer oder auch die Ausführenden sich von einem Dirigenten hinreißen lassen. Diese gaben wirklich ihr Letztes her. Was Wunder, daß, was von Herzen kam, auch zu Herzen ging?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung