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Oscar Wilde und Hans Holt

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Der Fasching „ruft“ nach Lustspielen. Möglichst kurz sollen sie sein, spritzig, nicht anstrengend, da die Damen und Herren ja noch zu einem Ball müssen; da aber nicht alle dem Fasching auf diese Weise huldigen, und die Stücke ihn noch überleben sollen, soll wenigstens ein Gran von „Scherz, Ernst, Satire und tieferer Bedeutung“ in ihnen aufleuchten.

Akademietheater und J o s e f s t a d t ist es gelungen, auf verschiedene Weise das Plansoll des Faschings mit zwei Lustspielen zu erreichen. Oscar Wildes „Eine Frau ohne Bedeutung“ stammt aus dem Jahre 1893. Die englische Gesellschaft, die er da angreift, ist nicht mehr. Sie ist zum Teil großartig gestorben, besser als sie gelebt hat, in der letzten Reiterschlacht unseres Jahrhunderts, in Flandern, im ersten Weltkrieg, und hat im zweiten Weltkrieg ihren Blutzoll gezahlt. Die Schlösser, an deren Kaminen diese Satire spielt, sind verkauft, vermietet oder sind anderen Zwecken zugeführt. Die Enkel und Erben spielen andere Spiele. Sehr, sehr viel von dem Klatsch und Tratsch dieser bissigen, witzigen, aufgeblasenen und törichten jüngeren und älteren Damen ist vergilbt, wie Gardine, Plüsch, Bordüre; wie so vieles, was Oscar Wilde, der Liebling dieser ichverliebten Leute, von sich gab. Mit einem anderen Decadent des Fin de siecle, mit Friedrich Nietzsche, darf er aber von sich sagen: „Abgerechnet, daß ich ein Decadent bin, bin ich auch dessen Gegenteil.“ Wer seine „Briefe aus dem Kerker und dem Gefängnis“, seine „Ballade vom Zuchthaus in Reading“ liest, weiß das. Dies glaubwürdig zu machen, heute, auf der Bühne, bedarf es eines Regisseurs wie Ernst Lothars und einiger außerordentlicher Schauspielerinnen. Ihnen gelingt es, im Knistern papiergewordener Phrasen den anderen Wilde anzuzeigen: den Mann der Schmerzen, den Moralisten und Bruder Shaws, den Menschen, der über sich selbst Gericht hält. Leider ist gerade die Selbstdarstellung, als schönredender, geistvoller und gewissenloser Dandy, als Lord Illingworth, in der Maske Fred Liewehrs etwas zu dünn geraten. Wie denn die Männer nicht nur im Stück, sondern auch in der Rollenbesetzung in keiner Weise den Bombenrollen der Damen gewachsen sind. Adrienne Geßner

als Lady Hunstanton mischt Gift, Güte, Geist in atembeklemmender Weise; Rosa Albach-Retty als Lady Pontrefact jagt nicht nur ihrem armen Mann (Paul Pranger), sondern einer Legion von Ehekrüppeln Schrecken ein. Hilde Wagener als Lady Stutfield und Angelika Hauff präsentieren eindrucksam ebenso aufgeblasene wie unangenehme Personen. Inge Brücklmeier, etwas blaß als junge Amerikanerin, als frische Luft in einem schwülen Treibhaus. Die „Frau ohne Bedeutung“ ist die Wessely. Still, sanft, verhalten erscheint sie: eine Rachegöttin, die für Generationen beleidigter Mädchen und Frauen Gericht hält. Lange vor dem letzten Schlag, mitten

ins Gesicht Lord Illingworths, hat sie den Gegner vernichtet. Die Art, wie sie ihm den gemeinsamen Sohn entwindet, zeigt eine Muttermacht auf, die in Garcia Lorcas großen nächtlichen Frauen, Göttinnen des Todes, so unheimlich prächtig präsent ist, uns Oesterreichern in Mozarts Königin der Nacht vertraut. Eine Königin der Nacht ist diese \Frau ohne Bedeutung der Paula Wessely.

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Nicht in solche Tiefen versteigt sich das sonnenwarme Lustspiel Hans H o 11 s in der Josefstadt: „Der Herzspezialis t.“ Ueber den Dächern von Wien, in einer Kleinstwohnung, spielen sich zwei Krankenschwestern und zwei Aerzte für den Bund des Lebens zusammen. Erfrischend, wieviel

Freundlichkeit in diesen Figuren steckt. Vilma Degischer, Dame, „Schwester“, Frau mit dem Charme überwundenen Leides und der Liebenswürdigkeit reifen Lebens, hat ihren Dozenten Wögbauer (Erik Frey) schon vor Beginn der Komödie gewonnen. Helly Servi erkämpft sich ihren Doktor (Hans Holt persönlich) im Stück, das zu einem guten Teil von ihrem Mundwerk lebt. Anton Edthofer als Schwiegervater deutet sparsam und diskret die Tragödie einsamer alter Herren an. Regie (Peter Preses) und Bühnenbild (Inge Fiedler) helfen hell und sicher dem Autor und Schauspieler Holt, die zwei Stunden zu einem Gewebe aus vielen kleinen Funken zu verdichten.

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