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Digital In Arbeit

Die richtige und falsche Dosierung

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Die Einführung der technischen Verfahrensweise, die wir allgemein als „Automation“ bezeichnen, bringt primär eine Kostenersparnis hervor.

Die Kostenreduktion, die vor allem eine solche der Stückkosten ist, kann man darauf • zurückführen, daß die menschliche Arbeitskraft weitgehend durch die neuen, weniger Kosten verursachenden Maschinen ersetzt wird und diese neuen Maschinen selbst in einer relativ kurzen Zeit eine größere Stückzahl hervorbringen als seinerzeit die händische Arbeit und Maschinen von geringerer Leistungsfähigkeit. Die Folge ist eine Reduktion der fixen Kosten je Stück.

Die Automation führt also zu einer Reduktion des Einsatzes der menschlichen Arbeitskraft. Diese Verkürzung des Einsatzes der menschlichen Arbeit zeigt sich je Stück inso-v/eit, als die auf das einzelne Erzeugungsstück notwendig aufzuwendende menschliche Arbeitszeit erheblich kürzer ist als ehedem.

In weiterer Folge führt die Verkürzung des Bedarfes an menschlicher Arbeitskraft je Stück der Erzeugung zu einer Verringerung des Bedarfes an Arbeit je Arbeitsperiode.

Man benötigt weniger Arbeiter oder ist in der Lage, zum Beispiel bei gleichbleibender Arbeiterzahl, die Normalarbeitszeit je Woche zu verkürzen.

Durch die Reduktion des Bedarfes an menschlicher Arbeitskraft entstehen die in einem anderen Artikel dieser Beilage erwähnten Probleme der Freisetzung von Arbeitskraft bzw. der strukturellen oder der technischen Arbeitslosigkeit.

Im allgemeinen sind nun die zu erwartenden Auswirkungen der Automation auf die Arbeitszeit folgende:

Einmal kann — wenn wir die Entwicklung positiv sehen wollen — erwartet werden, daß etwa die wöchentliche Normalarbeitszeit unter das bisherige technisch bestimmte Limit herabgesetzt werden kann. Das hat eine Vergrößerung des Ausmaßes an Freizeit für die betreffenden Arbeiter zur Folge. Die gewonnene Freizeit kann sich bei vollem Lohnausgleich als weiteres lohnarbeitsfreies Wochenende zeigen (Weekend im englischen Sinn) oder als Kürzung der täglichen Arbeitszeit.

Es kann aber auch echte Arbeitslosigkeit entstehen und das, Problem der Vollbeschäftigung, die in der zivilisierten Welt durch die neuen Methoden der Lenkung des Arbeitseinsatzes weitgehend gesichert schien, neuerlich aufgerollt werden. Dabei ist es möglich, daß die zu erwartende Arbeitslosigkeit eine vorübergehende, eine örtlich begrenzte oder eine strukturelle ist.

Jedenfalls scheint es geboten, das Phänomen der Arbeitszeit in seiner Beziehung zum laufenden und unvermeidbaren Einsatz menschlicher Arbeitskraft durch die Maschine genauestens zu betrachten und der Automation nur, soweit es sich um den Einsatz öffentlicher Mittel handelt, jenen Raum und in jener Zeitfolge zu geben, die in einem Verhältnis zur Sicherung einer notwendigen und ungebrochenen optimalen Beschäftigung steht.

Ich bin daher der Auffassung, daß es nicht um die Automation an sich geht, sondern vor allem um ihre Werte „in the long run“, um ihre dosierte Einführung, d. h. um eine nur etappenweise (partielle) Automation je Betrieb, je Branche und für den ganzen Bereich dur Volkswirtschaft.

Wenn wir nicht die Konsequenzen der Automation für die Vollbeschäftigung beachten, zumindest aber nicht Maßnahmen treffen, die ein unvertretbares Ansteigen der Arbeitslosenziffern verhindern, kann das, was wir die „zweite industrielle Revolution“ nennen, neuerlich zu einer besonderen Form von Verproletarisierung führen: zum Entstehen einer hochbezahlen Arbeiterelite auf der einen Seite, deren Angehörige auf Grund von Zufall wie von speziellen Kenntnissen und unter Umständen ihrem Intellekt hohe Bezüge und ökonomische Sicherheit haben, auf der anderen Seite kann es wieder eine Masse von lange unterbeschäftigten oder überhaupt nicht beschäftigten Arbeitnehmern geben, die, weil ihre Arbeit nur noch ergänzenden Charakter hat, schlecht bezahlt sind oder mit Linterstützungen ihr Leben fristen.

Darin liegt die Gefahr der Automation: nicht in der besonderen Technik, die geeignet erscheint, uns eine neue Fülle von Gütern zu bescheren, sondern in der volkswirtschaftlich und sozial falsch dosierten Anwendung technischer Maßnahmen, die zu einer Beseitigung des Menschen nicht nur aus dem technischen Fertigungsprozeß, sondern in einem erheblichen Teil aus dem Arbeitsprozeß überhaupt führen kann.

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