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Die Neutralität ist längst überholt

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WEU-Beobachter: Dieser jetzige Status Österreichs sei nur ein erster Schritt zur vollen Mitgliedschaft, meint Verteidigungsminister Fasslabend.

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WEU-Beobachter: Dieser jetzige Status Österreichs sei nur ein erster Schritt zur vollen Mitgliedschaft, meint Verteidigungsminister Fasslabend.

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diefurche: Von welchem Bedrohungsbild geht die Bundesregierung derzeit aus?

Werner Fasslabend: Die Gefahr der großen Blockkonfrontation gibt es nicht mehr, dafür aber eine stark erhöhte Instabilität in weiten Teilen Europas. Wir sind von einer „high risk-nigh stability”-Situation in eine „low risk-low stability”-Situation geraten. Man kann Europa in drei strategische Zonen unterteilen: das stabile Westeuropa, das labile Ost-und Ostmitteleuropa, der Dauerkrisenherd Balkan. Österreich liegt am Rande dieser Zonen. Wir sind daher der Staat, der an einer gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik am meisten interessiert sein muß. Das wird die sicherheitspolitische Debatte der nächsten Jahre beeinflussen.

diefurche: Was sind die militärischen Aspekte der Sicherheitspolitik? FassijvrenD: Wir haben nach wie vor ein atomares Risiko. Es beruht auf der Existenz von 30.000 atomaren Sprengköpfen. Weiters besteht weiterhin die Gefahr von konventionellen Konflikten. Schließlich gibt es einen subkonventionellen Bereich, der wohl an Redeutung gewinnen wird.

diefurche: Was bedeutet subkonventionell?

fassi.abknl): Wenn nichtstaatliche Organisationen mit nicht klassisch militärischen Mitteln, sondern solchen, die aus der Terrorszene entlehnt sind, politische Ziele so verfolgen, daß eine militärische Dimension erreicht wird. Da ist das Militär herausgefordert, Sicherheit zu geben.

diefurche: Was kann Österreichs Heer in dieser Konstellation leisten? FassLABEND: Die Behandlung des atomaren Risikos ist eine supranationale Aufgabe. Hier kann Österreich bestenfalls einen Beitrag leisten. Im konventionellen Bereich müssen wir mit Nachbarschaftskonflikten rechnen. Gegenüber der Zeit des Kalten Krieges bedeutet das für uns größere Überschaubarkeit und Rewältigbar-keit der Herausforderungen. Wir werden den größten Teil der absehbaren konventionellen Bedrohungen aus eigener Kraft bewältigen können. Die dafür notwendige Änderung des Konzepts führen wir derzeit in der I^andesverteidigung durch.

diefurche: Heißt das nicht auch mehr Geld für die Verteidigung? fasslabend: Es bedarf eines angemessenen Aufwands. In der Vergangenheit haben wir zu wenig für die Landesverteidigung getan.

diefurche: Was hat für den erwähnten subkonventionellen Bereich zu geschehen?

Fassiabend: Hier gilt es, präventiv das Entstehen solcher Gefahren auszuschließen.

niEFl'rche: Können Sie das näher erklären?

FaSSI-ABEND: Indem eine größere Zahl unserer Nachbarstaaten in eine europäische Sicherheitsordnung eingegliedert wird, verringert sich für uns die Gefahr, von subkonventionellen Krisen erfaßt zu werden. Wir müssen daher dazu beitragen, daß es in unserer Nachbarschaft zur politischen Stabilisierung kommt.

diefurche: Bleibt es bei der Neutralitätspolitik?

Fasslabend: Die Neutralität war ein Produkt des Kalten Krieges. Mit dessen Ende hat sie ihre Funktion verloren. Das ist ein unbezweifelbares Faktum. Ihm hat man Rechnung zu tragen.

diefurche: Also: Neutralität ade? fasslabend: Man sollte das Gewicht nicht auf den Abschied, sondern auf die Änderung der Orientierung legen. Bis jetzt war es unser Ziel, uns aus einem möglichen Ost-West-Konflikt herauszuhalten. In Zukunft ist es unser Ziel zu verhindern, daß in unserer Nachbarschaft Konflikte entstehen. Das können wir am besten, wenn wir Teil einer Sicherheitsordnung sind. In Zukunft steht die gemeinsame Sicherheit und Verteidigung im Vordergrund.

diefurche: Eine Generation ist im Bewußtsein herangewachsen, es sei Österreichs Aufgabe, sich aus Konflikten herauszuhalten. Was sagt man diesen Menschen?

