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Kraftprobe Bonn – Paris

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Das deutsch-franzbsische Verhalt- nis geht mbglicherweise einer neuen Kraftprobe entgegen, diesmal wegen des Verbieibs der franzbsischen Truppen auf deutschem Boden. Das Auswartige Amt in Bonn hat sich eine Rechtsauffassung zu eigen ge- macht, wonach die franzbsischen Truppen die Bundesrepublik raumen miissen, nachdem sie am 1. Juli dieses Jahres dem NATO-Oberbefehl entzogen werden. Dabei werden eine EntschlieBung des NATO-Rates vom 22. Oktober 1954, die alle alliierten Truppen dem NATO-Oberbefehl un- terstellt sowie der Deutsch! and ver- trag und der Stationierungsvertrag, die tags darauf unterzeichnet worden sind, als einheitliches Ganzes ver- etanden.

Diese Rechtsauffassung wird jedoch in Bonn selbst von einfluBrei- chen Kreisen in Frage gestellt. Nach ihrer Mednung gelten allein die Ver- trage, und diese bieten keine Hand- habe dafiir, daB die franzdsischen Truppen nach ihrem Auszug aus der NATO nicht mehr in Deutschland verbleiben durfen. Frankreich ver- tritt die Ansicht, seine Truppen be- saBen auch nach dem 1. Juli noch Aufenthaltsrecht in Deutschland, namlich auf Grund des Stationie- rungsvertrages. Doch hat es ander- seits angedeutet, wenn die Bundesrepublik den weiteren Verbleib nicht wtinsche, wiirden sie aus Deutschland zuriickgezogen, wie sie umge- kehrt fiir die Verteidigung der Bundesrepublik gegen einen nichtprovo- zierten Angriff beredtsttinden.

Was ist ein „nichtprovozierter Angriff"?

Das von de Gaulle gebrauchte Wort „nichtprovozierter Angriff" hat sofort in der Bundesrepublik emp- flndliche Reaktionen ausgelbst, wie man hier und da auch die Berufung auf den Stationierungsvertrag als Absioht Frankreichs auslegte, seinen Truppen einen letzten Schimmer von Besatzungsmacht zu bewahren. So wurde gefragt, ob Frankreich sich durch die Einschrankung „nichtpro- vozierter Angriff" die Handlungs- freiheit vorbehalten wolle, im Fall eines Angriffs aus dem Osten, den es aus eigener Machtvollkommen- heit als provoziert bezeichne, nicht einzugreifen. Couve de Murville hat daraufhin in einem Fernsehinter- view etwas malizios dem Sinne nach erwidert, die NATO sei nicht fiir die Abwehr eines provozierten Angriffs geschaffen. Daraus sprach natiirlich das chronische MiBtrauen in die deutsche Politik, doch ist es unwahr- scheirdich, daB die Mehrheit der deutschen Fernsehzuschauer dies wahrgenommen hat. In der Diskus- sion tiber die Hintergriinde des Vor- behaltes hinsichtlidh eines „nidhtpro- vozierten Angriffs" wurde uberdies allgemein auBer acht gelassen, daB Artikel 5 des NATO-Vertrages ohne- hin jedem Mitgliedstaat freistellt, wann und wie er einem angegriffe- nen Paktstaat zu Hilfe eilen will, daB er also nach dem Buchstaben des Vertrages bereits die Mbglichkeit hat, im Angriffsfall Gewehr bei FuB stehen zu bleiben.

Alte Spannungen — neu belebt

Die gereizte Erbrterung uber Punkte dieser Art verdeutlicht die Spannung, mit der die Lbsung der NATO-Krise allseits behandelt wird. Die Spannung wird in Bonn noch er- hoht durch die innerhalb der Bun- desregierung seit langem schwelen- den, nie ganz ausgetragenen Gegen- satze in grundsatzlichen Fragen. Diese Gegensatze traten ziemlich schroff in der Kabinettssitzung zu Tage, in der eine Erklarung der Regierung zur NATO-Krise beschlos- sen wurde. AuBenminister Schroder legte einen Entwurf vor, der auf ent- schiedenen Widerstand stieB, ange- fiihrt von den Ministern Jaeger, Heck und Krone. Die Erklarung wurde daraufhin neu formuliert, wo- bei ihr die Scharfen genommen wur- den, die nach Ansicht der Kritiker die Verhandlungen mit Frankreich nahezu an den Rand des Abgrunds gebracht batten.

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