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Wenn das Wehrgesetz unter Dach und Fach ist...

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Wenn diese Zeilen erscheinen, hat — aller menschlichen Voraussicht nach — der Entwurf des Wehrgesetzes bereits den Ministerrat passiert und ist vom Nationalrat dem Wehrausschuß zugewiesen worden. Hier wird seines Bleibens nicht lange sein. Der Ausgleich zwischen den sehr difierenten Meinungen der Koalitionsparteien ist ja schon angebahnt, und auch in der Frage der aktiven Dienstzeit zeichnet sich der erwartete Kompromiß ab. Die mit den Agenden des Heerwesens beauftragte neue Sektion des Bundeskanzleramtes wird also noch vor den parlamentarischen Ferien in aller Form ihre Arbeit aufnehmen können. Wenn, wie in der letzten Nummer betont wurde, „General Zeit“ ihr hierbei, als ein guter Berater stets zur Seite stehen sollte, so blieb es der Dialektik der Linksopposition überlassen, daraus eine Unterstützung für die von ihr aus naheliegenden Gesichtspunkten propagierte „Volksabstimmung über das Bundesheer“ herauszuhören. Die Leser der „Furche“ wissen es besser. Wenn nun das Wehrgesetz unter Dach ist, dann müssen sich die Veranwortlichen entscheiden, in welchen organisatorischen Rahmen sie das neue Bundesheer einbauen wollen. Das Schema großer Staaten, deren Armeen eine ganz andere Aufgabe als die kleinen Streitkräfte eines kleinen neutralen Staates haben, werden daher nur sehr bedingt als Vorbilder dienen können. Vielleicht wäre es überhaupt gut, ernstlich neue Wege einzuschlagen, wie sie der folgende Beitrag zu beschreiten rät. Die „Furche“

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Wenn diese Zeilen erscheinen, hat — aller menschlichen Voraussicht nach — der Entwurf des Wehrgesetzes bereits den Ministerrat passiert und ist vom Nationalrat dem Wehrausschuß zugewiesen worden. Hier wird seines Bleibens nicht lange sein. Der Ausgleich zwischen den sehr difierenten Meinungen der Koalitionsparteien ist ja schon angebahnt, und auch in der Frage der aktiven Dienstzeit zeichnet sich der erwartete Kompromiß ab. Die mit den Agenden des Heerwesens beauftragte neue Sektion des Bundeskanzleramtes wird also noch vor den parlamentarischen Ferien in aller Form ihre Arbeit aufnehmen können. Wenn, wie in der letzten Nummer betont wurde, „General Zeit“ ihr hierbei, als ein guter Berater stets zur Seite stehen sollte, so blieb es der Dialektik der Linksopposition überlassen, daraus eine Unterstützung für die von ihr aus naheliegenden Gesichtspunkten propagierte „Volksabstimmung über das Bundesheer“ herauszuhören. Die Leser der „Furche“ wissen es besser. Wenn nun das Wehrgesetz unter Dach ist, dann müssen sich die Veranwortlichen entscheiden, in welchen organisatorischen Rahmen sie das neue Bundesheer einbauen wollen. Das Schema großer Staaten, deren Armeen eine ganz andere Aufgabe als die kleinen Streitkräfte eines kleinen neutralen Staates haben, werden daher nur sehr bedingt als Vorbilder dienen können. Vielleicht wäre es überhaupt gut, ernstlich neue Wege einzuschlagen, wie sie der folgende Beitrag zu beschreiten rät. Die „Furche“

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Unklar und umstritten ist noch die Organisation, die Gliederung des künftigen Bundesheeres. Mit Ausnahme der veröffentlichten Aeußerungen maßgeblicher Stellen, daß keine großen Stäbe gebildet werden sollen, sind keine Anhalte vorhanden, die einen Schluß auf die vorgesehene Gliederung des Bundesheeres zulassen. Es ist klar, daß manche Militärs alter Schule und besonders jene, die in der Deutschen Wehrmacht führende Posten innegehabt haben, ihre Gedanken in eine ganz bestimmte Richtung lenken. Sie sind oft noch befangen in dem Gedanken an die bewaffnete Macht eines großen Staates, der, gestützt auf seine Streitkräfte, im Konzert der Völker einen dominierenden Platz einnehmen will. Der kleine österreichische Staat hat keine solchen Aspirationen, und der Neutralitätsstatus offenbart die Rolle Oesterreichs im Zusammenleben der Völker in eindeutiger Weise. Die Organisation und Gliederung des künftigen Bundesheeres wird daher der staatspolitischen Lage unseres Landes angepaßt sein müssen.

Wir haben uns letztens mit den Gründen vertraut gemacht, die es notwendig erscheinen lassen, die Aufstellung des Bundesheeres nicht in unbegründeter Hast in Angriff zu nehmen. Heute sollen Fragen der Organisation und Gliederung des Bundesheeres einer Betrachtung unterzogen werden.

