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Die Nackten und die Toten

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„Die Nackten und die Toten“, als Bestseller von Amerika nach Europa gekommen, begleitet von Lobesworten, Schmähungen und Diskussionsaufforderungen, von Berichten über seine Verfolgung durch angelsächsische Staatsanwälte und infolgedessen hier mit Neugier und Spannung erwartet — sie erweisen sich als Enttäuschung. Der Inhalt? Die Beschreibung des Lebens, der Taten, Meinungen und Bedrängnisse eines Dutzends amerikanischer Soldaten, die im Dschungelkrieg gegen Japaner kämpfen, dem Tod, Krankheiten und einer giftig wuchernden Natur ausgesetzt: ein Jude, ein Pole, ein Italiener, ein Mexikaner — jeder von ihnen Stellvertreter eines amerikanischen Bevölkerungsteils mit seinen Charakteristika, Interessen und Problemen. Aber nein, der eigentliche Inhalt des Buches ist ein anderer: die Deskription des Ekels. Es ist eine Enzyklopädie des grundsätzlichen Ekels vor allem und jedermann — vor dem Krieg, aber auch vor dem Frieden, vor den Japanern, aber auch vor den Amerikanern, vor dem Tod und genau so vor dem Leben, der ganzen Menschheit im allgemeinen und ihres weiblichen Teiles im besonderen. 780 Seiten Ekell Es bedürfte wenigstens des artistischen Intellekts eines französischen Existenzialisten oder eines deutschen Literaten der „sachlichen“ Zwanzigerjahre, um diesen Vorwurf zu meistern! Mailer kann es nicht. Der Ekel geht mit ihm durch und verbreitet sich zu einem endlosen flachen Sumpf, in dem selbst das versinkt, was Mailer tatsächlich an echter Erregung und echtem Schmerz in sein Buch hineinsteckt. Es fehlt ihm nicht an Stellen, an denen Mailer ausgezeichnete Figurationen fast geglückt wären: da ist die tragische Episode von dem Soldaten, dem die langsame Feldpost die Briefe seiner längst gestorbenen Frau zustellt, da ist die Figur des Generals, des Vertreters grausam-abstrakter Macht, und der sinnlose Patrouillengang der Soldaten — aber auch das geht unter in der Monotonie des Ekels, die niemals eine lebendige, erregende Unterbrechung erfährt. Der Ekel überzieht alles, macht alles gleich — man kann bald nicht einmal mehr die so eingehend beschriebenen Figuren des Buches auseinanderhalten, und schließlich hört nach zwei- oder dreihundert Seiten rogar der Ekel auf, noch ekelhaft zu sein. Der Rest ist — angesichts des behandelten Stoffes schmerzlich genug — Langeweile. Daran ändert nichts, daß Mailer sein Buch wahrscheinlich wirklich mit seinem Herzen und der Wahrheit zuliebe geschrieben hat: dies spricht für ihn, noch nicht für die „Nackten und die Toten“. '

Dennoch ist es nicht schwer, die Frage zu beantworten, was denn dann eigentlich den sensationellen Erfolg des Buches in Amerika und England verursacht habe. Es hat ohne Zweifel im angelsächsischen Lager denselben Schock hervorgerufen, den seinerzeit Remarques „Im Westen nichts Neues“ — ein unvergleichlich stärkeres Dokument des Ekels vor dem Kriege — fm deutschen Lager bewirkt hat: den Schock der Desillusionierung. Und das mag ihm immerhin zugute gehalten werden. Dr. Jorg Mauthe

Wasser unter den Brücken. Episode einer diplomatischen Laufbahn. Von Neville H e n-d e r s o n. Eugen-Rentsch-Verlag, Zürich. 328 Seiten.

Dieses Buch hat ein dem Tode Geweihter in seiner letzten Krankheit geschrieben. Vielleicht ist es gerade aus diesem Grunde so sehr von der Erinnerung an das fröhliche, von Sorgen unbeschwerte Leben umglänzt, wie es die Laufbahn eines nicht auf verantwortlichem Posten stehenden Diplomaten in der Zeit von etwa 1905 bis 1935 mit sich brachte: Angehöriger eines eleganten, sich in den Hauptstädten der Welt Immer wieder begegnenden „Teams“ aller Nationen, stets zu Festen, Jagden und Empfängen bereit. (Uber seine Sendung als Botschafter nach Berlin — 1937 bis 1939 — hat Henderson in einem eigenen Erinnerungsband — „Der Fehlschlag einer Mission“ — berichtet.) Manchmal geht dem Leser das vom spanischen Botschafter Reynoso überlieferte Scherzwort durch den Sinn: ein Diplomat könne nur bei zwei Anlässen in Lebensgefahr geraten: wenn er aus der Kutsche fall und sich den Hals breche oder wenn er an einer immensen, durch allzu ausgedehnte Bankette hervorgerufenen Indigestion sterbe ... Aber neben allem gesellschaftlichen Treiben tritt bei Henderson nicht nur eine höchst ehrenhafte Gesinnung, sondern auch viel poli tische Einsicht zutage. Ein Ausspruch (S. 318) mutet wie ein Anruf an die Gegenwart an: Wenn das britische Empire als eine Einheit bestehen und in Gemeinschaft mit den Vereinigten Staaten die große Rolle spielen soll, wie es seine Pflicht und seine Verantwortung in der künftigen Welt ist, müssen wir um jeden Preis (militärisch) stark sein. Der Waltfriede kann nicht von einem Polizisten mit einem Gummiknüttel aufrechterhalten werden.“ Ein liebenswürdiges und lesenswertes Buch. Carl von Peez

Das oberösterreichische Landesarcbiv in Linz Im Bilde der Entwicklung des heimatlichen Schriftwesens und der Landesgeschichte. Von

Dr. Ignaz Zibermayr, Linz. 354 Seiten.

