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Meisterschaft in der Begrenzung

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Immer deutlicher gilt uns das Goethe-Wort von der Beschränkung, in der sich erst der Meister zeigt, auch für die Musik. Die Zeit der großen Besetzungen, des rauschenden Klanges ist vorüber, die Farbe weicht der klaren Zeichnung. Begrenzung kennzeichnet auch die Form So ist uns die alte Musik zum Zauberspiegel geworden, in dem sich uns die Zukunft zeigen, soll.

Noch spielt in den Werken der älteren-Meister unseres Zeitalters das Erlebnis der Farbe eine große Rolle und es läßt sich auch in einem der letzten Werke Ravels, in den unlängst von Elisabeth Höngen höchst eindringlich nachgestalteten und in einem ausgezeichneten Französisch gesungenen „Chansons madegasses“ nicht verkennen. Das Exotische bedarf seiner, und die drei begleitenden Instrumente stellen es bezwingend dar. Aber die Begrenzung der Mittel, die früher wohl ein üppig großes Orchester gewesen wären, beweist, wie das Wesentliche jetzt auf dem neuen Weg gesucht und gefunden wird, für den Ravels Gabe der scharfen Kontur eine starke Hilfe ist.

So gewinnt uns auch die Kammermusik einen neuen Sinn. Sie gilt uns nicht mehr, wie den vergangenen Jahrzehnten oft, als Auszug oder gar als Behelf, der „orchestral“ sein möchte und soll* sondern sie ist uns Beschränkung aufs Wesentliche, wobei die hohe Forderung solcher Begrenzung streng hervortritt. Wir hören darum auch heute die ältere Kammermusik wieder anders, und so kam auch ein Sdiumannsches Streichquartett, in der vollendeten, schon mit den ersten Takten Geist und Herz Schumanns voll und rein aussprechenden Wiedergabe des Pascal-Quartetts, als Musik an sich, ohne Anspn ch auf wesensfremde Wirkung, zu hohen Ehren; man entsann sich eines Wortes von Andre“ Gide: daß das klassische Werk schön und stark sein könne nur insoweit ,als es einen gebändigten romantischen Zug in sich habe.

Die Begrenzung geht aber noch weiter. Sie äußert sich in der neuerdings wieder stark fühlbaren Neigung zum Soloinstrument. Nicht, daß Bachs Chaconne auf den Programmen steht, ist das Symptomatische; sondern, daß sie nun auch inmitten des orchesterbegleitenden Virtuosenkonzerts als Herzstück erscheint, wie das neulich von Walter Barylli als Zeugnis des Könnens und des Kunsternstes dargetan wurde, sagt aus, wie sehr es den Musiker nicht zu Glanz und Blenden, sondern zur reinen Gestalt hinzieht. Da finden sich denn auch Regers Geigensolosonaten wieder* sinnvoll auf den Programmen ein, was um des frischen Musikantentums, das namentlich seine ersten Arbeiten auf diesem Gebiet so erfrischend kennzeichnet, erfreulich ist. Eine dieser Sonaten hat sehr dankenswert und mit schlackenloser Sicherheit neulich Odno-posoff gespielt.

Die Concerti grossi von Händel sind vor gar nicht langer Zeit in großer Besetzung gespielt worden, mit geradezu üppigem Klang. Sie sind uns heute Kammermusik des Konzertsaals, und sie^büßen durch den schlankeren Klang nicht das geringste von ihrer gewaltigen Kraft ein. So hat 'ins damit Anton Heiller und sein Coilegium musicur^ in frischestem Musizieren, doch nie verzärteltem oder verdicktem Vortrag, eine Stunde' freudiger Erhebung bereitet. Hier ist die Musik nur Musik; nicht die gedankliche Beziehung, nicht der Klang um seiner selbst willen spricht: hier ist Musik eben Musik, ein Spiel nicht „tönend bewegter Formen“, sondern der schaffenden Lebenskraft selber, gesetzvoll und frei zugleich.

Beim großen Couperin gibts freilich etwas zu raten, seine Titel und Untertitel veranlassen dazu. Aber das alles ist doch auch ohne Worte voll wirkende Musik, höch-tcns, daß das Erkennen der Gestalten im Zuge der Musik den Humor der Darstellung, ihre Drastik verstärkt. Hauptsache bleibt floch die zarte und doch so bündige Formung der Stücke, ihre Phantasie und Einfallsfülle — all das hat die Schweizer Cembalistin Sylvia Kiid zu unmittelbarer, reiner Wirkung gebracht. So bringt das Vorbild der alten Musik, die ja in ihren großen Meistern eben frisch weiterlebt, Freude, Erkenntnis dessen, was uns not tut: Klarheit der Zeichnung, Begrenz ing der Mittel.

Damit wäre auch die Rückkehr zum Lied gegeben, und die Forderung 'hieße hier: reinste melodische Gestaltung. Aber unsere unruhvolle Zeit dringt mit ihrem Suchen, Fordern, mit ihrem Kampf zwischen Altem und Neuem, Naturliebe und technischem Fortschritt, wie sie jeden einzelnen Menschen erfaßt, auch in die persönlichste Kunstäußerung ,ins Lyrische ein. Dessen haben wir ein merkwürdiges, ja bedeutendes Zeugnis in Kreneks „Reisetagebuch aus den österreichischen Alpen“. 1929 geschrieben, hat es von seinem teils lyrisch-landschaftlichen, teils prophetisch zeitkritischen Gehalt und von seiner anregenden Wirkung nichts eingebüßt. Es ist in vielem sozusagen Prosa der Musik, wie ja auch die Dichtung in ihrem geistreich improvisierenden Ton durchaus die Zeitkindschaft des Autors ausspricht, aber zugleich ist doch Liebe zu unserer Landschaft darin schöpferisch geworden, und auch dadurch enthält das Werk einen besonderen Rang. Julius Patzak hat dem „Reisebuch“ eine sehr eindringende, in den lyrisdien wie in den geistigen Zügen gleich stark überzeugende Darstellung gegeben, und Heinrich Schmidt hat am Klavier dazu Ausgezeichnetes beigetragen.

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