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„Epochen und Werke“

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Der zweite Band der gesatnmeltei Schriften Sedlmayrs vereinigt 21 Aufsatz: zur Kunst des 17. und 18. Jahrhundert: und zu einigen Gegenstanden allgemeine: Art. Mehr als ein Drittel davon ist de Kunst Osterreichs gewidmet. Die Pros: Sedlmayrs, der von seinem Gegenstanc offensichtlich affiziert ist, erwarmt sich ir diesen Partien spurbar. Indessen hinder! dies den Autor keineswegs, die Kunsi seiner Heimat sogleich in weite, offene Horizonte zu riicken. Und dies ist gerade die „angemessene Einstellung" fiir die Kunst eines Landes, das durch Jahrhun- derte hindurch das Herz eines weltweiten Kaiserreichs gewesen ist und in dem sich das Bodenstandige mit dem Europaischen inniger verbunden hat als irgendwo sonst in Mitteleuropa, mit Ausnahme Bayerns Der innerste Bezirk der osterreichischen Kunst, die das Extreme und Hybride, Solange sie in Form war, immer von den Randern her empfangen hat, ist das ,.Ma6- volle" und ..Menschliche" („Aspekte der osterreichischen Kunst"); ihre Hbhenunkte waren das 14. Jahrhundert, der Barock und das Biedermeier; ihr ..europaischster Augenblick" ist jedoch fraglos der Spat- barock gewesen, da der ..Reichsstil" Fischers von Erlach (dem allein drei Aufsatze gewidmet sind) Bbhmen und Schle- sien. Sachsen, Polen und Ungarn, Main- franken und den Rhein eroberte und dar- uber hinaus bis Berlin und Stockholm ausstrahlte, ohne freilich den protestanti- schen Norden dauernd gewinnen zu kon- nen. Es ist dies nur der letzte von meh- reren Versuchen gewesen, die kunstlerische Einheit des Heiligen Rbmischen Reiches zu stiften (vgl. die Kunst des Prager Kai- serhofes unter Karl IV. und die ,,Reichs- architektur" der staufischen Burgen und Pfalzen seit Barbarossa). Insgesamt han- delt es sich mehr um Kaiserstile von eni- sodischer Bedeutung als um Reichsstile. Sedlmayr prazisiert d-aher dieses komplexe Phanomen, dem mit fachwissenschaftlichen Kategorien allein kaum beizukommen ist, als „Kaiserstil mit Tendenz zum Reichs- stil". Kaiserlicher als die Wiener Karls- kirche. der Sedlmayr eine gliinzende Analyse widmet (,.Die Schauseite der Karls- kirche in Wien"), ist in der Tat kein anderer Sakralbau des deutschen Barocks; zugleich handelt es sich hier um das groBartigstp Depkmal des Erzhauses Hsbs-t burg,1 ohne das weder die KtinSf'VifienJ noch die Osterreichs insgesamt zjr ver-5 stehen ist. Auch seine Theorie der ,.an- gemessenen Einstellung" entwickelt Sedlmayr am Beispiel der Osterreichischen Barockarchitektur (,,Zum Sehen barocker Architekturen"). Wie er aber dann das Osterreichische in der Kunst Raphael Donners: das krampflos Legere und Las- sige. das vegetativ Verhaltene und Ge- stillte mit einigen Begriffen leicht und zugleich prazise beschreibt, das ist selbst ein Stuck exemplarisch Ssterreichischer Prosa und so einleuchtend wie etwa die Aussagen Weinhebers oder Oettingers uber das ,,Wienerische“ oder die unver- gleichliche Charakteristik Wilhelm Pinders der Wiener Barockpalaste („kuhl und selig"). Indessen, auch die ..sanfte Ge- walt" (Adalbert Stifter) kann Revolu- tionen bewirken. Donners Reform des Plastischen und Statuarischen hat die ganze sudostdeutsche Plastik polarisiert. Ohne klassizistisch zu sein, hat Donner nicht nur den barocken „Klassizismus" in Wien, sondern auch die Plastik des bayri- schen Rokoko in Gang gebracht. Die gro- fien Bildhauer des bayrischen Rokoko, die fast alle in Wien gelernt hatten (Straub, Gunther Boos. Wagner u. a.) haben aller- dings die sakularisierte Kunst Donners wieder in den sakralen Bezirk zuriick- geholt.