Zum drittenmal hat sich der Autor an dieses selbe Thema gemacht (1921 und 1930 erschienen die ersten beiden Auflagen), nun mit der Fülle des Wissens und der Erfahrung und mit der weisen Sicherheit eines langen Arbeitsund Gelehrtenlebens. Zibermayr stand dem oberösterreichischen Landesarchiv von 1903 bis 1947 — mit Abrechnung einer kurzen Pause im ersten Weltkrieg — volle 39 Jahre als Leiter vor. Wenige Jahre vor seiner Übernahme, 1896 erst, war die Gründung dieses Archivs als Zentralarchiv des Landes beschlossen worden, die Durchführung wurde sein eigenes Lebenswerk, dem sein ganzes Streben und Mühen galt. Daher ist es went-lichstes Ziel seines Buches, -das Verständnis für diese Institution, das Wissen über die Geschichte der großen, hier zusammengefaßten Archivteile, vor allem des landständischen und der staatlichen Behördenardiive, vieler Herrschafts- und Privatarchive und zahlloser kleiner Einzelbestände zu beleben. Dabei gebt das Werk weit über ein Archivinventar oder auch über eine Archivgeschichte hinaus. Ja, es bringt einen Uberblick beinahe über das gesamte oberösterreichische Archivwesen In seinen Grundzügen, angefangen vom mittelalterlichen, das eingehend geschildert wird. Vor allem aber ging es dem Autor darum, die innige Beziehung des Archivs zur Landesgeschichte einerseits und zur historischen Forschung andererseits zu zeigen, und hierin , weist er uns neue Wege. Diese Absicht erklärt die Einschiebung eines für diese Auflage neugeschaffenen Kapitels über die wechselvolle und umstrittene staatsrechtliche Stellung des Landes im Ablauf der Jahrhunderte, einer Zusammenfassung nadi dem bekannten Buch des Autors „Noricum, Bayern und Österreich“ (1944). Der Abschnitt über die wissenschaftliche Archivtätigkeit und über die Geschichtsschreibung, der nun um wesentliche Partien und neue Forschungsergebnisse erweitert ist, lag offenbar dem Autor vor allem am Herzen. Dabei kam so manches unbekannte Material, Briefsammlungen, Familienchroniken, Archivkataloge und politische Erinnerungen zutage. Das Werk gibt einen tiefen Einblick über die historische Struktur des Landes, ist daher, Wie der Autor dies beabsichtigte, auch zu Studienzwecken sehr geeignet; es Ist zu hoffen, daß dieser neuartige, bedeutsame Versuch seine Nachfolger finden wird. Anna Coreth

Statistisches Handbuch für die Republik Österreich. I. Jahrgang, Neue Folge. Heraui-gegeben vom österreichischen Statistischen Zentralamt, Wien. 260 Seiten.

Der Ablauf des Weltgeschehens pflegt auf des Statistikers Bedürfnis nach Wahrung der Kontinuität keine Rücksicht zu nehmen, und so kommt es, daß gerade in Zeiten schnellen Wechsels, starker politischer und sozialer Gefügeverschiebungen der statistische Berichterstatter von den Ereignissen überspielt wird und gerade dann, wenn die statistische Information am dringlichsten gebraucht wird, zum Schweigen verurteilt ist. Wenn das Österreichische Statistische Zentralamt schon jetzt, fünf Jahre nach Kriegsende, wieder ein Handbuch vorlegen kann, das auf den Gebieten der Bevölkerung, der Wirtschaft, der Kultur und Politik das neueste Zahlenmaterial in angemessener Vollständigkeit darbietet, so ist das eine sachliche und redaktionelle Leistung, die schwerlich überschätzt und von Außenstehenden kaum gewürdigt werden kann. Die Fülle und Dichte des gebotenen Zahlenmaterials sind besonders im Hinblick auf das Fehlen der großen staatlichen Inventuraufnahmen -1 Volkszählung, Betriebszählungen —, deren Auswertung sonst das Gerippe eines solchen Handbuches zu bilden pflegt, beachtenswert. Natürlich ist es hier nicht möglich, auf den

Stoff des Buches einzugehen, einen Hinweis auf die wichtigen Zeitreihen der natürlichen Bevölkerungsbewegung von 1871 bis 1949 und der Meßziffern für die Veränderungenen der Kaufkraft des Geldes von 1914 bis 1949, die in ihrer Komprimiertheit und Nüchternheit eindringlicher und aufschlußreicher sind als langatmige historische Kommentare, kann der Rezensent jedoch nicht unterdrücken.

Das österreichische Statistische Handbuch ist nahezu gleichzeitig mit der ersten Ausgabe des Statistical Yearbook der Vereinten Nationen erschienen. Nehmen wir diese Publikationen als das, was sie in Wahrheit sind: als Silberstreifen am Horizont einer nationalen und weltweiten Normalisierung.

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