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DIEFURCHE: Österreich steht vor der wichtigsten Entscheidung seit dem Staatsvertrag 1955, nämlich ob EU- Beitritt oder nicht Wie ist da der deutsche Standpunkt3 BOTSCHAFTER PHILIPP JENNINGER: Alle ernstzunehmenden politischen Kräfte in Deutschland würden einen Beitritt Österreichs zur Europäischen Union außerordentlich begrüßen, aber nicht, wie uns gelegentlich unterstellt wird, weil wir damit den „germanischen Block“ in der EU vergrößern wollen, sondern weil Österreich nach seiner Geschichte, seiner Kultur und nach seiner geographischen Lage zu Europa gehört. Jetzt, nach dem Aufziehen des Ei- sernene Vorhanges, ist Österreich ein natürlicher Mittelpunkt Europas. Österreich hat die wichtige Funktion als Bindeglied zu den Nachbarn im Osten. Österreich ist ein Industriestaat mit gesunden Grundlagen, der einen wichtigen Beitrag für die europäische Entwicklung leisten kann. Wir Deutsche tun alles, um die Beitrittsverhandlungen zu einem guten Erfolg zu führen.

DIEFURCHE: ES gibt einige heikle Themen in den Beziehungen zwischen Österreich und Deutschland, so etwa der Transitvertrag.

JENNINGER: Zum Transitvertrag gibt es eine eindeutige Aussage von Bundeskanzler Kohl, in der er sich für einen solidarischen Ausgleich zwischen Österreich und den EU-Mit- gliedstaaten ausgesprochen hat. Den Grundgedanken des Vertrages, den Schutz der sensiblen Alpenregionen vor der Umweltverschmutzung, hat inzwischen auch die EU übernommen. In der Frage selbst gibt es einige Streitpunkte, die im Detail liegen, so etwa, ob eine Diskriminierung der EU-Länder hingenommen werden kann oder nicht.

Für uns Deutsche ist es wichtig, daß wir den Blick über die Vertragsdauer von zehn Jahren hinaus richten. Der LKW-Verkehr wird zuneh

men. Wahrscheinlich werden wir dann mit härteren Mitteln eingrei- fen müssen. Deshalb ist jetzt schon der Zeitpunkt, sich konkret damit zu befassen, wie es nach Ablauf des Transitabkommens weitergehen soll.

Da gibt es schon das konkrete Projekt des Brenner-Basistunnels mit einer Verkehrsanbindung über das Inntal. Das war bisher ein Streitpunkt, besonders zwischen Österreich und dem Freistaat Bayern. Jetzt scheint sich eine Lösung abzuzeichnen, daß dieses Projekt von beiden Seiten akzeptiert wird. Wichtig ist, daß jetzt für die Verhandlungen in Brüssel konkrete Perspektiven aufgezeigt werden. Es wäre gut, wenn unsere beiden Länder den Partnern in der EU sagen könnten, wir fangen jetzt schon an, das zu tun, was wir in Sonntagsreden verkünden, nämlich den Verkehr von der Straße auf die Schiene zu bringen.

DIEFURCHE: ES gibt in Deutschland Stimmen, die kritisch über die EU urteilen, zum Beispiel Bayerns Ministerpräsident Stoiber oder auch Bayerns Ex-FDP-Chef Brunner, der nun sogar eine eigene Anti-Maastricht- Partei gegründet hat JENNINGER: Ich möchte nicht Ministerpräsident Stoiber mit Herrn Brunner in Zusammenhang bringen, der - obwohl jahrelang Mitarbeiter der EU - die Politik der Integration ablehnt. Wenn man nicht wüßte, daß Stoiber die Landtagswahlen in Bayern gewinnen will und die CSU bei den Europawahlen gut abschneiden möchte, dann könnte man sagen, dieser Streit in der Union ist so unnötig wie ein Kropf. Es ging dabei nämlich nur um unterschiedliche Akzente. Wenn Stoiber gegen die Aufgabe der nationalstaatlichen Identität ist, dann kann man nur sagen, niemand will ein zentralistisches, überbürokratisches Europa.

DIEFURCHE: Worauf zielt Ihre EU- Kritik?

JENNINGER: Wir haben es zum Beispiel verabsäumt, die Bevölkerung in Europa mehr in die Politik einzubeziehen. Die Politik muß den Bürgern klarmachen, daß es die Idylle der Vergangenheit nicht mehr gibt. Die Politik darf aber die Bevölkerung auch nicht überfordern. Wir müssen den Bürgern in Europa das Vertrauen geben, daß diese Europäische Union ein „Europa der Bürger“ ist und nicht ein Europa der Bürokraten, Konzerne und der Wirtschaftsverbände.

Ich kritisiere auch, daß sich die Europäische Gemeinschaft in den vergangenen Jahren zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt hat und man wirklich den Eindruck bekommt, daß für sie die Welt stehen geblieben ist. Nach den Veränderungen der Jahre 1989/90 fehlt mir ein wenig die Vision und eine

Konzeption, wie es weitergehen soll. Wir können unsere Nachbarn im Osten nicht einfach nur auf spätere Jahre vertrösten. Das ist mir zuwenig. Wir müßten uns Gedanken machen, ob wir nicht mehr die Politische Union in den Mittelpunkt stellen sollten und weniger die Währungs- und Wirtschaftsunion, die ja parallel dazu weiterlaufen kann. Es ist keine Frage, daß zum Beispiel die Reformstaaten im Osten noch nicht reif sind für eine Wirtschafts- und Währungsunion. Das wissen sie selbst.

Was diese Länder aber wollen, ist eine politische Einbindung — auch ein Stück Sicherheit - in die Gemeinschaft. Und da wünsche ich mir etwas mehr Aktivitäten.

Mit Botschafter Philip Jenninger

sprach Christoph Silber

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