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Verfremdeter Ibsen

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uan sich die Filmschauspielerin Mana Schell gerade Ibsens populärstes Stück „Nora oder ein Puppenheim“ für ihre Rückkehr zur Bühne erwählt hatte, entsprang wohl der Überlegung, daß diese Gestalt in ihrer Entwicklung vom scheinbar verspielten Kind zum freien Menschen eine Rolle abgibt, die den Einsatz aller schauspielerischer Mittel lohnt. Aber diese Rolle verlangt beinahe das Äußerste. Es gilt nicht nur, sich von den berühmten Vorbildern zu lösen, sondern auch in den verschiedensten Nuancen den Weg aus dem schalen, kitschigen, kleinlichen Leben in die Welt der Selbstbehauptung glaubhaft zu machen und zugleich die Kraft aufzubringen, die Rolle bis zum Ende durchzuhalten. Denn in „Nora“ triumphiert ja längst nicht mehr die Emanzipierte, sondern die Frau.

Was mitanzusehen immerhin ein Theatererlebnis hätte werden können, wurde

bei dem Tourneegastspiel der Basler Komödie auf der für dieses Stück viel zu großen Bühne im Theater an der Wien eine arge Enttäuschung. Unter der kaum spürbaren Regie des schon mehrfach bewährten jungen Regisseurs Imo Moszko- wicz tollte Maria Schell in steter Exaltiertheit durch die ersten beiden Akte, gaįt. hohe Lerchentönp . von {.ich, schnitt Grimassen^. klatscht U.q. die. Händ.e und. vet usgabte sich dabeį derart,, daß. so ziemlich alle Akzenfstfz'drigen. die allein den entscheidenden dritten Akt vorbereiten sollten, verlorengingen. Es wunderte dann nicht mehr, daß insbesondere der Schluß, als Nora entschlossen das Heim verließ, nachdem sie Helmer den Spielball „das Wunderbare“ zugeworfen und -er ihn fragend in törichter Hoffnung aufgefangen hatte, allzu harmlos geriet. Im übrigen waren auch die anderen Rollen nur unzulänglich oder falsch besetzt. Veit Relin war als Helmer nicht der vor lauter Moralität versagende und komische Pedant, Hans Holt als Dr. Rank merkwürdig farblos, Rolf Arndt ein viel zu gewalttätig polternder Krogstadt, und Anna Smolik als Frau Linde glaubte man nicht die Läuterung durch Leid .und Entbehrung.

Nach acht Probewochen und vielen Gerüchten um den „Schwierigen“, nämlich Fritz Kortner als Regisseur, brachte das Burgtheater mit allen Anzeichen einer Sensation Ibsens Alterswerk „John Gabriel Borkmann“ zur Aufführung. Ibsens Tragödie vom übersteigerten Individualismus jenseits von Gut und Böse ist eine Dichtung großen Stils. Borkmann, der von

c-.uciii gewaltigen inuusiriereicn iraumie, um dessentwillen er sich an fremden Geldern vergriff, reicht wie die beiden Frauen, zwischen denen er steht, an mythische Dimensionen heran. Sohn eines Bergmanns, wollte Borkmann das Erz aus den Schächten zum Golde „erlösen“ und für das Wohl der ganzen Menschheit verwenden. Er scheiterte: denn es ist viel leichter die Menschheit zu lieben als einen einzelnen Menschen. Sein Verbrechen im tragischen Sinne war, daß er seine Frau und deren Schwester, die ihn liebte, seinem Machtwahn aufgeopfert und so „die Fähigkeit zur Liebe in ihnen gemordet“ hat.

Man erwartete von Kortner, von dem die Fama ging, daß er den Mut habe, „sich gegen das Durchschnittliche zu empören und die Anforderungen bis zur Überspannung zu steigern“, eine dem Stück kongeniale Inszenierung, zumal er

auch für die Bearbeitung (sprachliche Änderungen, Streichungen, Umstellungen usw.) verantwortlich zeichnete. Aber statt Erschütterung stellte sich Verblüffung ein. In dem beklemmenden Bühnenbild von Jörg Zimmermann mit den fahlen Schlupfwinkeln und Spiegeln geht zunächst die Begegnung der beiden Schwestern vor sich. Ruhelos, wie Getriebene ünd.. TOü irgendwtsin tGehgtzte bewegen sie sich durch den Raum. Sie setzen sich nieder,' um ÜtefSK1 wieder aülzustelien und anderswohin zu gehen. Tabletts werden hin und her getragen, Gaslampen angezündet und verlöscht, Fenster geöffnet und geschlossen und immer wieder die Kohlenschaufel in Bewegung gesetzt, 41m Kohlen im Ofen nachzulegen. Keine paar Worte fallen, ohne daß sie von einer Beschäftigung oder einem Gang unterbrochen würden. Auch später flüstern die Schauspieler meist, daß mindestens das halbe Theater kaum ein Wort versteht. Dazwischen explodieren ab und zu Ausbrüche, um gleich wieder zu versiegen. Zeitlupentechnik, Tempozerdehnung herrschten vor. In dieser Regie formten sich die Schauspieler nach Kortners eigenem Bilde, vollzog sich die Tragödie. Ewald Balser (Borkmann), Paula Wessely (Ella), Alma Seidler (Gunhild) sind die Träger der Hauptrollen. Sie haben große Momente und wirken doch wie in einer merkwürdigen Manier „verfremdet“. Schlichter und eindringlich Knut Koch als aufbegehrender Sohn, Anton Reimer (aus München) als hilflos gutmütiger Fol- dal, Sonja Sutter als verführerische Frau Wilton. Es gab ostentativen Beifall für Kortner.

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