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Die Voraussetzungen einer UNO-Armee

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Die UNO-Exekutive in dieser Form ist zwar nicht zustande gekommen; allein die in dem Plan enthaltenen Gedanken: nationale Kontingente unter einer schon im Frieden bestehenden obersten gemeinsamen Führung — das scheinen unter den gegebenen Verhältnissen tatsächlich geeignete reale Grundlagen einer übernationalen Streitmacht zu sein.

Das setzt voraus:

1. daß die einzelnen Mitgliedsstaaten als Kontingentträger souverän, im Besitze der vollen Wehrhoheit sind, eine zur Leistung der übernommenen Verpflichtung geeignete Wehrverfassung sowie den entsprechenden militärischen Führungs-, Verwaltungs- und Ausbildungsapparat besitzen;

2. daß vertraglich Stärke und Zusammensetzung der nationalen Kontingente festgelegt wird;

3. daß schon im Frieden ein von den Einzelstaaten anerkannter oberster gemeinsamer Führungsapparat besteht, mit fest umschriebenem Aufgabenkreis und klar geregelten Befugnissen für Frieden und Einsatzfall.

Die erste Voraussetzung bedarf keiner besonderen Begründung. Nur souveräne Staaten, die eine geordnete Wehrverfassung haben. (Wehrgesetze, Regelung der Dienstpflicht usw.) und über die zu ihrer Durchführung erforderlichen Einrichtungen (zum Beispiel zur Erfassung der Wehrpflichtigen) verfügen, können ernste militärische Verpflichtungen erfüllen. Hingegen müssen die Wehrverfassungen keineswegs alle inhaltlich gleich sein. Allerdings wird die allgemeine Wehrpflicht und ein nicht zu knappes Mindestmaß an aktiver Dienstleistung unerläßlich sein, um die von der

Streitmacht übernommenen Verpflichtungen erfüllen zu können.

Zu dem Problem der Stärke und Zusammensetzung der Kontingente ergeben sich zwei Grundfragen: Soll nur e i n Teil der Wehrkraft jedes Mitgliedstaates, also eine bestimmte Zahl von Divisionen, Fliegerverbänden usw., Bestandteil der übernationalen Streitmacht sein oder soll die gesamte Wehrorganisation des betreffenden Landes ihr in irgendeiner Form eingegliedert werden? Die Frage ist im Grunde keine organisatorische, sondern eine politische, sie ist aber von ernster Bedeutung, wenn man die Dinge nicht starr, sondern dynamisch, in der Entwicklung betrachtet. Hat ein Staat zum Beispiel die Verpflichtung übernommen, bei Ausbruch eines Konflikts zehn Divisionen für die gemeinsame Streitmacht bereitzustellen, so erfordert der Verlauf kriegerischer Operationen, daß die beigestellten Verbände dauernd durch Ersatz von Mann und Material in kampfkräftigem Zustand erhalten werden. Ja — bei längerwährender Aktionsdauer kann es nicht bei den ursprünglichen zehn Divisionen bleiben, sondern die oberste Führung wird die Beistellung von weiteren und die Aufstellung von neuen Verbänden fordern müssen. Uberhaupt muß man darüber im klaren sein, daß in einem globalen Konfliktsfall alle beteiligten Staaten mit ihrem gesamten Potential der gemeinsamen Streitmacht pflichtig sein werden.

Die zweite Grundfrage ist die, ob und inwieweit die einzelnen Staaten mit allen Waffengattungen ausgestattet oder ob etwa einzelne Waffen nur bestimmten Staaten, den Großmächten, vorbehalten sein sollen. Zweifel dieser Art sind schon aufgetaucht. Sie beziehen sich selbstverständlich, nicht auf die Waffengattungen der Erdtruppen im herkömmlichen Sinne. Die kleinste Kontingentseinheit kann ja vernünftigerweise nur der gemischte, aus allen Waffen bestehende Heeresverband, d i e Division, sein. Es ist daher klar, daß jeder ein Kontingent stellende Staat die alten gebräuchlichen Waffengattungen, Infanterie, Artillerie, Pioniere usw., haben muß.

Es bedarf jedoch keiner eingehenden Begründung, daß es unrationell wäre, alle, auch kleinere Staaten, zur Unterhaltung von Artillerieeinheiten schwerster Kaliber, von Panzer- und Luftwaffenverbänden heranzuziehen, an deren industrieller Entwicklung, waffentechnischer und taktischer Erprobung unausgesetzt kostspielige Arbeit geleistet werden muß, zu der kleine Staaten gar nicht imstande sind. Von den modernsten Geheimwaffen gar nicht zu reden.

Aber so einfach steht die Sache nun auch wieder nicht, daß es angängig wäre, wenn nur wenige Großmächte über die modernen und wirksamen Waffen verfügen, alle anderen aber nur etwa die Masse der einfachen Infanteriedivisionen stellen sollen.

