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Sedlmayr-Reprint

Mit „Raubdrucken” vergriffener, halbverschollener soziologischer und marxistischer Klassiker begann es; heute ist der photomechanische Nachdruck, der billige Bruder des anspruchsvollen, edlen und teuren Faksimiledruckes, zu einem Mittel geworden, Bücher, deren Neuauflage noch vor zehn Jahren an den hohen Kosten für den Neusatz gescheitert wäre, preiswert einer großen Zahl von Menschen zugänglich zu machen. Und es ist sehr erfreulich, daß auf diese Weise nun auch eine der wichtigsten kunsthistorischen Publikationen in deutscher Sprache nach dem Zweiten Weltkrieg, nämlich „Die Entstehung der Kathedrale” von Hans Sedlmayr, als verhältnismäßig billiger Reprint wieder zu haben ist. Denn Sedlmayr (mit diesem Werk, das 1950 in Zürich erschien) und Panofsky mit seinen kurz vorher vorgelegten Untersuchungen vollenden einen mehrstufigen, sich über Jahrzehnte erstreckenden Prozeß des Verstehens der zum gotischen Kathedralbau führenden Entwicklungen: von technischen Kategorien (Spitzbogen, Kreuzrippengewölbe, Strebewerk, die Dehio 1901 als „Erzeuger der gotischen Konstruktion” bezeichnete) über den von Jant- zen 1927 gefundenen Begriff der „dia- phanen Wand” und Sedlmayrs 1931 vorgetragenen Gedanken von der gotischen Kathedrale als „Baldachin” zu ihrer Deutung als Produkt einer neuplatonischen LichtrMetaphysik im Zusammenwirken mit einem in dieser Zeit aufbrechenden „Wunsch nach Schau”: „So erst wird die Kirche mit den Augen ihres Erbauers gesehen” (Sedlmayr). In einem „Nachwort als Einführung: Die Entstehung der Gotik und der Fortschritt der Kunstgeschichte”, dessen Formulierungen aus den Jahren 1961 und 1968 stammen, läßt Sedlmayr deutlich sichtbar werden, daß Abt Suger selbst, der Bauherr von Saint-Denis, die Grundmotive der unter seiner Leitung entstandenen Pioniertat deutlich genug klargelegt hat und daß - wieder einmal - vor allem die Vorurteile der Forscher, hier die rein formalen Kriterien der Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts, dem schnelleren Eindringen in das Wesen eines Phänomens und dessen Verstehen im Wege standen. Am Ende dieses langen und gewundenen Weges, auf dem der Mensch des 19. und 20. Jahrhunderts ein neues Verständnis der Gotik fand, ersetzt kristallklare Logik das Konglomerat aus Mystizismen und Formalismen: „Nicht ,die’ Gotik erzeugt also die gotische Kathedrale, sondern die gotische Kathedrale erzeugt die Gotik”, und was die gotische Kathedrale erzeugt hat, wird einsehbar. (Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 1976, 614 Seiten, 16 Tafeln, zahlreiche Textabbildungen, öS 480,-.)

Nährboden neuer Religionen

Selten in der Weltgeschichte entstanden in so kurzer Zeit so viele neue Religionen wie heute. Dies ist das Ergebnis einer gewaltigen Renaissance religiösen Denkens, die Japan erfaßt hat, und die zur Herausbildung einer Unzahl (man spricht von 400!) neuer, synkretistisch entstandener Mischprodukte zwischen Buddhismus, Shinto-Überlieferungen und

Christentum führte. Basis des Vorganges ist eine tiefe Unzufriedenheit mit dem geistigen Klima der Industriegesellschaft. Der evangelische Theologe Peter Gerlitz gibt in seinem Buch „Gott erwacht in Japan - Neue fernöstliche Religionen und ihre Botschaft vom Glück” einen Überblick über das in Bewegung geratene religiöse Denken in Japan und detaillierten Einblick in fünf der neuen Bewegungen (Herder-Verlag, Freiburg, Herderbücherei, 174 Seiten, öS 53,20).

Nachricht und Meinung

Klaus Schönbach zeichnet in „Trennung von Nachricht und Meinung”, einer Studie, die die vielfältigen Manipulationsansätze und -möglichkeiten der bundesdeutschen Medien an Hand der Berichterstattung über Berlin unter die Lupe nimmt, ein sachliches Bild journalistischer Tätigkeit. Er trennt die weniger problematische „explizite Vermischung” (wertende Formulierungen im Text einer Nachricht) von der viel diffizileren „impliziten Vermischung”: Hier gehtes um die Selektion der Nachrichten, ihre Betonung durch Plazierung, Umfang und Aufmachung. Wiewohl die Trennung von Nachricht und Meinung - insbesondere seit dem Wiederaufbau der mitteleuropäischen Medienlandschaft nach der NS-Diktatur - gewissermaßen als „Grundgesetz der demokratischen Nachrichtenarbeit” angesehen wird, läßt gerade Schönbachs Studie Zweifel an der Durchhaltbarkeit dieser Maxime aufkommen. Schönbachs Studie nimmt falsche Illusionen, stößt aber nicht in das Horn jener, die es für fesch halten, journalistischer Arbeit jegliche ethisch-moralische Grundlage abzusprechen. Im Gegenteil: Seine Studie ist ein Silberstreifen am Horizont, zur Freude jener Medien, die Standpunkt beziehen und in dem Wörtchen „unabhängig” keine eigene Ideologie sehen. (Verlag Karl Alber, Freiburg/München, 1977, 184 Seiten, öS 252,-).

Schlupflöcher für Gott?

In „Urknall, Urzeugung und Schöpfung” wendet sich der deutsche protestantische Theologe Hans Frauenknecht gegen die Methode, Lücken des naturwissenschaftlichen Weltbildes als „Gottesbeweis” zu mißbrauchen, nicht zuletzt, weil auf diese Weise „diejenigen, die Gott verteidigen wollen, ihn stattdessen in immer größere Raumnot drängen”. Er selbst legt in einem Überblick über den Entwicklungsstand der Naturwissenschaften, vor allem der Astronomie und der Biologie, dar, „daß ein rechtverstandener christlicher Glaube mit jedem Weltbild vereinbar ist, soweit dieses nicht von vornherein über einem atheistischen Dogma aufgebaut ist und insofern den Gottesglauben a priori ausschließt”. Theologische Aussagen sollen auch nicht, so der Autor, auf na- turwisschenschatlichen Erkenntnissen aufgebaut werden, zu leicht könnten sie in deren „Vergänglichkeit mit- hineingestrudelt werden.” Sehr wohl aber, dies der Succus des Werkes, kann die Theologie in der naturwissenschaftlichen Arbeit einen göttlichen Auftrag erblicken (F. A. Brockhaus, Wiesbaden, 227 Seiten, öS 146,30).

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