Gremium  in ­der Kritik - Der VfGH (rechts im Bild: der einstige Präsident Gerhart Holzinger, der 2018 von Brigitte Bierlein abgelöst wurde) sieht sich regelmäßig mit Kritik wegen möglicher Befangenheit von Höchstrichtern konfrontiert. Dass rechtliche Grundlagen dennoch nicht geändert werden, ist parteipolitischen Interessen geschuldet, sagen Kritiker. 

Unvereinbare Verfasstheit?

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Richter am Verfassungsgerichtshof üben ihre Aufgabe als berufliche Nebentätigkeit aus. Ob sich das wegen ­möglicher ­Interessenskonflikte ändern sollte, wird kontrovers diskutiert. Und die Frage spaltet auch Juristen.

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Richter am Verfassungsgerichtshof üben ihre Aufgabe als berufliche Nebentätigkeit aus. Ob sich das wegen ­möglicher ­Interessenskonflikte ändern sollte, wird kontrovers diskutiert. Und die Frage spaltet auch Juristen.

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Ein Richter am Verfassungsgerichtshof (VfGH) muss eine Entscheidung treffen. Als Teil des 14-köpfigen Richtergremiums soll er über eine Angelegenheit bestimmen, die eine große Bank betrifft. Ein üblicher Vorgang am VfGH. Doch der Höchstrichter sitzt auch im Aufsichtsrat einer anderen Bank. Zufällig ist sie der größte Konkurrent jenes Kreditinstituts, in dessen Angelegenheit die Verfassungsrichter entscheiden müssen. Literarische Polit-Dystopie? Praxis in einer autokratischen Halbdemokratie im Südkaukasus? Nein, ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit der Republik Österreich.


„Ich sage seit Jahren, dass diese Interessenskonflikte im VfGH abgestellt gehören“, sagt der Verfassungsrechtler Heinz Mayer gegenüber der FURCHE. Der Hintergrund: In Österreich sind Verfassungsrichter keine Berufsrichter, sondern üben ihre Tätigkeit als Nebenbeschäftigung aus. Zum Richter an Österreichs wichtigstem Höchstgericht kann nominiert werden, wer ein Studium der Rechtswissenschaften abgeschlossen hat und über mindestens zehn Jahre Berufserfahrung in einer juristischen Profession verfügt. Zu Verfassungsrichtern werden somit neben Richtern und Staatsanwälten etwa häufig auch Anwälte und Rechtsprofessoren ernannt. Weitere berufliche Tätigkeiten – etwa im Aufsichtsrat eines Unternehmens – sind den Höchstrichtern paral­lel erlaubt. Im internationalen Vergleich ist Österreich damit eine Ausnahme. Im Gros der Demokratien sind Höchstrichter auch Berufsrichter. Ob in den USA, Deutschland, Spanien – oder auch am Internationalen Gerichtshof in Den Haag.

Die Richter und die Politik

Warum die österreichische Praxis politisch heikel sein kann, zeigte zuletzt auch die Causa um Michael Rami. Der Wiener Advokat wurde unter der türkis-blauen Bundesregierung zum VfGH-Richter bestellt, hauptberuflich ist er weiterhin Rechtsanwalt. In dieser Funktion war Rami auch für FPÖ-Spitzenpolitiker wie Vizekanzler Strache und Innenminister Kickl tätig – auch nach seiner Bestellung zum Verfassungsrichter. Das strukturelle Problem dabei: Als Anwalt bekam Rami Geld von Personen, die als Mitglieder der Bundesregierung selbst den Großteil der Gesetze auf den Weg bringen – die Rami in seiner Rolle als VfGH-Jurist wiederum auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen muss. Der Anschein von Befangenheit drängt sich hier jedenfalls auf. Nach öffentlicher Aufregung um Ramis ungewöhnliche „Doppelrolle“ kündigte dieser an, künftig keine Spitzenpolitiker mehr zu vertreten.


Rami ist aber nur einer von etlichen Fällen aus der Geschichte des VfGH, in denen offensichtliche Nähe von Verfassungsrichtern zu politischen Parteien für kontroverse Debatten sorgte. So war Johannes Schnizer, Verfassungsrichter seit 2010, zuvor Jurist im Parlamentsklub der SPÖ und später sogar Kabinettschef von Kanzler Gusenbauer. Wolfgang Brandstetter, einst Jus­tizminister auf einem ÖVP-Ticket und zuletzt sogar Vizekanzler, wechselte quasi direkt aus der Bundesregierung als Richter an den VfGH. Was dazu führte, dass sich Brandstetter bei etlichen Verfahren wegen des Anscheins möglicher Befangenheit selbst aus dem Spiel nehmen und jeweils eines der sechs Ersatzmitglieder nominiert werden musste.

Ein Gesetzesentwurf, der Verfassungsrichtern ­Aufsichtsratposten untersagen sollte, war schnell wieder vom Tisch. Er hätte auch die ‚eigenen‘ VfGH-Mitglieder getroffen.


Fälle wie diese lassen Rufe nach einer „Abkühlphase“ für Ex-Politiker vor einem Wechsel an den VfGH laut werden. Vor allem aber tauchen aufgrund ihrer jeweiligen Zivilberufe regelmäßig Forderungen nach einem Berufsverbot für Verfassungsrichter auf. Anders gesagt: Die Höchstrichter sollen ihrer Arbeit hauptberuflich nachgehen, Nebenbeschäftigungen untersagt werden, so die Idee, der auch Verfassungsrechtler Mayer anhängt. Immerhin ist der VfGH eine der zentralsten Einrichtungen für „Checks and Balances“, für politisch-legistische Kontrolle im Institutionengefüge dieser Republik.