Die Aufgaben des Bundesheeres bedürfen wohl keiner besonderen Erläuterung. Sie können nur im Schutze unserer Grenzen und in der Hilfeleistung bei Elementarereignissen oder Unglücksfällen außerordentlichen Umfanges bestehen. Die Verwendung des Bundesheeres zur Aufrechterhaltung von Ruhe, Ordnung und Sicherheit im Inneren ist eine äußerst problematische politische Angelegenheit, die hier nicht erörtert werden soll.

Für die Organisation und Gliederung des Bundesheeres wird dessen Verwendung zum Schutz der Grenzen maßgebend sein. Oesterreich hat im Vergleich zu seiner Flächenausdehnung eine sehr lange und stellenweise feingegliederte Grenze. Von einer Wehrtiefe kann von modernen Gesichtspunkten aus gesehen überhaupt nicht gesprochen werden. Begriffe wie Hinterland, Etappe usw. scheiden daher aus. Durch die Beschaffenheit des Landes ergeben sich die militärisch schwachen Stellen von selbst, und jeder einigermaßen ausgebildete Soldat wird durch einen Blick auf die Landkarte diese Räume feststellen können. Unter Zuhilfenahme dieser Betrachtungen und bei Berücksichtigung der abgegebenen Neutralitätserklärung ergibt sich eindeutig, daß unser Bundesheer den Schutz der Grenzen in einer zeitlich beschränkten Dauer nur durch defensive Kampfhandlungen wird bewerkstelligen können.

Es wird sich daher als notwendig erweisen, daß, abgesehen von der Planung einer Verteidigung unmittelbar an der Grenze den einzelnen Möglichkeiten und der Geländebeschaffenheit entsprechend, bestimmte Verteidigungslinien im Innenland ermittelt werden. Ausgesprochene Befestigungslinien werden sich allerdings nur in den Alpengebieten vorbereiten lassen, da der abgelaufene Krieg gezeigt hat, wie wenig eine vom Gelände nicht begünstigte Befestigung wert ist.

Auf Grund einer solchen vorausgegangenen Planung, für deren Durchführung keinesfalls ein ,.großer Generalstab“ notwendig ist. wird man leicht die Garnisonen des neuen Bundesheeres festlegen können. Es wird sich dabei vorteilhaft erweisen, wenn die Ausbildung der aktiven Einheiten von der der Reserveformationen getrennt wird. Die aktiven Einheiten sollen in jenen Räumen untergebracht und ausgebildet werden, in denen im Bedarfsfall ihr Einsatz erfolgen soll. Die genaue Ortskenntnis ist für eine Truppe, speziell wenn sie in der Verteidigung oder im hinhaltenden Kampf verwendet wird, von ausschlaggebender Bedeutung. Die kurzfristige Ausbildung und Umschulung der Reservejahrgänge könnte besser im Landesinneren vorgenommen werden. Durch eine solche Vorgangsweise könnte der landsmannschaftliche Charakter in der Organisation der Truppenverbände gewahrt werden und soziale Härten bei den Reservejahrgängen wären auf ein Minimum beschränkt.

Was die Gliederung der Truppenverbände betrifft, muß einleitend gesagt werden, daß, abgesehen von Kampfmoral, Geländebeschaffenheit usw., die abstoßende Feuerwirkung und die Beweglichkeit einer zum Verteidigungskampf bestimmten Truppe von ausschlaggebender Bedeutung sind. Da die Beweglichkeit durch die Größe und die unterschiedliche Art der Beweg-lichmachung der Verbände leidet, müssen möglichst kleine, jedoch selbständig verwendbare und gleichmäßig bewegliche Formationen geschaffen werden, die sich im Bedarfsfalle führungsmäßig zusammenfassen lassen. Für unsere Verhältnisse ist die gegebene Einheit das „Selbständige Bataillon (Baon)“. Neben diesen Einheiten müssen im Landesinneren untergebrachte Spezialwaffenverbände gebildet werden, die es der Führung ermöglichen, in ein Kampfgeschehen rasch und erfolgversprechend eingreifen zu können. So werden zum Beispiel Pionierbaone, vielleicht Artillerieabteilungen mit weittragenden Geschützen, Panzerabteilungen, Panzer-abwehr-Baone und Nachrichtenabteilungen aufzustellen sein. Dem Geländecharakter entsprechend könnte man die Formationen als Infanterie- oder Alpenjägerbaone bezeichnen. Als Beispiel für die Gliederung eines solchen Baons könnte angenommen werden, daß dasselbe aus dem Baonsstab, 3 Infanterie- oder Alpenjägerkompanien, 1 schweren Kompanie mit Artillerie, 1 Aufklärungszug, 1 Nachrichtenzug und 1 Pionierzug besteht. Die Ausstattung dieser selbständig verwendbaren Baone mit modernen feuerkräftigen Waffen neben einer den Verhältnissen entsprechenden von den schienengebundenen Verkehrsmitteln unabhängigen Beweglich-machung (Motorisierung) würde vollkommen den Anforderungen entsprechen, die an eine nur einem bestimmten Zweck dienende Truppe zu stellen sind.