Schon die Frage, ob die Normaldivision (die Infanteriedivision) Panzer besitzen soll (wie zum Beispiel die amerikanische Division) oder nicht, rückt die Frage der Ausrüstung und Ausbildung mit Panzern bei den einzelstaatlichen Kontingenten in ein anderes Licht. Es ist für eine Zusammenarbeit nie gut, wenn es schon rein ausrüstungsmäßig Verbände besserer und minderer Güte gibt, an die ja im Ernstfall doch die gleichen Anforderungen gestellt werden. Schließlich ist das Vorhandensein von Panzern in einer kleinen Wehrmacht auch eine Ausbildungsfrage. Selbst die einfache Panzerabwehr und Panzernahbekämpfung kann man nicht schulen, wenn man keine Panzer hat und keinen Einblick in die Entwicklung der Kampfweise dieser Waffe.

Im Vergleich zu diesen beiden Grundproblemen dürfte die Frage, inwieweit militärische Organisationsformen der Einzelstaaten beeinflußt werden müßten, um für gemeinsame Verwendungen geeignet zu sein, kaum Schwierigkeiten bereiten. Die Truppen (Bataillone und Regimenter) sowie die Heeresverbände (Divisionen) sind heute auf der ganzen Welt nach gleichen Grundsätzen gegliedert. Tatsächlich bestehende Unterschiede beeinträchtigen sicher nicht ihre gemeinsame Verwendbarkeit mit anderen. Soweit es sich aber um solche Unterschiede handelt, wie die schon erwähnte Ausstattung mit oder ohne Panzern, ist ihre Behebung nur — eine Geldfrage.

Die Einheitlichkeit der Ausbildung in den gemeinsamen Streitmachtteilen kann durch zentralgeleitete Schulen und Lehrgänge, besonders solche für das Führungspersonal, dann durch Kontrollen und Besichtigungen noch erheblich gefördert werden.

Eines der wichtigsten Probleme ist die Einrichtung eines ständigen gemeinsamen Oberbefehls. In dem über die einfache Koalition hinausgehenden festeren Verhältnis einer übernationalen Wehrmacht ist es als Voraussetzung für die Wirksamkeit eines gemeinsamen Oberbefehls notwendig, dafl ein alle Partner zusammenschließendes politisches Machtorgan existiert, dem der militärische Oberbefehl verantwortlich ist, von dem er seine Aufträge erhält, an das er seine Vorschläge richtet und das ihm den nationalen Kontingenten gegenüber die unentbehrliche Autorität verleiht.

Das Neuartige an einer solchen Einrichtung des ständigen gemeinsamen Oberbefehls ist der Einfluß, den diese übernationale Stelle schon im Frieden auf seine Kontingente und damit auf die einzelstaatliche Wehrorganisation der Mitgliedstaaten wird haben müssen, ein Problem, das nur mit großer Vorsicht wird angefaßt werden können. In allen Fragen der Organisation, Bewaffnung, Ausrüstung und Ausbildung — dazu überdies in den nicht minder wichtigen Dingen der örtlichen Unterbringung der Kontingente und ihres Bereitschaftsgrades usw. — werden die Formen erst gefunden werden müssen, durch welche die „Absichten des Oberkommandos“ in den Einzelstaaten in die Tat umgesetzt werden. Zweifellos muß dazu das Verhältnis zwischen der gemeinsamen obersten Führung und jener der nationalen Wehrorganisation genau geregelt sein.

Weit weniger Schwierigkeiten bietet im konkreten Einsatzfall die operative und taktische Führung der gemischten Kontingente auf dem Schlachtfeld. Wenn sich dabei auch in der Vergangenheit genug Reibungen ergeben haben, so sind sie doch stets leicht überwunden und reiche Erfahrung dabei gesammelt worden.

Von geringer Bedeutung ist auch die Sprachverschiedenheit nationaler Kontingente. Wenn die Division kleinste Kontingentseinheit“ ist, so besteht im internen Truppendienst sowie in der Führung innerhalb des Heereskörpers kein Hindernis für den Gebrauch der nationalen .Kommandosprache“. Erst Kommandostellen von der Division aufwärts bedürfen zum Verkehr mit ihren vorgesetzten oder untergebenen Verbänden entsprechender Einrichtungen (Dolmetscher, sprachkundiges Verbindungspersonal).

Die Schaffung einer übernationalen Streitmacht ist etwas so Neues, daß es gar nicht möglich ist, alle dabei auftretenden Probleme schon vorher zu erkennen. Die damit verbundene Opferung eines Teiles der Souveränität ist sicherlich nur unter Erfüllung bestimmter staatsrechtlicher Bedingungen möglich. Sicher ist jedenfalls, daß es mit der Lösung nur der rechtlichen und organisatorischen Probleme nicht getan ist, ja daß ihre Lösung nur gelingen kann, wenn die Idee, der das neue Instrument dienen soll — die Schaffung einer höheren Ordnung —, Eingang in die Herzen und Hirne der Menschen findet.

Es wäre auf das heißeste zu wünschen, daß die Idee und ihr Instrument — trotz seines kriegerischen Inhalts — den Frieden sichern möge.

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