Doch wie gefährlich das österreichische Unikum am Verfassungsgericht in Bezug auf Interessenskonflikte, auf Befangenheit, auf politische oder ökonomische Unvereinbarkeiten in der Praxis tatsächlich ist, darüber gehen die Meinungen auch unter Fachleuten stark auseinander. „Es muss kein Nachteil sein, wenn ein Verfassungsrichter noch einen anderen Beruf hat“, sagte die Präsidentin der Richtervereinigung Sabine Matejka kürzlich im Interview mit der FURCHE. „Denn er bringt aus seiner beruflichen Praxis ja auch wieder etwas ein.“ Für den Anschein von Befangenheit müsse man indes sehr sensibel sein. Jedes Modell hat für die Richterpräsidentin aber ein Für und Wider.

Verlassen auf Redlichkeit?

Und auch der Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk stimmt der Kritik seines Kollegen Mayer im Gespräch mit der FURCHE nur bedingt zu: „Für die bestehende Regelung spricht der Input aus der Berufs­praxis von Rechtsberufen, namentlich der Rechtsanwaltschaft.“ Für Mayer ist das indes kein Argument gegen ein Berufsrichter-Modell: „Berufliche Praxis sammelt man üblicherweise, bevor man eine Funktion annimmt.“ Funk führt dagegen ins Treffen, es könne für eine Höchstgericht von Vorteil sein, wenn Mitglieder „mitten im Rechtsleben“ stehen und keinem generellen Berufsverbot unterliegen. Ein Gremium aus Berufsrichtern laufe eher Gefahr, sich auf theoretischen Gleisen zu bewegen. Die tatsächliche Wirkung einer „Abkühlphase“ für Politiker wäre für den Juristen unterdessen fraglich: „Bei jemandem, der sich beeinflussen ließe, würde eine Abkühlphase auch nichts nützen.“ Wer persönlich integer sei, bliebe das auch, wenn er direkt aus der Politik in den Richterstand wechsle. Ein Politiker, der etwa im Nationalrat selbst über ein Gesetz abgestimmt hat, muss sich bei einer späteren Tätigkeit als Verfassungsrichter zudem bei einer etwaigen Prüfung dieses Gesetzes für befangen erklären. Und sich von einem Ersatzmitglied vertreten lassen.


VfGH-Präsidentin Brigitte Bierlein verweist regelmäßig darauf, die Befangenheitsregeln in ihrem Haus würden äußerst strikt ausgelegt. Auch Funk sieht eine „hohe Kultur der Selbstbeurteilung“. Mayer meint dagegen: „Also zumindest in der Vergangenheit war das Gefühl für Unvereinbarkeiten im VfGH nicht allzu ausgeprägt.“ In der Praxis hält Funk die Gefahr durch mögliche Interessenskonflikte jedenfalls für unwahrscheinlich: Selbst wenn ein einzelner Verfassungsrichter es mit der eigenen Befangenheit nicht so genau nähme, käme die Kontrolle des Präsidenten zum Tragen, der über die Zuweisung der Rechtssachen an die Referenten entscheidet. Zudem gibt es das Korrektiv der kollegialen Entscheidung – und der VfGH besteht aus 14 Mitgliedern. Wie groß da der Einfluss eines einzelnen Richters überhaupt sein könnte, ist fraglich.
Stellt sich die grundsätzliche Frage, ob es sinnvoll ist, auf die ausgeprägte Redlichkeit von VfGH-Mitgliedern zu vertrauen, statt das Risiko gesetzlich einzudämmen. Zivil- und Strafrichter dürfen im Gegensatz zu Verfassungsrichtern etwa überhaupt keinen Nebentätigkeiten nachgehen, gibt Mayer zu bedenken. Nebenbei könnten hauptberufliche Verfassungsrichter einen organisatorischen Vorteil mit sich bringen: Aktuell tagt der VfGH viermal jährlich, geblockt in drei- bis vierwöchigen Sessionen – aus Rücksicht auf die Zivilberufe seiner Mitglieder. Wären diese hauptberuflich tätig, könnte das Höchstgericht häufiger tagen – und Verfahren damit deutlich beschleunigt werden.


Wie auch immer Juristen die Usancen am Höchstgericht bewerten – die Frage, ob Verfassungsrichter gleichzeitig anderen beruflichen Tätigkeiten nachgehen dürfen, muss letztlich die Politik entscheiden. Warum die Regelung am VfGH bislang nie reformiert wurde, dazu haben Experten durchaus ihre These: politische Interessen. Denn in der Praxis streifen Verfassungsrichter ihren Talar auf dem Ticket einer Partei über. Als im Jahr 2010 die einst von der SPÖ nominierte Verfassungsrichterin Claudia Kahr während ihrer Tätigkeit am VfGH auch Aufsichtsratvorsitzende der staatlichen ASFINAG-Holding wurde, gab es etwa einen Aufschrei der ÖVP. Kurz darauf lag ein Gesetzesentwurf am Tisch, der abstellen sollte, dass Verfassungsrichter in Aufsichtsräten sitzen dürfen. „Daraufhin herrschte sofort Schweigen im Walde“, sagt Mayer. Offenbar sickerte die Erkenntnis, dass von dieser Regelung jeweils auch die „eigenen Leute“ der Regierungsparteien im VfGH getroffen würden. „Danach war das nie mehr ein Thema“, sagt Mayer.

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