fasslabend: Man muß ihnen bewußt machen, daß ein wesentlicher Bestandteil der ehemaligen Neutralitätspolitik, nämlich zwischen anderen zu vermitteln und einen positiven Beitrag zur Gemeinsamkeit zu leisten, in Zukunft durch das Mittel der politischen Integration verwirklicht wird. Durch das Heraushalten aus der Ost-West-Konfrontation waren wir Ansprechpartner für beide Teile. Jetzt müssen wir uns in das Sicherheitssystem integrieren und unseren Nachbarn helfen, denselben Schritt zu tun.

niEFl'rche: Ist der erste Schritt dazu unser Status als WEU-Beobachter? Was hat das für Folgen? fasslarenu: Wir haben das Recht, an allen Sitzungen teilzunehmen, nicht jedoch, an der Planungszelle mitzuarbeiten oder Anliegen auf die Tagesordnung zu setzen. Wir haben auch kein Könsultationsrecht. Der derzeitige Status bringt uns auch keine besondere Schutzwirkung. Sie wäre für uns aber wünschenswert.

diefurche: Strebt Österreich also eine WEU-Mitgliedschaft an? FasSURENU: Der Beobachterstatus

kann nur ein erster Schritt auf dem Weg der sicherheitspolitischen Integration sein. Er sollte unter der Perspektive des Vollbeitritts gesehen und verstanden werden.

diefurche: Wann könnte dieser

stattfinden?

fasslabend: 1996 wird die Regie rungskonferenz sich mit wesentlichen Fragen der Gemeinschaft auseinandersetzen. Die gemeinsame Sicherheitspolitik wird ein wesentlicher Punkt sein. Zu diesem Zeitpunkt sollten wir ein möglichst hohes Ausmaß an Integration aufweisen. Spätestens dann wird die Frage

der Vollmitgliedschaft virulent. Ein zukünftiges Sicherheitssystem wird im wesentlichen auf der Verschränkung von drei Organisationen aufgebaut sein: der EU, der WEU und der Nato.

diefurche: Erfordert die WEU-Mitgliedschaft nicht einen höheren Aufwand für die Verteidigung? fasslabend: Wir werden sicher nicht die Trittbrettfahrerrolle in Europa spielen und das Land mit den größten sicherheitspolitischen Interessen und dem niedrigsten Reitrag sein können. Wir werden uns auch in Zukunft nicht nur selbst verteidigen, sondern auch einen Reitrag zur gesamteuropäischen Stabilität leisten müssen.

diefurche: Was bedeutet das größenordnungsmäßig? fassiabend: Das läßt sich schwer sagen. Jedenfalls werden wir mehr für unsere Sicherheit tun müssen.

diefurche: Ist die jetzige Heeresgliederung ein adäquater Beitrag? Fassiahkni): Sie ist im Hinblick auf die veränderten Verhältnisse geschaffen worden und bietet die Voraussetzung, dem neuen Risikobild Rechnung zu tragen.

diefurche: Was heißt militärische Kooperation konkret' fassi.abend: Man muß davon ausgehen, daß auch in Zukunft alle wesentlichen militärischen Kräfte in Europa nationale Kräfte sein werden. Gemeinsame Verteidigungspolitik heißt nicht das Ende der nationalen Armeen. Allerdings wird es verbesserte Möglichkeiten des Zusammenwirkens geben.

diefurche: Sinkt die Wehrbereitschaft?

F assiabend: International haben wir eine günstige Situation. Die Zivildienstreform hat eine Stabilisierung der Zahl der Zivildiener (bei 15 Prozent eines Jahrganges) gebracht. Zwei Drittel der Jugendlichen meinen, daß alle jungen Leute Fähigkeiten zur Verteidigung des Landes erlernen sollten. Die grundsätzliche Wehrbereitschaft ist in Österreich nach wie vor sehr hoch, höher als man allgemein meint

diefurche: Also kein Berufsheer? fassi .abend: Das ist für mich eine

Frage der militärischen Effizienz. Solange sich die Lage im Osten nicht stabilisiert hat, wäre es ein Risiko das derzeitige System zu ändern, weil wir dadurch nur verringerte Möglichkeiten hätten, das Land zu schützen. Übrigens haben nur England und Belgien ein Berufsheer.

DIEFURCHE: Die Situation in Bosnien zeigt doch, wie problematisch internationale Friedensbemühungen sind. Ist es da sinnvoll, ujenn Österreich sich einem internationalen System der Sicherung unterwirft? FASStABEND: An diesem Beispiel erkennt man im Gegenteil, daß sich ein Land, das sich außerhalb eines Sicherheitssystems befindet, nur eine sehr geringe Chance hat, Hilfe von außen zu bekommen. Bosnien ist ein Musterbeispiel dafür, daß bei seite zu stehen, falsch ist

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