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Unfriede ohne Dialog

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„Mir reicht jetzt die FURCHE — eine Mischung aus Friedenspolitik und Angst, daß die Russen kommen… Ich glaube nach wie vor an die Mahnung: Werdet wie die Kinder…!“ So schrieb uns dieser Tage ein junger Leser.

Sein Unmut ist verständlich. Es ist das Recht der Jugend, das Wahnsinns werk, das ihr die ältere Generation vererbt, zu beklagen.

Es ist aber auch die Pflicht der Vätergeneration, den Söhnen und Töchtern zu sagen, daß den Frieden auch Dialogverweigerung gefährdet. „Ich will deine Argumente nicht mehr hören“ ist eine Kriegserklärung.

Man mag das Reden der Staatsmänner für Plappern, Stammeln, Phrasendreschen halten — wenn sie zu schweigen beginnen, ist das die Ruhe vor dem großen, blutigen Sturm.

In Genf wird zwischen den beiden Supermächten seit dem 30. November wieder verhandelt: über eine Begrenzung der Mittelstreckenpotentiale in Europa.

Natürlich haben alle jene recht, die von der Verflochtenheit aller modernen Waffensysteme, den fließenden Übergängen zwischen Mittelstrecken- und Interkontinentalraketen, zwischen taktischen und strategischen Kategorien sprechen und daher ein umfassendes Konzept für Rüstungs- kontrollpolitik verlangen, ohne das Einzelverträge nur unbrauchbares Stückwerk wären.

Stückwerk sind sie, unbrauchbar nicht. Denn über alles gleichzeitig zu verhandeln, hieße nichts zu erreichen. Deshalb hat man die strategischen Langstreckenwaffen in die SALT-Runden verpackt, die konventionellen Truppen- und Rüstungspotentiale den sich seit 1973 in Wien dahinschleppenden MBFR-Verhandlungen überantwortet und nun eine eigene Mittelstreckenrunde in Genf eröffnet.

An Versuchen, diese thematisch auszuweiten, fehlt es weder in Ost noch West. Aber selbst wenn im Effekt dann doch nur ein Abkommen über landgestützte Mittelstreckenraketen herauskäme, wäre das ein weiterer Meilenstein an der steinigen Schotterstraße zum dauerhaften Frieden.

Immerhin gibt es schon etliche solcher Meilensteine, die jenen in Erinnerung gerufen seien, die von solchen Verhandlungen grundsätzlich nichts halten: der Militärverbotsvertrag für die Antarktis (gültig seit 1961),

der Atomversuchsstoppvertrag (1963), der Massenvernichtungs- waffen im All verbietende Weltraumvertrag (1967), der Nuklearwaffen aus Lateinamerika fernhaltende Vertrag von Tlatelolco (1967), der Nonproliferationsvertrag mit dem Verbot der Kernwaffenweitergabe (1968), die Vereinbarungen über Atomunfälle (1971) und über die Verhinderung von Zwischenfällen auf dem offenen Meer (1972 und 1973), der Massenvernichtungswaffen verbietende Meeresbodenvertrag (1972), SALT 1 (1972), die Vereinbarung zur Verhinderung eines Atomkrieges (1973), die unterirdische Atomversuche begrenzenden Abkommen (1974 und 1976), der Vertrag über das Verbot bakteriologischer und giftiger Waffen (1975) sowie der SALT-2-Vertrag von 1979, den zwar die USA nicht ratifiziert haben, an den sich aber beide Supermächte freiwillig halten.

Gewiß: einige dieser Verträge kamen zustande, weil sie derzeit nichts „kosten“, andere (wie der Nonproliferationsvertrag) werden ganz offensichtlich verletzt.

Trotzdem rechtfertigt dies nicht eine prinzipielle Ablehnung solcher Verträge. Alternativen, wie sie auch von Autoren der Friedensbewegung empfohlen werden (etwa Verhandlungen über eine Änderung der sowjetischen Militärstrategie) sind viel utopischer.

Begreiflich ist, daß ungeduldige Kritiker ein Ausbrechen aus dem ganzen sperrigen Wust des Panzer- und Raketen- und Sprengkopfzählens durch eine „mutige christliche Tat im Geist der Bergpredigt“ empfehlen. Sofern dahinter mehr als die Unlust steckt, sich die nötige Sachkenntnis der komplexen Rüstungsproblematik zu verschaffen, ist auch noch dieses zu bedenken:

Der einzelne darf, kann, soll oft anders handeln als der Staat. Der einzelne kann sein Vermögen verschenken — der Staatsmann das des Staates nicht. Der einzelne kann auf die Wiedergutmachung eines Schadens oder die Rückzahlung einer Schuld verzichten—der Staatsmann als Treuhänder des Gemeinwohls nicht. Der einzelne kann eine Straftat des Nachbarn ungesühnt lassen - die Gemeinschaft nicht.

Die Forderung, daß die Staaten mehr als bisher zur Verhinderung eines blutigen Weltkonfliktes tun müssen, eint alle Christen. Hinsichtlich dessen, was konkret heute und morgen geschehen müßte, können auch Christen zu unterschiedlichen Schlüssen kommen, die keine Seite als „die“ kirchliche ausgeben darf.

Uber diesen Grundsatz gemäß Absatz 43 der Konzilskonstitution „Gaudium et spes“ war sich auch die Studientagung einig, die eben von Katholischer Aktion, Justitia et Pax und Pax Christi ip Wien veranstaltet worden ist.

Dieses Prinzip leitet auch die Diskussion in der FURCHE’. Aber wer die Argumente anderer nicht mehr anhören will, schert aus der Friedensbewegung aus.

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