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Aus der Welt der Romantik

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In der Literatur bedeutet „romantisch“ — ursprünglich „romanisch“ — die Anknüpfung an den Geis des abendländisch-christlichen Mittel alters im Gegensatz zu der am antiken Schönheitsideal orientierten Klassik. Die musikalische Romantik bietet geistig kein einheitliches Bild. Immerhin lassen sich gemeinsame Wesenszüge und Merkmale der romantischen Musikwerke feststellen: die

Form ist nicht mehr gestaltbildend, das eigentliche Leben regt sich in den Einzelheiten; in der Melodik herrscht das Liedhafte vor, jedoch nicht in Form der klaren Linie, sondern wie hinter harmonischen Schleiern; überhaupt tritt gegenüber dem melodischen Element die Harmonik in den Vordergrund, die Dissonanz wird zur Klangfarbe; die strenge Satzfolge der klassischen Symphonie wird gelockert, geändert, dem seelischen Empfindungsablauf angepaßt oder einen malerischen Eindruck nächzeichnend.

In seiner IV. Symphonie fordert Schumann — bedeutsamer Übergang Zur symphonischen Dichtung — die unmittelbare Aufeinanderfolge der vier romantisch-poetischen Sätze. Die Interpretation des Werkes durch die Philharmoniker unter Karajan war fesselnd und aufschlußreich: fesselnd durch die Spannung und Dramatisierung der Ecksätze, aufschlußreich, was die Persönlichkeit des Dirigenten betrifft, dem die Darstellung des Romantisch-Lyrischen, des Eigentlichen von Schumann, wesensfremd ist und daher — wenigstens vorläufig — aui i nicht gelingen kann. (Im gleichen Konzert spielte Ginette Neveu das Violinkonzert von Beethoven und unterordnete sich, sehr zum Vorteil des Werkes, der strengen symphonischen Führung des Dirigenten.)

Die deutsche Romantik, bodenständig und volksverbunden im ursprünglichen und reinen Sinn des Wortes, wirkte fördernd auch auf die nationalen Kräfte der anderen Völker. Von Schumann führt eine gerade Linie über Brahms zu Dvorak, dessen Symphonie „Aus d ’ r Neuen Welt“ wir im 5, Pro-Arte-„jnzert unter dem Münchener Dirigenten Hans Rosbaud hörten. — Die Reihe der symphonischen Dichtungen — zunächst in der Form der Programmsymphonie — beginnt in Frankreich mit Hector Berlioz. Etwa 20 Jahre jünger als Berlioz ist Cisar Franck, der sich in seinem Tongedicht vom „W ilden Jäge r“, nach einem Text von Lenau, technisch als gelehriger Schüler der Neudeutschen erweist und gehaltlich jene spezifisch französische Romantik repräsentiert, die — ähnlich wie bei Victor Hugo — das Düster-Bizarre, Phantastisch-Abenteuerliche betont. — Im gleichen Konzert hijjrten wir ein Epigonenwerk der europäischen Romantik, das Klavierkonzert von Emil von Sauer, von Angelica Sauer-Morales sehr poetisch, mit weichem Anschlag und großer technischer Sicher heit vorgetragen. Hans Rosbaud scheint eine Vorliebe für romantische Musik zu haben und bringt auch wesentliche Voraussetzungen — wenigstens für deren Oberflächengestaltung — mit. Die Symphoniker ließen sich von dem anstrengenden Dirigenten willig führen.

Von Schumann führt die eine Entwicklungslinie zur symphonischen Dichtung der Neudeutschen, die andere zu den Symphonikern Brahms und Bruckner, die, trotz romantischer Grundhaltung, dem Ideal klassischer Formvollendung zustreben. Was Brahms im Technischen von der Klassik unterscheidet, ist vor allem die Vorliebe für das Detail, die feinere Organik der Formen. Wir hörten die IV. Symphonie von den Symphonikern unter Hans Knapperts- busch. Gerade Brahms, und gerade diesem Werk, ist mit einem gewissen genialischen Schlendrian nicht beizukommen. Der Grundsatz schien zu sein: was gerät — gut! was nicht gerät — auch gut! Aber sind wir den großen Meisterwerken nicht mehr schuldig als ein improvisatorisches Ungefähr,? (Überflüssig zu sagen, daß für einen mittelmäßigen Dirigenten diese Aufführung ausgezeichnet gewesen wäre. Aber Knappertsbusch ist kein mittelmäßiger Dirigent...) Im gleichen Konzert erklangen, nach Haydns Symphonie mit dem Paukenschlag, Franz Schmidts „Konzertante Variationen über ein Thema von Beethoven" (Solist Friedrich Wührer).

Eine Verfeinerung und Differenzierung erfahren die romantischen Kunstmittel in der Kammermusik. Drei französische Meister der Jahrhunderwende, von der französischen Geigerin Ginette Neveu gespielt und von Jean Neveu meisterhaft begleitet: das war ein Programm von seltener Geschlossenheit und erlesenem Geschmack. Cesar Franck, 1822 geboren, erweist sich in seiner Violin sonate A-dur als der Robusteste und Wirkungsvollste. Gabriel Fąurč (Violinsonate, op. 13, A-dur) bildet den Übergang zum Impressionismus. Die g-molI-Sonate von Claude Debussy (geboren 1862) führt uns noch ein Stück weiter, in expressionistisches Neuland. An diesem Abend bot Ginette Neveu — im Unterschied zu ihren beiden vorausgegangenen Konzerten — wirklich Vollkommenes, weil sich die Persönlichkeit der Künstlerin und die dargebotenen Werke iji vollkommenem Einklang befanden.

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