Auch im Stadtebau hat sich das Oster- reichische in beispielhafter Weise darge- stellt. Sedlmayr exemplifiziert dies am ..Werden des Wiener Stadtbilds". Das Wachstumsgesetz dieser unvergleichlichen Stadt, die kaum rechte Winkel und ge- plante Achsen kennt — obgleich diese fiir den Barocken Stadtebau geradezu konsti- tutiv waren — entfaltet sich organisch- wachstiimlich in konzentrischen „Ringen“. Vor alien anderen deutschen Hauptstadten hat Wien voraus, daB es eine Kaiserstadt ist. Dies ist ein Unterschied des Ranges. Nur Rom ist darin vergleichbar. mit dem Wien nicht nur die ..phantastische Abbre- viatur der ewigen Stadt" in der Karls- kirche gemeinsam hat, sondern auch die vitale Katholizitat.

Der romischen Kunst ist der zweite Themenkomplex dieses Bandes gewidmet. Gleich eingangs wirft Sedlmayr die Frage nach der Ikonologie von St. Peter auf (,,Der Bilderkreis von Neu-St. Peter in Rom"), die von der Forschung bisher ganzlich unberiicksichtigt blieb. Weder das geringe Interesse fur Ikonologie noch die Mitwirkung (von Bernini abgesehen) zweitrangiger Kunstler, erklart diesen fiir die Hauptkirche der abendliindischen Chri- stenheit befremdlichen Sachverhalt. Im Aufsatz „Kapitol des Della Porta" erortert

Sedlmayr die Moglichkeit zweier ver- schiedener Kunstwerke „in einem und demselben Korper" (Benedetto Croce). Das Problem ist von groBter Bedeutung fiir die verwickelten und oft abstrusen Baugeschichten unserer mittelalterlichen Dome, die nichtsdestoweniger kiinstleri- sche Ganzheiten freilich mehr geschicht- lich-wachstiimlicher Art sind, obwohl sie mitunter als additive Stiickelungen ver- schiedener und zumeist ganz unabhangiger Planungen in Erscheinung treten.

Der bisher unveroffentlichte Aufsatz „Funf rbmische Fassaden" ist nicht mehr und nicht weniger als die Stilgeschichte eines zentralen Themas der romischen Barockarchitektur auf ihrem Hohepunkt um 1650 1660. Analysiert werden die drohnende Front von SS. Vincenzo ed Anastasio, die sich im ObergeschoB in bedrohlicher Weise nach vome schiebt und unten einzieht; ferner (als Gegen- stiick) Sta. Maria in Campitelli, deren Fassade mit gerahmten. ..kastenartigen Nischen" das Thema ..Adikula" paraphra- siert; dann Cortonas theatralisch-groB- artige Schauwand von Sta. Maria della Pace, mehr ein szenischer Prospekt mit kulissenartig bewegten Wanden; und schliefilich Berninis Fassade von S. Andrea in Quirinale, in der sich Binnen- und Frei- raum auf neue Weise verschranken: Der Zentralbau stulpt durch die riesige Schein- offnung der Giebelwand, die wie ein „Gar- tentor" wirkt, das eigentliche Kirchen- portal zin Gestalt eines halben Tempietto nach vorn. „San Carlo alle quattro Fontane" von Borromini schlieBt und kront diese Reihe. An dieser Analyse hat seiner- zeit eine ganze Generation junger Archi- tekturhistoriker intensiver sehen und pra- ziser beschreiben gelernt.

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Mit der Allegorie und Symbolik hat sich Sedlmayr immer wieder beschaftigt. Zur Rehabilitierung dieser Disziplin, die bis vor kurzem ein weites Feld vager Spekulationen war. hat Sedlmayr durch grundsatzliche tlberlegungen und zahl- rriche H-nwei’e und Aufsatze beigetragen. Ihre auBerordentliche Bedeutung fiir die

Architektur und die Kunst ganzer Epochen und Volker zeigt Sedlmayr an je einem italienischen, franzosischen und deutschen Kunstwerk des Barocks („Allegorie und Architektur") und am Beispiel des Sonnen- motivs („Zeichen der Sonne"). Auch Jan Vermeers „Ruhm der Malkunst" wird in einer Sinnschicht als Allegorie der Malkunst und des Ruhmes der Niederlande gedeutet. Der andere der beiden Aufsatze zur niederlandischen Kunst („Zugange zu Rembrandt") macht die Sonderstellung Rembrandts im calvinistischen Holland iiberraschend deutlich. Der entsakralisier- ten Natur des hollandischen Stillebens (..nature mort") setzt Rembrandt das My- sterium des ..Unergrundlichen" entgegen, der calvinistischen Denunziation des Mit- leids: das „Mitgefuhl“.x Seine zahllosen Selbstportrats konnen nichtsdestoweniger als eine Art sakularisierter Introspektion und Gewissenspriifung verstanden werden.

