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Digital In Arbeit

Automation gegen Fließband

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Immer noch ist die „Automation” — neben der Atomenergie — die Gegenwartsfrage von stärkster emotionaler Sprengkraft. Und immer weiter wirft die Diskussion ihre Kreise: wie es in den neuen „Satanshütten” Carlyles, den Fabriken der Zukunft, zugehen wird: ob dieses Experiment nicht mit einem traumatischen Schock enden, eine neue technologische Arbeitslosigkeit auslösen und ob überhaupt noch etwas zu tun übrigbleiben wird; ob der Lohn etwa zur „Quantity nėgligeable”, die Massenproduktion eine „individuelle Note” behalten oder die Frauen nun endlich in die Küche zurückkehren werden. Ob den „dressierten Maschinen” nicht der Tod der freien Wirtschaft, ein schrankenloser Güterhunger und das „totale Ratengeschäft” auf dem Fuße folgen werden; ob — im Zeichen der Automation — die 30- oder gar nur die 20-Stunden-Woche opportuner sei bzw. die Menschheit für die Zukunft überhaupt intelligent genug sein bzw. eine neue Arbeiteraristokratie, „die im Smoking zur Arbeit kommt”, die Folge sein wird — all das ist in knalligen Artikeln oder nachdenklichen Analysen bereits erschöpfend ventiliert worden.

Doch eine Perspektive gilt es noch auszuleuchten, die Frage: Ist „Automation” nicht möglicherweise ein Gegengift? Ein Gegengewicht gegen den Hypertechnizismus — gegen die drohende psychische „Atomisierung” des Menschen?Prof. Wiener (USA), der Miterfinder des Elektronenhirns (und Schöpfer des Begriffes „zweite industrielle Revolution”), definierte den Unterschied zwischen herkömmlichen und den neuen Maschinen folgendermaßen: „Die traditionellen Maschinen ersetzen und vervielfachen die Muskelkraft des Menschen. Sie sind seine Energiesklaven. Die Steuerungsmaschinen der Automationsära jedoch ersetzen und vervielfachen die Sinnes-, Nerven- und Hirnfunktionen des Menschen bei der routinemäßigen Lenkung und Kontrolle des Arbeitsprozesses. Sie sind höherentwickelte maschinelle Arbeitssklaven für die Kontrolle der Energiesklaven.”

Das ist das Wesen der Automation, die begann, als im Sommer 1948 die Ford- Automobilwerke in Dearborn (Michigan) ihre Fabrikation „auf Stromlinie” brachten — automatisierten. Vor zwei Jahren etwa begann dann dieses ungeheuerliche Etwas, „Automation”, um die Erde zu geistern. In den USA sich in der triumphierenden Dithyrambe amerikanischer — bei Unternehmern und Gewerkschaften in seltener Harmonie gleich überbordenden — Fortschrittsbegeisterung Luft machend: „Die Vereinigten Staaten des Jahres 1980 werden der heutigen Gesellschaft so wenig ähneln wie unsere Gegenwart dem Amerika Abraham Lincolns!” In der Sowjetunion höchste Aktivität und Hoffnung weckend, mit dem Zauberschlüssel „Automation” Amerika in kürzester Zeit technisch-wirtschaftlich den ersten Rang abzulaufen und die eigenen gigantischen Programme im Zeitraffertempo vorzupeitschen: unverzüglich stellte der Kreml ein Sonderministerium für Fragen der Automation auf die Beine.

Europa hingegen verharrte vorerst in romantischen Schauern und „unnötiger Gespensterfurcht”, wie der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie, Fritz Berg, die „gefährliche Dramatisierung der öffentlichen Diskussion” bezeichnete. Kein Wunder eigentlich, wenn man bedenkt, daß selbst 90 Prozent der einem robusten Fortschrittsglauben verhafteten Amerikaner, die befragt wurden, was sie beim Klang dieser synthetischen Vokabel „Automation” empfänden — laut „Business Week” —, kurz und bündig antworteten: „Angst.” — Seit aber das Standard-Traktorenwerk in der britischen Industriestadt Coventry — im Mai 1956 — an den Einbau einer automatischen Produktionsstraße ging, in Westdeutschland ein „automatisiertes” Bunawerk (Hüls) anlief und in Frankreich, Belgien usw. ähnliche Projekte der Verwirklichung entgegenstreben, ist die Automation keine Fata Morgana mehr, sondern bereits mitten unter uns…

Schon unsere Väter (und deren Väter) wurden von einer furchtbaren Vision heimgesucht: sie sahen die Zeit der Uebermaschinen anbrechen, der „perfekten Technik”, mit der der Mensch die Welt restlos beherrschen könnte. Maschinen, die sich selbständig betätigen und märchenhafte Resultate erzielen. Dazu Menschen, die — bereits selbst in Automaten verwandelt — mit der Zeit überflüssig werden und aussterben. Sterben müssen, „weil”, wie Berdjajew prophezeite, „das organische Atmen, der Kreislauf des Blutes in der vollmechanisierten, .metallischen Umwelt unmöglich zu werden droht”. Nun, Propheten scheinen heutzutage nur einen knappen Vorsprung vor der Wirklich- xeit zu haben: Erde, Luft und Wasser sind der Technik, den Schiffen mit Atomantrieb, ihren Turbinenautos und Düsenflugzeugen bereits untertan und selbst die fernen Gestirne gewinnen an Leuchtkraft, seit der Mensch Raketen für kosmische Flüge konstruiert. Bald wird die Natur der Technik restlos unterworfen sein. Das ist die rätselhafte Sehnsucht des modernen Menschen, sein Wille und sein Zukunftstraum. — Wird aber dieser Traum auch ein guter Traum sein? Oder wird die Allmacht der Technik, die angebrochen ist, in eine dämonische Zeit führen — ins Nichtsein inmitten technischer Vollkommenheit?

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