Anfangs absenken und später versenken?

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Volle Handlungs- und Geschäftsfähigkeit verschafft noch lange nicht die Immunisierung gegenüber Entwicklungskrisen.

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Volle Handlungs- und Geschäftsfähigkeit verschafft noch lange nicht die Immunisierung gegenüber Entwicklungskrisen.

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Was sich nicht alles absenken lässt! Der Cholesterinspiegel, ebenso wie das Budgetdefizit. Um fürs Erste zwei positive Beispiele zu nennen. Eine neuerdings geplante Absenkung hat allerdings nicht vorweg die Vermutung der Nützlichkeit, oder gar der Notwendigkeit für sich. Es geht um den personellen Anwendungsbereich des Jugendgerichtsgesetzes. Bislang gilt dieses Gesetz für jene Straftäter, die 14, aber noch nicht 19 Lebensjahre vollendet haben. Am oberen Rand soll jetzt ein Jahr gekappt werden.

Was heißt es überhaupt in der Bewertung des Strafrechts, Jugendlicher oder Erwachsener zu sein? Die strafrechtliche (Grund-)Schuldfähigkeit wird im einen wie im anderen Fall ohnedies angenommen. Entscheidende Unterschiede lassen sich erst unterm Strich ausmachen; dort wo es um die konkrete Reaktion des Staates geht. Also vor allem im Bereich der Strafen. Aber auch die Interaktion zwischen Beschuldigtem und Gericht im Prozess selbst ist davon betroffen. In aller gerade noch zulässigen Verkürzung: Die Strafen für Jugendliche sind gegenüber denen für Erwachsene (bei gleichartigen Straftaten) etwa halbiert, die Prozessfürsorge für jugendliche Beschuldigte umfassender, der Weg der Resozialisierung nach einer Verurteilung mit weniger Stolpersteinen besetzt.

Erst 1988 beschloss das Parlament, die Gruppe der 18- bis 19-Jährigen in das Jugendstrafrecht hineinzunehmen (nachdem bis dahin mit 18 Jahren die Grenze gezogen war). Mit ein Grund war die Erkenntnis, dass die Adoleszenz mit ihren oft explosiven meist aber vorübergehenden Problemen der Pubertät um nichts nachsteht. Hat sich dieses Phänomen seither in dem Sinn geändert, dass Adoleszenz kein spezifisches Problem mehr wäre, das nach höchst differenzierten Antworten verlangt? Und hat irgendeine (gar wissenschaftlich durchleuchtete) Kriminalitätsentwicklung die Absenkung des Höchstalters für das Jugendstrafrecht auf 18 eingefordert? Da aus den Antworten auf diese Grundfragen heraus kein Argument für die Absenkungsforderung zu gewinnen ist, wird die Angleichung an die geplante Herabsetzung der bürgerlich-rechtlichen Volljährigkeit auf 18 Jahre bemüht.

Aber wird denn nicht die Grundverschiedenheit der Lebens- und Regelungsbereiche gesehen? Volle Handlungs- und Geschäftsfähigkeit bei Verträgen, bei Passangelegenheiten und dergleichen verschafft noch lange nicht die Immunisierung gegenüber mehr oder minder schweren Entwicklungskrisen, die relativ kurzlebig sein können und sich - im Fall der Straffälligkeit - mit den differenzierten Mitteln des Jugendstrafrechts besser bewältigen lassen. Die internationale Strafrechtsdogmatik und -praxis hielt 1988 - und hält seither - mit hoher Anerkennung gegenüber dem österreichischen Jugendgerichtsgesetz - mit seinen Altersgrenzen - nicht zurück. Das in Deutschland eigens geschaffene Strafrecht für Heranwachsende (ab 18) anerkennt grundlegend die Problemphase auch der über 18-Jährigen und dehnt diese Gruppe sogar bis zu den 21-Jährigen aus.

Zuletzt wurde von justizpolitischer Seite vorgeschlagen, die Altershöchstgrenze zwar auf 18 Jahre abzusenken, aber doch die 18- bis 21-jährigen Straftäter vor den Jugendrichter zu zitieren. Was soll eine solch widersprüchliche Regelung nach Art einer schlecht funktionierenden Kulissenschieberei? Mit der Beibehaltung des jetzigen Zustands - der sich durch mehr als zehn Jahre hindurch bewährte - erspart man sich komplizierte Regelungen für die schwierige Gruppe der Heranwachsenden.

Und noch ein von politischer Seite nachgeschobenes Argument: Für die Gruppe der 18- bis 19-Jährigen genügen - gleichsam zur Entschärfung - die diversionellen Möglichkeiten wie sie für Erwachsene seit Jänner 2000 gelten (vor allem Geldbußen, gemeinnützige Arbeiten, Ausgleich mit dem Opfer). So verführerisch dies zunächst klingen mag, so weitreichend kann dieses Argument verwendet werden: Denn damit könnte das gesamte Jugendstrafrecht für überflüssig erklärt werden.

So könnte das Absenken zum Versenken werden.

Der Autor ist Senatspräsident des Oberlandesgerichts Linz und Vizepräsident der österreichischen Richtervereinigung.

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