Seit Georg Dehio hat kein Kunsthistori- ker ein ahnlich passioniertes Verhaltnis zur Architektur besessen wie Sedlmayr, der ganz verschollene Schichten des Archi- tektonischen aufgedeckt (..Architektur als abbildende Kunst") und der obligaten, mehr auBerlich quantitativen und dazu noch ungenauen Bestimmung der Architektur (Raumgestaltung) eine neue Dimension hinzugefugt hat („Zum Wesen des Architektonischen"). Architektur ist fiir Sedlmayr ..Ordnungsmacht fur die anderen Kunste, die echte Gesamtkunst- werke konstituiert" und daher zu unter- scheiden von der Baukunst. Die Grenze deckt sich ziemlich genau mit der zwischen sakralem und profanem (nicht kirchlichem und weltlichem) Bauen. Aber freilich wird dadurch der Begriff zu den urspriinglichen Lebensmachten nach oben hin offen. So ist es nur konsequent, daB sich fur Sedlmayr die „Vier Zeitalter der abendlandi- schen Kunst" nicht so sehr stilistisch. son- dem vor allern durch den Wandel des Ver- haltnisses zwischen Gott und Mensch unterscheiden. Das Zentralthema der vor- romanischen und romanischen Kunst bis 1150 ist: Gott-Herrscher: der goti'ehen Epoche bis 1470: GottMENSCH; der Neu-

zeit (Renaissance und Barock bis 1760): GOTTmensch und der modernen Welt (seit 1760): der autonome Mensch.

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Ein geschichtsphilosophischer Ausblick (..Weltepochen der Kunst") schlieBt diesen Band ab. Sedlmayr geht es darin weniger um das universalgeschichtliche Ne- beneinander der Kulturen, obwohl er ahnlich wie Jaspers einen „merkwurdigen Syn- chronismus um 600 bis 500 v. Chr. von Hellas bis China" feststellt, sondern um die Gliederung und den Sinn des welt- geschichtlichen Prozesses. Auf das erste „atektonische“ Weltalter folgt das in sich vielfach differenzierte Zeitalter der Hoch- kulturen, das schliefilich (seit 1770) in die namenlose, atheistische Weltkultur mun- det, die Sedlmayr — einen Gedanken He- gels variierend — durch die „BewuBt- werdung des BewuBtseins" (Szientismus) charakterisiert sieht. Die Frage auf Leben und Tod ist, ob Kunst, die als „archa- ische, aber keineswegs iiberholte Seite des Menschlichen" begriffen wird, darin noch einen Ort hat und ob zugleich mit ihr auch .ein ..neuer Mensch" wiedergeboren werden wird.

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Niemand wird diese beiden Bande in einem Zuge zu Ende lesen konnen. Enorme Stoffmassen werden bewegt und durch- drungen. Zu alien aufgeworfenen Fragen Stellung zu nehmen, iibersteigt das Ver- tnogen eines Einzelnen durchaus. Und doch handelt es sich — ganz abgesehen von den groBen Publikationen Sedlmayrs — nur um eine beschrankte Auswahl seiner Schriften. Es fehlen sowohl die Aufsatze zur Theorie und Methode der Kunstgeschichte als auch die zur Kunst der letzten zwei Jahrhun- derte, die in gesonderten BSnden entweder schon veroffentlicht sind oder demnachst erscheinen werden. Erst dann wird das ganze Oeuvre dieses in vielen Facetten funkelnden Geistes vorliegen, der die Dberlieferungen der ,.Wiener Schule" in einer wesentlichen Komponente auf hoher Ebene wahrt. Sedlmayrs Lebenswerk ist weder aus der Geschichte der Kunstgeschichte noch aus der allgemeinen Pu- blizistik der Gegenwart wegzudenken. Nach Wilhelm Pinder hat kein Kunst- Hstoriker deutscher Sprache eine solche Rroitenwirkung in der Offentlichkeit ge- habt.

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