Was die Ausbildung und Umschulung der bei der Aufstellung des Bundesheeres anfallenden Reservejahrgänge anlangt, wird es sich als vorteilhaft erweisen, diese Jahrgänge in Aus-bildimgseinheiten im Landesinneren zusammenzufassen. Auf diese Weise könnte im raschen Zuge neben der Aufstellung der aktiven Verbände die Verwendbarkeit der Reservejahrgänge sichergestellt werden. Es wäre dann nur eine Angelegenheit der Detailorganisation, die von den Ergänzungsstellen wahrzunehmen wäre, wie die mobile Verwendung der Reservisten festgelegt wird, d. h. wie viele Angehörige der Reservejahrgänge zur Auffüllung der aktiven Verbände benötigt werden und wie viele neue Verbände aus den ausgebildeten Reservisten gebildet werden müssen.

Zahlenmäßig abgeschätzt würde es den von Oesterreich angestrebten Verhältnissen entsprechen, wenn man etwa 35 bis 38 Verbände in Baonsstärke einschließlich der Spezial-waffeneinheiten bildete. Wenn wir die Stärke eines Baons mit durchschnittlich 750 Mann annehmen, ergäbe dies einen Aktivstand von rund 27.000 bis 30.000 Mann. Dies entspricht auch ungefähr der Zahl der wehrfähigen jungen Männer, die nach Ausscheidung der Untauglichen in den nächsten Einrückungsjahrgängen anfallen werden. Wie schon erwähnt, wäre neben der Aufstellung und Ausbildung der aktiven Truppe die kurzfristige Um- und Einschulung der Reservejahrgänge bei den Ausbildungseinheiten zu betreiben. Wahrscheinlich wird es sich als vorteilhaft erweisen, im Gegensatz zu der infolge der sorgfältigen Vorbereitung notwendigen langsamen Aufstellung der aktiven Verbände, die mit verhältnismäßig geringen Mitteln durchführbare LImschulung und Ausbildung der Reservejahrgänge energisch zu betreiben. Die dabei gemachten Wahrnehmungen und Erfahrungen werden sich bei der Heranbildung der aktiven Verbände nutzbringend verwerten lassen. Diese Art der Organisation würde es möglich machen, im Augenblick mit einem verhältnismäßig geringen Stand von Offizieren und Unteroffizieren das Auslangen zu finden. Dadurch wäre auch die Vorbedingung dafür geschaffen, ein altersmäßig richtig geschichtetes, von einem neuen guten Geist erfülltes Offiziers- und Unteroffizierskorps heranzubilden.

Bei der Aufstellung der österreichischen Luftstreitkräfte werden die Luftschutztruppen die maßgebliche Rolle zu spielen haben.Es liegt auf der Hand, daß sich Oesterreich keine taktischen Luftstreitkräfte zulegen wird. Es ist auch klar, daß Heeresluftstreitkräfte infolge des Nichtvorhandenseins einer Wehrtiefe keine besondere Rolle spielen können. Mk Ausnahme von Flugzeugen, die der Aufklärung beziehungsweise Erkundung dienen, wird man sich, den wirtschaftlichen Verhältnissen Oesterreichs entsprechend, damit begnügen müssen, eine verhältnismäßig geringe Anzahl von routinemäßigen Mehrzweckflugzeugen in den Dienst zu stellen. Die Luftschutztruppen hingegen, mit modernen Geräten zur Luftraum-beobachtung und Fliegerabwehrwaffen ausgestattet, die auch zur eventuellen Verwendung im Erdkampf geeignet sind, werden den permanenten Schutz der gegen Luftangriffe empfindlichen Objekte vorzüglich im Innenland durchzuführen haben. Es ist selbstverständlich, daß bei mobilen Verhältnissen die aktiven Verbände der Luftwaffe und der Luftschutztruppen die Sicherung des Luftraumes im Bereiche der kämpfenden Truppe übernehmen werden und die Sicherung der Objekte im Innenland durch Reserveverbände erfolgt.

Daß es notwendig ist, vorerst eine Wehrersatzorganisation in Eorm von Ergänzungs-kommandos oder ähnlich aufzubauen, daß neben den gegliederten Verbänden verschiedene Militäranstalten, Schulen, Kurse und Zeugslager errichtet werden müssen, versteht sich von selbst. Jedenfalls stehen alle jene Personen, die dazu bestimmt werden, sich mit der Frage des künftigen österreichischen Bundeshceres zu befassen, vor einer Aufgabe, die durch ein Zurückgreifen in die Vergangenheit allein nicht zu lösen ist.

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