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Honeggers tragische Verdüsterung

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Le Havre geborene, in Paris beheimatete und 1955 dort verstorbene Westschweizer, war einer der fruchtbarsten und universellsten Komponisten unserer Zeit. Acht biblische und weltliche Oratorien, ein rundes Dutzend Ballette, fünf Symphonien, eine Reihe von Kammermusikwerken sowie zahlreiche Partituren für Bühne und Film bilden ein gewaltiges Opus, hinter dem eine kraftvoll-vitale Persönlichkeit steht, der auch — wie wir bei einer Begegnung feststellen konnten — die heiterironischen, liebenswürdig-gemütlichen Züge nicht fehlten. — In jungen Jahren gehörte Honegger zur „Gruppe der SIX“ und trieb allerlei musikalischen Schabernack. Den sport- und technikbegeisterten zwanziger Jahren hat er mit den symphonischen

Sätzen „Pacific 231“ und „Rugby“ gehuldigt. Aber schon frühzeitig manifestiert sich bei Honegger eine Vorliebe für große, zeitlos-erhabene Gegenstände und die ihnen entsprechende Form. So entsteht bereits 1920 der symphonische Psalm „König David“, dem ein Jahr später das biblische Oratorium „Judith“ und die musikalische Tragödie „Antigone“ nach Sophokles folgten.

Nach einem schaffensfrohen und, wie

dem es auch an Ehrungen und Erfolge nicht fehlte, gelangte Honegger bereit vor zehn Jahren, also fünf Jahre vor sei rem frühzeitigen Tod, zu recht pessimisti sehen Anschauungen über die von ihm ge ibte Kunst, zu Meinungen und Prognosen lie er in einer Folge von Rundfunk besprächen mit dem Pariser Kritike lernard Gavoty formuliert und be gründet hat. — Hier nur einige Sätze:

„Es ist wahrscheinlich, daß noch wäh •end einer gewissen Zeitspanne, die ir voraus abzumessen mir nicht möglich ist veil ich kein Prophet bin, eine klein Bruppe sich darauf versteifen wird, Parti uren zu schreiben. Eine andere klein Gruppe wird sie ab und zu anhören. Abe mmer weniger wird man ihnen Aufmerk lamkeit schenken Ich bin ehrlich da von überzeugt, daß, in wenigen Jahren lie Tonkunst, so wie wir sie verstehen licht mehr existieren wird. Sie wird ver chwinden wie die anderen Künste auch iber vermutlich schneller als lene. Wi ehen, was heute schon vor sich geht assen wir uns doch überzeugen! Mai letzt sich nicht hin, um Musik zu hören ondern um die Leistungen des hervor agenden Dirigenten oder des berühmtei 'ianisten zu bewundern. Das gehört in Grunde, wie wir wissen, mehr in das Ge riet des Sportes als der Kunst Icl age es noch einmal: nicht die Musik is lie Hauptsache, sondern die Virtuositä ler Aufführung. . . Man fragt sich, warun o viele Meister der Vergangenheit so vielt Werke geschrieben haben, da sie doch nii lie Neugier der Ausführenden zu erreget mstande sind. Und mit noch mehr Grün: ragt man sich, warum die unbekannter ungen den Anspruch erheben, in der chon überfüllten Ring zu treten. — Dei :luch — das Wort ist nicht zu kraß —

der auf unserem Metier lastet, ist dieser: die Musik stirbt nicht an Blutarmut, sondern an Blutüberfluß. Es wird zu viel produziert, zu viel Angebot für so wenig Nachfrage Dem Ende unserer Musikkultur, das nur um ein weniges dem Ende unserer Kultur überhaupt vorausgeht, muß

man mit klarem Auge, so wie dem Tode, entgegensehen Es nützt nichts, sich dagegen aufzulehnen. Man muß es gelassen ins Auge fassen. Nachher wird man sich mit dem Gedanken trösten dürfen, daß aus den Trümmern dieser Kultur eine neue erstehen wird.“

Die um die gleiche Zeit geschriebene fünfte und letzte Symphonie Honeggers gibt dieser pessimistischen Stimmung tönenden Ausdruck. Das knapp 25 Minuten dauernde Werk führt den Titel ,',d i t r e r e“ und hat nichts — wie man immer wieder lesen kann — mit den Heiligen Drei Königen zu tun, sondern bezeichnet lediglich deri letzten, von Kontrabässen und Pauke gespielten Ton (ein re = d), heißt also soviel wie „dreimal d“. Über die Entstehung des Werkes hat Honegger gesagt: „Ich leide an peinigender Schlaflosigkeit. Um meine schwarzen Gedanken zu verjagen, schreibe ich sie auf Papierfetzen. Das gibt mir Skizzen. Nachdem ich sie miteinander verbunden hatte, bemerkte ich, daß daraus eine Symphonie wurde; dann habe ich sie instrumentiert.“

Diese. Symphonie — ein dramatisches Nachtstück und . bedeutend nicht nur als rsöpche, Ąt 5-ager erlebte, eine ,intensive, höchst eindrucksvolle Wiedergabe in einem Konzert der Wiener Symphoniker im Großen Konzerthaussaal unter der Leitung von Günther Wich. Der junge deutsche Dirigent war bisher in Freiburg im Breisgau tätig, ging dann nach Graz und wird künftig in Hannover Konzert- und Opernaufführungen leiten. Hier, in der Honegge r-Sympho- n i e wie in der nachfolgenden monumentalen „Achten" von Bruckner erwies sich Günther Wich als feinfühliger Musiker und hervorragender Orchesterführer. Er versteht es, große symphonische Bogen zu spannen und verliert dabei kein Detail aus dem Auge, er hat mit dem Orchester besten Kontakt und musiziert mit einer gelösten Diszipliniertheit, die für Auge und Ohr gleichermaßen wohltuend ist. Wir haben die Symphonie von Honegger noch nie so intensiv und klar gehört, und auch Wichs Bruckner-Interpretation braucht Vergleiche mit den Leistungen bekannter „Spezialisten“ nicht zu scheuen. Die Wiener Symphoniker waren — wie immer, wenn sie in guten Händen sind — in Hochform. Sehr lebhafter und langanhaltender Beifall.

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