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Die Tagung

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Die Perfektionierung der technischen Herstellungsweisen scheint, über das Technische hinausgreifend, das Gesicht der Gesellschaft völlig zu wandeln. Insbesondere zeigen sich die Folgen dessen, was man „Automation“ nennt, im Bereich der Freizeitgestaltung. Das Wiener Institut für Sozialpolitik und Sozialreform hat daher als Veranstalter der Wiener Sozialen Woche für dieses Jahr die Beziehungen von Automation und der entstehenden Freizeitgesellschaft zum Thema der dritten Sozialen Woche gewählt.

In seiner Einführung nahm der Präsident des Institutes, Univ.-Prof. Dr. j% M. K n o 11, zum Problem des arbeitsfreien Menschen Stellung, der nicht mehr in der Lage ist, seine Genuß-chancen richtig zu nützen. Den ersten Vortrag hielt einer der führenden Theoretiker der Nachrichtentechnik, Dr. Heinz Z e m a n e k von der Technischen Hochschule Wien, der- die „Automation“ als die Uebertragung des Systems der Nachrichtenmaschine auf die industrielle Ferti-tung bezeichnete, derart, daß den neuen Maschinen „Informationen“ gegeben werden, die sie repetitiv ausführen. Die den Maschinen verschlüsselt eingegebenen Arbeitsprogramme Werden in den Laien unwahrscheinlich schnell scheinenden Fertigungszeiten je Stück durchgeführt. An.Hand von Beispielen zeigte der Vortragende, wie durch sinnvolle Verknüpfungen logischer Operationen die Maschinen gesteuert werden, wobei sie Fähigkeiten ausweisen, die über den natürlichen Fähigkeiten des Menschen liegen. Durch die neuen Arbeitsweisen wird aber der Mensch in keiner Weise ausgeschaltet, sondern eher in seiner Position gesichert.

Am zweiten Tag sprach Prof. Dr. Max P i e t s c h von der Technischen Hochschule Graz, der nachdrücklich darauf verwies, daß die Leistungssteigerungen durch die neuen Maschinen zwar beträchtlich sind, daß aber die Automation hur eine partielle ist und ihrer Einführung eine Reihe von Dämpfungselementen entgegensteht.

Als nächster Vortragender sprach Dr. Anton Burghardt von der Textilhandelsakademie (an der Bundeslehr- und Versuchsanstalt für Textilindustrie) über die Tatsache, daß sich neben der bisher vorherrschenden Arbeitsgesellschaft so etwas wie eine Freizeitgesellschaft herausbildet, die nunmehr den Massen, insbesondere der Arbeiterschaft, offensteht und die Folge einer Vermehrung von Freizeit, Reallohn und Demokratisierung des Konsums (der Liquidation der Kpnsumeliten von ehedem) ist. Der Vortragende wies nachdrücklich auf die Chancen hin, die sich aus den neuen mit dem Namen „Automation“ bezeichneten Fertigungsweisen für die Sozialreform ergeben, gab jedoch zu bedenken, daß mangels entsprechender Konsumdisziplin die Schaffung einer Freizeitgesellschaft durchaus geeignet sei, eine Verproletarisierung besonderer Art herbeizuführen, trotz Güterfülle, weil es eben an Konsumwissen, am Gütergebrauchswissen weithin fehle.

Am dritten Tag nahm vom Standpunkt der Theologie Msgr. Professor Mauer zur Freizeit Stellung. Der Mensch, ohne Vermögen, die Freizeit zu nutzen, flieht in eine Traumwelt und kann zum „Verbrecher aus Langeweile“ absinken. Die Arbeit ist ein „imperialer Akt“ des Menschen. In' der Freizeit muß der Mensch seine Position bewahren, er darf nicht „leer“ sein, sondern muß sein Dasein sinnvoll machen,

Den Abschluß bildete ein Vortrag des bekannten Neurologen Univ.-Prof. Dr. Viktor F r a n k 1 von der Wiener Poliklinik. Dem Psychologen stellt sich als Folge der neuen Freizeitchancen nunmehr das Problem der Massenlangeweile als Krankheitsherd. Aus dem Nichtstun entstehen Neurosen sui generis. Ein „existentielles Vakuum“ auf der einen Seite, Arbeitswütigkeit auf der anderen Seite sind die Folgen. Der Mensch flieht vor sich selbst, ohne Erholungswert, im vergeblichen Bemühen, sein fcrlebnismanko zu kompensieren, endet er im Nihilismus, er ist ärmer denn je, nicht obwohl, sondern gerade deswegen, weil er an verfügbaren materiellen Gütern reicher gemacht wurde. - •■

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