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Große Frauenrollen

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Nicht selten konnte man in letzter Zeit eine gewisse, durchaus positiv zu wertende Konkurrenz zwischen der Josefstadt und den Staatstheatern feststellen. Bisweilen schien es, als wolle die private Bühne der Burg den Preis abgewinnen. Die beiden letzten Premieren zeigen ein Rennen Kopf an Kopf: „die“ Krahl als Kameliendame in der J o s e f-stadt, „die“ Gold als Nora in der Burg! Die Stücke lassen sich nicht vergleichen.

„Die Kameliendame“ von Dumas junior ist ein verstaubter sentimentaler Reißer, den auch die Neuübertragung und Bearbeitung durch Ludwig Berger, Chansons von Ludwig Nachmann (nach Beranger) und die Musik von Gustav Zelibor nicht retten können. Wohl geben sich die Regie Paul Hoffmanns, die Interieurs Otto Niedermosers und die Kostümbildnerin Reihs-Gromes sehr sichtbar Mühe, mit dem Ensemble der Josefstadt und dem Gast Gretl Schörg als sangeskundige Olympia; eine sehenswerte Aufführung käme aber dadurch allein nicht zustande. Hilde Krahl überwindet souverän den larmoyanten Stoff. Diese Marguerite Gautier ist nicht die einen langen Abend lang hinsterbende Kokotte mit einer „schönen Seele“, sondern eine große starke Frau, welche die Begegnung mit dem jungen Edelmann Armand Duval blitzartig nützt, um sich in Leid und Liebe zu höchster Reife auszufalten. Eine Frau, die bewußt den letzten ihr noch verbleibenden Lebensabschnitt als ein Kunstwerk gestaltet; sie ergreift also die „Gelegenheit“, von Vater Duval angeboten, sich dem Geliebten zu entfremden, um in der Distanzierung ihn und sich zu letztmöglicher Reife zu führen. Ja, eine Führerin ist diese Frau, eine Erzieherin des Mannes, die ihn das Leben lehrt. Das ist also eine Kameliendame, wie man sie nicht so bald findet, und erwartet; fast eine moderne Iphigenie oder Herzogin Tassos, auf jeden Fall eine Schwester der großen Frauen in Goethes Leben und Werk, denen der Weimarer Minister seine Reifung zur vollmännlichen Persönlichkeit verdankt. Wissend, klug, in einer stillen, starken Art, geht diese Frau ihren Weg zu Ende.

Ibsens „P u p p e n h e i m“ ist eines der großen Dramen des 19. Jahrhunderts. Seine Gegenwartsbedeutung verdankt es zwei Dimensionen, die heute nach einer Neugestaltung rufen: die Ehe, als schöpferische Formung einer neuen Humanität mitmenschlicher Beziehungen, und die Begegnung zwischen Mann und Frau als den beiden Polen der Menschheit. Das, was da Helmer mit seiner Frau Nora auszuhandeln hat, nämlich die Erschließung des Mannes durch die Frau und der Frau durch den Mann, bildet heute den Hauptgegenstand der Verhandlungen vieler großer internationaler Kongresse von Ae'rzten, Psychologen, Therapeuten, Soziologen und Seelsorgern. Die „frustration“, die Unerfülltheit des geschlechtlichen gesamtmenschlichen Befindens zahlreicher Men*shen,: ist nicht nur d<* s Modewort in den USA, sondern '.fkih, eine gesellschaftliche. Wirklichkeit, die iliÄi&cii&en über-** ganze moderne Welt wirft. Nun scheint gerade in dieser Hinsicht bei den Helmers und bei Tausenden anderen europäischen Familien in Ibsens Zeit und heute alles „in Ordnung“ zu sein. Ibsen, den seine Zeit als „Anarchisten“ und „Nihilisten“ denunzierte, weil er unter der Decke dieser „Ordnung“ ein Chaos und eine große Leere aufdeckte, ließ sich aber nicht täuschen. Alle Täuschungswilligen und alle, die die Verdrängung der (Selbst-) Erziehung vorziehen, verspüren deshalb, gerade heute wieder, ein heftiges Unbehagen im Angesicht der Probleme, die Ibsen uns vorstellt. Es ist gerade das Zeitgemäße, das da als „unzeitgemäß“, „überholt“ beiseite geschoben wird, weil „man“ sich nicht selbst betroffen sehen möchte vom erregenden Gegenwartsgehalt dieses Stückes: In der neuen Aufführung der B u*r g, neun Jahre nach der letzten im Akademietheater, gestaltet Käthe Gold die Nora ganz aus den Anliegen unserer Zeit heraus. Diese Nora ist nicht mehr ein verliebtes, über die Bühne wirbelndes Weibchen von damals, sondern eine junge Frau, die plötzlich sehr, sehr wach wird; und sieht, daß sie sich, ihr Leben ändern muß, soll nicht ihr Leben und das ihrer Liebsten in einem Sumpf der Selbsttäuschung und falscher Selbstzufriedenheit versinken. Ihr Tarantellatanz ist jetzt ein Ausbruch, ist Angst, kaum gehemmte Verzweiflung; ihr Abgang von der Bühne ist keine Flucht, sondern die Oeff-nung eines Tores: für sich, für den Mann, der jetzt die Chance hat, ihr Gatte und Partner zu werden, für die Familie. — Ewald Baiser, der leider auch Regie führt (das ist schade, denn es ist unmöglich, so große Rollen zu spielen und gleichzeitig das ganze Drama distanziert zu gestalten), gibt dem Helmer eine bedrückende Enge und Selbstgefälligkeit, die, in anderem Gewände, gerade heute wieder so vielen „Arrivierten“ und „Erfolgreichen“ eigen ist.

Schade um manche Kürzungen im Text, so daß gerade der letzte entscheidungsschwere Akt arg zusammengedrängt wird und der großen Auseinandersetzung Noras mit Helmer einige Glaubwürdigkeit raubt. — Eine sehenswerte Aufführung.

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