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Biedermeier unerwunscht

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Der Bedarf an Stücken ist in den Theatern gegenüber der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg außerordentlich zurückgegangen. Im Volkstheater wurden damals in einer Spielzeit 25 Stücke nur einmal, 26 nur zweimal gespielt. Dennoch ist die Produktion für den heute so sehr schmal gewordenen Bedarf zu gering. Man greift auf alte Stücke zurück, auch wenn sie vor gar nicht langer Zeit das letzte Mal gespielt wurden. Bewähren sie sich weiterhin?

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Der Bedarf an Stücken ist in den Theatern gegenüber der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg außerordentlich zurückgegangen. Im Volkstheater wurden damals in einer Spielzeit 25 Stücke nur einmal, 26 nur zweimal gespielt. Dennoch ist die Produktion für den heute so sehr schmal gewordenen Bedarf zu gering. Man greift auf alte Stücke zurück, auch wenn sie vor gar nicht langer Zeit das letzte Mal gespielt wurden. Bewähren sie sich weiterhin?

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Bei der Posse „Einen Jux vMl er sich machen“ von Nestroy, die derzeit im Volkstheater gegeben wird, läßt sich dies von vornherein bejahen. Aber auch die Inszenierung von Gustav Manker? Er hat diesmal Scheu vor dem Biedermeier. Gewiß, die Gefahr des Süßlichen, Allzulieblichen liegt dabei nahe. So nun tragen die Darsteller vorwiegend Kleider der neunziger Jahre. Wird die Posse also in diese Zeit verlegt? Das auch wieder nicht. Denn die Bühnenbilder von Georg Schmid bestehen asketisch aus nackten Wänden und stereometrischen Gebilden, die formal und farblich meist gut aussehen, aber ins falsche Stück gestellt sind, hier nicht einmal durch Kontrast wirken, sondern sozusagen gegen unser vergnügliches Gepacktsein von den Vorgängen und witzigen Aspekten heftig opponieren. Das ist modischer Trend. Aber Nestroy läßt sich nicht umbringen.

Flottes Spiel. Heinz Petters ist ein impulsiver Weinberl, Kitty Speiser hat sich optisch erstaunlich gut in den Christopherl verwandelt, man erkennt sie kaum, nur das Spitz-und Lausbübische fehlt leider. Ko mödiantisch sehr wirksam erweis sich Walter Langer als Hausknech Melchior, Rudolf Strobl überzeug als Gewürzkrämer Zangler. Treffli eher Einsatz der übrigen Mitwirken den.

Und die Komödie „Der Arzt am Scheideweg“ von Bernard Shaw, aufgeführt im Theater in der Josef -Stadt? Wirkt sie noch? Viel, sehr viel Konstruktion! Nur Sir Ridgeon kann den jungen, unbekannten, aber ungewöhnlich begabten Maler Du-bedat von seiner Tuberkulose heilen, aber in seiner Klinik ist nur noch ein Platz frei, für den es noch einen Anwärter gibt, den tuberkulosekranken Arzt Blenkinsop. Und da begeben sich — man denke — die vier prominentesten Ärzte Englands zu Dubedat ins Atelier, um zu beurteilen, ob er wert ist, gerettet zu werden. Als aber Ridgeon den tuberkulosekranken Blenkinsop bevorzugt, kommen alle vier Prominenten noch einmal, um dem Sterben Dubedats beizuwohnen. Das soll man glauben.

Immerhin gibt es einen packenden Konflikt: Wer ist mehr wert, der anständige, gewissenhafte Blenkinsop oder der genialische Dubedat, der sich als Lump und Erpresser erweist? Aber Shaw verfälscht den Konflikt, Ridgeon „mordet“ Dubedat, weil er dessen Frau liebt, die ihn dann abweist. Das reicht.

Wozu das Stück aufführen? Es gibt Rollen, die zur Darstellung reizen. Theaterleuten genügt es offenbar. Unter der Regie von Edwin Zbonek zeichnet Leopold Rudolf glaubhaft den prominenten Mediziner Ridgeon, nur die Skrupellosigkeit glaubt man ihm nicht recht. Heribert Sasse überzeugt als genialisch unbekümmerter Maler, Hannelore Eisner profiliert andeutend dessen junge Frau. Unterschiedliche Arzttypen: Hans Holt, Franz Stoß, Kurt Hein-tel, Ernst Waldbrunn.

Die Kammerspiele sind finanziell aktiv, decken einen Teil der Passiva des Theaters in der Josefstadt. Den Minimalansprüchen an Stücke werden in der Dependance Rotenturm-straße kaum Grenzen gesetzt, das Publikum ist auf jeden Fall gewillt, sich zu unterhalten. Auch bei dem Lustspiel „Die Weltreise“ von Fritz Eckhardt, das da uraufgeführt wurde. Bei der Möbelfabrikantin Dora Werthaber, die wegen Steuerhinterziehung in U-Haft war — vorgebliche „Weltreise“.—, nistet sich die Karate-Susi, eine ebenfalls freigelassene Zellengenossin, erpresserisch ein. Der Patent-Unterhalter Eckhardt glaubte mit diesem Absprung holterdipolter wieder ein Stück zimmern zu können. Es sieht danach aus. Dennoch inszenierte es Peter Loos. Ist ihm schon alles recht? Die Dora liegt der damenhaften Bürgerlichkeit von Vilma Degischer gar nicht, die Karate-Susi der Elfriede Ott sehr.

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