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Schiller und Shaw

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Was das Burgtheater zu geben vermag, zeigt die neue „Maria Stuart“ in der Regie Leopold Lindtbergs, der es versteht, zwei große Schauspielerinnen in ein Kraftfeld zu bannen, das beiden das Letzte abverlangt. Käthe Dorsch als Elisabeth und Paula Wessely als Maria. Eigentümlich, wie hier wirklich Welten präsent werden, einander gegenübertreten. Die Nürnbergerin, Tochter einer Stadt, die durch Zähigkeit, Klugheit, zielstrebige Arbeit, durch technische und handwerkliche Begabung und naturwissenschaftliches Denken (die Universität Altdorf gehörte Nürnberg) weltberühmt geworden Ist, verkörpert hier so recht das „protestantisch Prinzip“ der letzten Jahrhunderte Alteüropas: hoher Intellekt, Straffung aller Elemente im Dienste eines Ganzen, Opferung, wenn es not tut, des eigenen Herzens. Das ist die Dorsch als Elisabeth von England: kaltes Feuer, sich selbst ebenso wie Freund und Feind verzehrend, gewandet in Gold, Silber, Eis. (Die prächtigen Staatskleider, entworfen von Ernl Kniepert, untermalen auf das glücklichste diese gleißend künstliche Sonne, deren Strahlen töten.) Ihr gegenüber die Wienerin; sie lebt das katholische Prinzip Alteuropas dar (wie es Hegel, der eine Nürnbergerin heiratete, sich “aber nach der Wärme und Schlamperei des katholischen deutschen Südens lehnte, ersah); breite Leben, sich verstrahlend, verschenkend; belastet mit vieler und schwerer Schuld; ausgelassen, ein Kindskopf mit übervollem, nie klug werdendem Herzen. Die Wessely verbindet mit diesem „katholischen“ Lebensstil, den man heute noch in Frankreich, Italien, Spanien vielfältig facettiert findet, in ihrer Gestaltung der katholischen Maria Stuart eine österreichische Spiritualität, eine Kunst, im Leisen und Leisesten, Kleinsten und Kaum-Wahrnehmbaren das Lauterste und Größte anzusagen, wie wir sie auf der Bühne der Burg seit Jahren nicht mehr gesehen haben; das letzte Mal erschien sie uns in Vollendung in der Aussprache der Maria Eis als Aebtissin mit der jungen, angstverzerrten Karmelitin in der „Begnadeten Angst“. So ist es auch kein Zufall, daß die Wessely einen Höhepunkt ihres Schaffens erreicht in der Beicht-izene. Wie unglücklich, hilflos und unerquicklich bezeigen sich selbst bedeutende Künstlerinnen in dieser Szene, in der man ihnen anmerkt, wie wenig si vom offenbaren Geheimnis des Menschen wissen. Diese einzige Szene würde den Besuch dieser neuen

„Maria Stuart“ lohnen. Es muß dankbar anerkannt werden, daß sich die Herren alle Mühe geben, um neben diesen Mächten (Dorsch und Wessely) sich in Ehren zu behaupten: Liewehr als Leicester, Reyer als Mortimer, Skoda als Burleigh, und die anderen. Teo Otto schuf für diese unvergeßliche Aufführung ein Bühnenbild, das, als Drohung und Verheißung, als Kerker und Hoffnung, transparente Kräfte entbindet.

Zweimal Shaw in diesen Tagen; als Herbstpremieren auf Wiener Bühnen. Fast ist man versucht, zu sagen: Keinmal wäre diesmal besser gewesen für das Andenken an den eigenwilligen Iren, das am lebendigsten dadurch gehütet wird, daß man nur wenige seiner Stücke, nach langer Wahl, auf die Bühne bringt. Das Akademietheater bringt ein frühes Stück Shaws, „Man kann nie wissen“, neu heraus. Nun, das hätte man schon wissen können, daß dieses Stück heute nur als eine lose Sammlung von Albernheiten wirken kann, da die geistigen und politischen Voraussetzungen, die ihm einst, um 1900, einen gewissen Hintergrund und damit Sinn gaben, längst nicht mehr bestehen. So flattern in „ulkigen“ Kostümen Inge Konradi, Judith Holzmeister, Hilde Wagener, Alexander Trojan und andere einen Abend lang vor dem Publikum, das nicht weiß, warum es im Oktober zu dieser Faschingsveranstaltung eines Pensionat Anno Schnee geladen wurde, herum.

Wenig glücklicher ergeht es einem anderen Stück Shaws in -der J o s e f s t a d t. „Pygmalion.“ Diese Story vom armen, aber hochanständigen Blumenmädchen mit dem scheußlichen Londoner Vorstadtdialekt, das als Versuchskaninchen eines Professors, der an diesem „Material“ zeigen will, was er als Sprachforscher und Sprachbildner vermag, zur Dame von Welt aufsteigt, vermag nur in allerbester, glücklicher Besetzung zu wirken. Werner Finck, der hervorragende Kabarettist, schöpft da zu wenig.aus dem Inneren heraus, und Heli Servi, als eine Partnerin, ist zu wenig strahlend, um wirklich ein Interesse für dieses Mädel zu erwecken. Da alle anderen Personen dieses Stückes nur stiefväterlich vom Autor behandelte Nebenrollen sind, vermag alles herzliche Bemühen derselben die Aufführung nicht zu jeher Wirkung zu erheben, die ein i altes Lustspiel eben braucht, um weiterleben zu können.

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